Evadeen Brickwood

Singende Eidechsen


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Zwei Wochen - das hörte sich mit einem Mal so schrecklich kurz an.

      Bald saß ich in Grandpas eleganter Eigentumswohnung in der Arlington Road in Camden, und starrte auf eine Liste mit den vorgeschriebenen Impfungen.

      Mir wurde ganz anders. Cholera, Typhus, Gelbfieber, Immunglobulin. Was um Himmels willen war Immunglobulin? Auf dem Flugblatt stand, dass es etwas mit Hepatitis zu tun hatte. Die Injektion war sicher notwendig, aber ich hasste Nadeln. Würde ich gleich tot umfallen wenn ich nicht alles machte, was auf der Liste stand? Ich hatte keine Wahl, es gehörte zu den Einreisebedingungen.

      Der Wind drehte sich wieder und Regen schlug sanft gegen die Fensterscheiben. Unten im Handtuch-großen Hintergarten bogen sich die schmalen Cordyline-Palmen. Komisch, dass das Klima in London mild genug war für Palmen.

      Mir wurde die Enormität meines Planes bewusst. Was war, wenn ich mit meiner Mission scheiterte? Was dann? Warum musste es ein so ungesundes Land sein, für das man tausende von Impfungen brauchte? Nur nicht paniken…tief durchatmen… Ich lehnte mich auf der Ledercouch zurück und beäugte vorwurfsvoll das Ölbild an der Wand gegenüber. Eine afrikanische Landschaft, und noch dazu in einem breiten Goldrahmen.

      Es war schön, das Gemälde. Eindrucksvolle Baobab Bäume vor einem strahlend blauen Himmel mit einer Elefantenherde im Hintergrund, und einem Leoparden, der sich an grasende Gazellen heranschlich.

      “Soll das heißen, dass ich diese ganzen scheußlichen Impfungen wirklich brauche?” fragte ich das Bild.

      Die afrikanische Landschaft antwortete nicht. Wenn man genauer hinsah, schienen sich die Elefanten ein klein wenig zu bewegen und links war der Leopard nun ganz aus dem Unterholz hervorgekommen. Schlich er sich näher an die Gazellen heran?

      “Weißt du Bild, am besten bringen wir das Ganze schnell hinter uns. Schluss mit dem blöden Selbstmitleid.” Bridget du hast nicht alle Tassen im Schrank. Reiß’ dich gefälligst zusammen, schalt ich mich, du redest mit einem Bild!

      Das letzte Mal als ich mit Claire in London gewesen war, hatten wir unbeschwert auf einem David Bowie Konzert gerockt. Mein Herz tat weh bei der bloßen Erinnerung daran. Claire und ich. Sie hatte zum Schluss auf der Bühne mitgetanzt, aber ich war wie immer zu schüchtern für sowas. Es war sogar aufregend gewesen, mit der U-Bahn zu fahren und die Oxford Road mit den vielen kleinen Boutiquen unsicher zu machen.

      Ich holte Claires Briefe hervor. Davon gab es genau fünf. Sie hatte mir jede Woche einen auf hauchdünnes, blaues Luftpostpapier geschrieben. Die letzte Verbindung zwischen uns. Sie hatte von der Landschaft geschrieben, dem Wetter, ihren Kollegen, ihrem Job und dass sie sich darauf freute, das Okavango Delta zu sehen, wenn auch nur für ein paar Tage.

      Ich schloss die Augen und versuchte mir Afrika vorzustellen: Märkte, die von lachende Menschen nur so wimmelten. Da war ein Trommeln und Tanzen in den Straßen und es gab Restaurants, wo man verlockende Gerichte aus Kokosnüssen und frischem Fisch bestellen konnte, die dann in Kürbisschalen serviert wurden. Stickige Hitze, Tropenhelme, Löwen und Elefanten, Wasserfälle und…Tarzan, der an Lianen herumschwirrte. Blödes Klischee, ich weiß, aber so stellte ich mir Afrika nun mal vor.

      Was wusste ich damals schon von Schamanen, Tokoloschen und der Welt der Vorfahren…

      Im schäbigen Videoladen um die Ecke fand ich fast alle Episoden einer südafrikanischen Fernsehserie. Es ging um Shaka Zulu, dem berühmten, grausamen Zulu Häuptling aus dem 19 Jahrhundert. Nicht gerade modern, aber nicht schlecht für den Anfang. Bald konnte ich die Titelmusik mitsummen: “Bayete, kosi, bayete, kosi…we are growing, growing high and higher…”.

      Ich weiß nicht, ob es an Shaka Zulu lag, aber auf einmal sah ich Afrikanisches um mich herum. Kleidung und Körbe in Schaufenstern; Trommel-Musik, die aus einer Wohnung drang. Dunkelhäutige Menschen auf der Straße oder in der U-Bahn schienen mir öfter zuzulächeln.

