Evadeen Brickwood

Singende Eidechsen


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Wochen Ärger damit. Er fuhr eine Kuh tot und musste eine Menge Geld für sie bezahlen. Sein Auto war auch Schrott, aber zum Glück hatte er nur einen Kratzer an der Stirn.”

      “Oh, das ist ja schrecklich.”

      “Ja, ist es auch,” pflichtete mir Tony bei und fuhr um ein Schlagloch herum. Ich fragte mich, wie so ein Unfall in Cambridge wohl Schlagzeilen gemacht hätte: ‘Junger Lehrer fährt mit seinem Golf GTI Kuh auf der Straße an. Kuh und Auto verblichen. Farmer verlangt sofortigen Schadensersatz von Fahrer’ - oder so ähnlich.

      “Wir fahren gerade durch Motschudi. Dort drüben bei dem Hügel ist ein kleines Krankenhaus. Ein deutscher Arzt leitet es, er heißt Dr. Ritter.”

      Motschudi. Ich zuckte zusammen. Hier war Claires Auto gefunden worden, auf einem Feld. Wollte Tony etwa anhalten und mir die Stelle zeigen? Anscheinend hatte er nicht die Absicht.

      Wir fuhren weiter Richtung Osten und Tony zeigte auf ein weißes Gebäude rechts der Straße. Die Klinik. Dr. Ritter war anscheinend schon über zehn Jahre im Lande, mit seiner Frau und fünf Kindern. Laut Tony war die gut ausgestattete Klinik besser als die größeren Krankenhäuser in der Stadt.

      “Du hast dort sicher nach Claire gesucht,” meinte ich und kannte die Antwort.

      “Natürlich. Es wurden alle Krankenhäuser abgesucht.” Tonys Blick war auf die Straße fixiert. Aus gutem Grund, wenn man an all die Kühe und Ziegen dachte.

      Ich nahm Claires ersten Brief aus dem kleinen Rucksack. Ich hatte ihn schon hundertmal gelesen, den Brief. Fotos steckten in dem abgegriffenen Luftpostumschlag: eines zeigte meine Schwester in Peru, wie sie sich an eine Ruine lehnte und eines war in unserer Küche Zuhause aufgenommen worden. Auf dem dritten Foto war ich auch drauf, mit Mom und Dad. Ich hatte meinen Arm um Claire gelegt.

      Der Anblick meiner Eltern gab mir einen Stich. Ich fühlte mich schuldig. Die drückende Schuld vermischte sich mit Heimweh. War es richtig gewesen, so einfach wegzugehen? Jetzt mussten die beiden sich auch noch Sorgen um mich machen.

      Aber es gab kein Zurück mehr. Ich war jetzt in Afrika und so war das eben. Ich quetschte den Rucksack vor den Sitz und streckte meine nackten Füße auf dem staubigen Armaturenbrett aus. Hoffentlich störte es Tony nicht. Es störte ihn offenbar nicht, also las ich den Brief zum hundert und einsten Mal:

      ‘Gaborone, 11. Juni 1988

      Hallo Fumpy,

      Gerade in Gabs angekommen. So nennen die Leute hier die Hauptstadt. Die ist aber so klein, sogar noch kleiner als unser gutes altes Cambridge. Bisher habe ich nur zwei Ampeln gesehen… Es is ziemlich kalt nachts, weil – unglaublich – es hier Winter ist.

      Erst bin ich noch im warmen Juniwetter in England und jetzt bin im Winter gelandet. Aber nur nachts. Tagsüber ist es heiß und trocken. Wer hätte gedacht, dass es so ein Klima gibt?

      Letzte Nacht war mir dermassen kalt, dass ich in meinen Schlafsack gekrochen bin. Muss morgen erstmal ein richtig dickes Federbett und Decken dazu kaufen, wenn ich einen Laden finden kann. Tony hat’s gut. Ihm wird nicht so schnell kalt wie mir. Er ist auch schon fast einen Monat hier und sollte eigentlich die Geschäfte in Gaborone kennen.

      Stell dir vor, ich hab’ heute früh Pfützen mit Eis drauf gesehen. Ohne Quatsch. Der Gärtner, der sich um den Garten beim Firmenwohnhaus kümmert (das übrigens enorm groß ist) hat gestern den Rasen gewässert und… ‘

      Im Brief standen noch Beschreibungen von Haus und Garten und wie nett Tony gewesen war. Er hatte Claire mit einem Blumenstrauß vom Flugplatz abgeholt. Sie hatten ihr Gepäck im Firmenhaus abgeladen und waren zum Büro gefahren, um sich erstmal bei Claires neuen Kollegen vorzustellen. Einmalige Charaktere, anscheinend.

      Ich musste lachen als ich weiterlas. Da war zum Beispiel dieser aufdringliche Bauzeichner aus Chicago, der immer so verführerisch in Claires Richtung zwinkerte.

      ‘…Vielleicht ist es nur ein nervöses Zucken…’ schrieb Claire, aber ich wusste schon von ihren anderen Briefen, dass das nicht stimmte.

      Er glaubte vielmehr auf Frauen unwiderstehlich zu wirken. Chad Sullivan hielt sich für einen ausgemachten Frauenhelden. Nur dass Frauen sich eher aus dem Staub machten, wenn er mit seinen Aufreissersprüchen anfing.

      ‘…Dann gibt’s da noch Liesl, die langweilige, blonde Freundin von Desmond Kahl, einem jungen Ingenieur. Sie sitzt den ganzen Tag im Büro ihres Freundes herum und muss Löcher in die Luft starren, weil sie nicht zu arbeiten scheint. Wolfgang Klein, der Chef des Design-Teams und mein direkter Chef, ist ruppig aber fair. Er ist ungefähr Mitte Fünfzig, groß, sieht gut aus und recht intelligent.

      Das Design-Team besteht aus Wolfgangs rechter Hand, einem hässlichen Ingenieur namens Werner Pfeiffer, der Sekretärin Emily van Heerden (sie ist nicht auf den Mund gefallen), Kgomotso Min (die Tswana-Buchhalterin, deren Stiefvater ein chinesischer Bankier ist) und Thomas Taylor, ein erfahrener Ingenieur, der mit seinem flammend-roten Bart wie ein wilder Schotte aussieht. Da gibt's noch ein paar andere Leute, die sind aber nicht sehr interessant...’

      Claire verstand sich immer gut mit anderen Menschen, aber den korpulenten Bürochef, Herrn Feindlich, den mochte sie ganz und gar nicht. Ich wusste, was sein Name auf Deutsch bedeutete. Vielsagend.

      ‘…Hr. Feindlich lud mich gestern zum Mittagessen in ein französisches (!) Restaurant, The Bougainvillea, ein und klärte mich erstmal über meine Kollegen auf. Der Mann hatte nichts gutes über Emily zu sagen. Er denkt sie ist eine Hure – stell’ dir das vor. Wie kann ein Manager so vulgär sein? Ich habe außerdem überhaupt nicht den Eindruck. Im Gegenteil, ich mag Emily und Kgomotso. Mochte sie gleich von Anfang an. Du weißt ja, dass ich lieber auf meine Intuition höre.’ (wusste ich) ‘Denkt der Knabe etwa ich kann mir keine eigene Meinung bilden oder was?...’

      Ich seufzte. Würde ich diesen Leuten jemals über den Weg laufen?

      ‘…Herr Feindlich mag anscheinend Desmond und seine Dorfpflanze von Freundin am liebsten. Er scheint mit Liesl verwandt zu sein. Sie ist jung und üppig, sieht aber viel älter aus’ auf so eine knuddelige, konventionelle Art. Ich bin sicher sie zieht sich genau wie ihre Mutter an. Feindlich wollte mich gleich mit ihr zum Shoppen schicken. Kommt gar nicht in die Tüte! Hab’ eine lahme Ausrede aus dem Ärmel geschüttelt. Er wird’s mir nie verzeihen, wenn er rausfindet, dass ich mit Emily und Kgomotso shoppen war...’

      Vielleicht war da was dran. Hatte dieser Herr Feindlich Claire nicht verziehen? Lies doch nicht in alles Anhaltspunkte rein, schalt ich mich. Ich hatte die Briefe immer wieder gelesen, aber ehrlich gesagt konnte ich nicht den kleinsten Anhaltspunkt entdecken. Die Briefe hatten mehr einen sentimentalen Wert in meiner Mission Claire zu finden.

      ‘…Emily ist intelligent und eigensinnig, 23 und ziemlich hübsch, mit hellbraunen Haaren. Sie kommt aus Südafrika, aus Johannesburg, und fährt wenigstens einmal im Monat übers Wochenende zu ihrer Familie. Kgomotso ist Emilys beste Freundin. Die beiden sehen total unterschiedlich aus, aber beide bewegen sich so lässig und haben was richtig nettes an sich.

      Sie luden mich gleich in das kleine Firmenwohnhaus in Tsholofelo ein, das sie sich mit zwei anderen Angestellten teilen. Tsholofelo ist ein netter Stadtteil. Emily liebt Sonnenbrillen und hat wenigstens fünf verschiedene. Ich glaube sie bemerkt nicht, dass Männer sie ziemlich anziehend finden. Herr Feindlich bemerkt es und...’

      Claire hatte in ihrem ersten Brief noch nicht viel über Kgomotso geschrieben, aber ich wusste, dass die drei feste Freunde geworden waren. Ich versuchte mir ein Firmenwohnhaus vorzustellen, mit Claire...

      “Hey, Bridget!”

      “Hmm, ja?” Ich musste für eine Weile eingeschlafen sein. Auf einem Straßenschild stand ’Mahalapye ’.

      “Wach’ auf,” sagte Tony eindringlich.

      Da waren Soldaten auf der Straße. Wir wurden an einer Straßensperre angehalten.

      “Was ist das denn los, Tony? Stimmt was nicht?” fragte ich alarmiert. Bomben, Straßengefechte…