      Vielleicht merkten sie ja irgendwie, dass ich bald ihren geheimnisvollen Erdteil besuchen würde. Vielleicht waren sie aber auch einfach nur Briten vierter Generation aus Hackney, die mit einem Cockney Akzent sprachen.

      Claire hätte sich bestimmt über mich lustig gemacht. Claire…

      Während der zwei Wochen in London wartete ich auf Neuigkeiten aus Botswana. Einmal stellte ich mir vor, dass Claire plötzlich in einem Dorf im Tuli Block aufgetaucht sei und in der Küche einer netten Farmersfrau heiße Schokolade schlürfte. ‘Es gibt ja soviel zu erzählen, Fumpy, du glaubst ja gar nicht was mir alles passiert ist.’ Ich konnte mir ihre glucksende Stimme vorstellen.

      Kein Wunder, dass ich anfing mit Gemälden zu reden und solche Sachen. Ich fühlte mich wie eine Sprungfeder, ständig in einem Zustand nervöser Spannung.

      Es wurde Zeit für die Impfungen. Ich nahm den C2 Bus zur Great Portland Street und dann die U-Bahn zum Tropeninstitut in Bloomsbury. Die Spritzen waren genauso scheußlich, wie ich sie mir vorgestellt hatte. Für ein paar Tage danach, litt ich an Fieber und einem geschwollenen Arm. Wenigstens lenkte mich das für eine Weile von meiner Traurigkeit ab.

      Grandpa war beschäftigt und wir hatten uns kaum gesehen. Dann, ein paar Tage vor meinem Abflug verspürte er wohl auf einmal den Drang zum Kochen.

      Als ich aus dem Videoladen nach Hause kam, stand ein einfaches Abendessen auf dem feinen Buchenholztisch und klassische Musik spielte im Hintergrund. Debussy, Claire de Lune.

      “Hallo Grandpa!” Ich schluckte gerührt.

      “Hallo Kleine, hast du Hunger?”

      “Und wie.”

      “Setz’ dich und nimm’ dir was. Da ist Salat in der Schüssel.”

      “Grandpa, musstest du dich eigentlich auch impfen lassen als du damals nach Kenia gegangen bist?” fragte ich ihn und zog grüne Pesto-Spaghetti durch die Zähne.

      Als junger Journalist hatte Grandpa viel im Ausland gelebt. Wahrscheinlich hatte er seine Reiselust an Claire weitervererbt.

      “Ehrlich gesagt kann ich mich nicht so genau daran erinnern. Bestimmt brauchte ich damals auch die ein oder andere Injektion. Wie geht’s denn deinem Arm?”

      Er zeigte mit seinem Kinn auf meinen linken Oberarm. Der war immer noch ein wenig geschwollen.

      “Schon viel besser. Das Fieber ist ‘runtergegangen und das Schmerzmittel scheint zu wirken.” Ich wickelte grüne Spaghetti auf die Silbergabel.

      “Hast du heute schon mit deiner Mutter gesprochen?” fragte Grandpa auf einmal.

      “Ja, heute Morgen. Sie möchte, dass ich mir das nochmal überlege mit der Reise,” seufzte ich.

      “Aha, aber du bist immer noch fest entschlossen?”

      War da etwa ein Unterton? Falls Grandpa nicht wollte, dass ich nach Botswana ging, hatte er sich bisher nichts anmerken lassen.

      “Ja sicher! Ich würde niemals so viele Impfungen über mich ergehen lassen und dann nicht nach Afrika fahren,” sagte ich. “Mom meinte, dass sie am Wochenende kommen wollen, um sich… na ja, um sich zu verabschieden. Nur für ein paar Stunden. Sie muss am Montagmorgen wieder im College sein.”

      “Schade. Ich bin froh, dass sie überhaupt kommen. Du fliegst ja schon am Dienstag.”

      “Mhm,” meinte ich und schluckte die Spaghetti hinunter. Wir würden uns mit Sicherheit alle die Augen ausheulen. “Muss morgen früh nur noch Anrufe wegen der Visa machen.”

      “Gut. Dann hast du ja fast alles geschafft.”

      “Grandpa, ist es in Afrika wirklich so gefährlich wie alle sagen?” fragte ich impulsiv. “Einer meinte, dass ich verrückt sein muss in ein Land wie Botswana zu fahren.”

      “Wer sagt denn sowas?” Grandpa sah erstaunt von seinem Teller auf.

      “Ein Geschäftsmann, den ich am Tropeninstitut getroffen habe. Er saß neben mir im Wartezimmer. Angeblich gibt es dort nur Medizinmänner. Er konnte mir aber nicht sagen, was Medizinmänner eigentlich genau sind.”

      “Die