Evadeen Brickwood

Singende Eidechsen


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riss mich zusammen. Beim Hoteleingang war nicht leicht gefühlsduseln.

      “Tschüss, pass auf dich auf,” sagte Mom langsam, so als wollte sie mich nicht gehen lassen.

      “Tschüss dann.” Ich hängte auf und war wieder allein unter den ganzen Hotelgästen.

      Das Landhotel hatte ein großes Restaurant, eine Bar beim Eingang und zwei Billardtische. Auf der Theke stand das unbezahlbare Telefon und jeden Freitagabend versammelte sich die gesamte Gegend im Botsalo.

      Tonys Lehrer-Freund, Neo Moletsane, kam aus der nahegelegenen Stadt Serowe. Neo war single und die beiden verbrachten die meisten Abende im Botsalo Hotel. Das neue Semester hatte noch nicht begonnen und es gab nicht viel anderes zu tun. Also kam ich mit.

      Neo Moletsane war ein gebildeter junger Mann. Er unterrichtete die Maurer am Berufszentrum, während Tony für das Fach Wirtschaftslehre verantwortlich war.

      Der etwas untersetzte Neo trug immer ein sauberes Baumwollhemd, nie T-Shirts oder Jeans. Tony sagte, wir könnten ihm vertrauen und er wusste, warum ich nach Botswana gekommen war. Immerhin.

      Die beiden spielten Billard, assen zu Abend, tranken ziemlich viel Bier und schwatzten mit den anderen Leuten dort. Ich saß mit meinem Buch in einem der gemütlichen Clubstühle in der Eingangshalle und las.

      Die meisten Gäste waren in Hotelzimmern hinten beim Swimmingpool untergebracht und reisende Vertreter brachten oft Neuigkeiten aus anderen Gegenden Botswanas mit. Nichts was mich interessierte, aber ich hörte höflich zu.

      Um den Schein zu wahren, stellte Tony mich überall als seine Freundin vor, die aus England zu Besuch gekommen war. Wir hatten beschlossen, dass es besser war die wahre Absicht meines Aufenthaltes geheimzuhalten.

      Aber ich fragte mich wie lange es wohl dauern würde, bis man in Palapye die Wahrheit spitz kriegte.

      Einheimische Mädchen kamen auch zum Hotel. Anscheinend oft aus zwei Gründen: um sich mit ihrem Freund zu treffen oder einen Freund zu finden. Das hatte Neo gesagt, in einem traurigen Tonfall. Die meisten kamen aus dem Dorf. Einige lebten in bequemen Häusern, die von ihren Lekgoa Freunden gemietet wurden.

      Da Palapye an der Hauptstraße auf halbem Wege zwischen Gaborone und Francistown lag, stiegen Reisende gern hier ab.

      Andere Frauen waren Angestellte am Berufszentrum, denen es gefiel sich in der Gesellschaft von Lekgoas aufzuhalten. Es gab auch einige ausländische Frauen wie mich, die waren aber zu sehr an Tratsch und Gin & Tonic interessiert. Es war nicht leicht sich mit den rauen Sitten der Männer hier abzufinden. Ich hielt mich lieber an mein Buch und die Government Gazette.

      Oft war es schon dunkel, wenn wir auf sandigen Feldwegen nach Hause fuhren. Mittlerweile konnte ich gut verstehen, warum jeder so nervös war nachts mit dem Auto zu fahren.

      Einmal hatte Tony fast zwei schläfrige Kühe angefahren, die sich im warmen Sand breit gemacht hatten. Nach einigem Hupen und Schreien, ließen sich die Viecher dazu herab sich von ihrem weichen Lager zu erheben, und vorwurfsvoll muhend davon zu trotten.

      Ein anderes Mal fuhr der Wagen gegen einen im Schlamm verborgenen Stein und schlingerte vom Weg ab. Wir sanken in den schwammigen Ackerboden ein und brauchten zwei Holzplanken und eine Menge Muskelkraft, um den Toyota wieder auf den Sandweg zurück zu bugsieren.

      “Wenn mich nochmal jemand fragt: ‘na, wann wird denn geheiratet?’, fang’ ich anzuschreien,” beschwerte ich mich eines Abends bei Tony, als wir uns wieder mal Richtung Komplex aufgemachten.

      Er steuerte vorsichtig durch den grauen Sand. Der war noch tief zerfurcht vom letzten Gewitterregen. Regenbäche hatten sich kreuz und quer einen Weg gebahnt. Im Scheinwerferlicht sah man hier und da gezackte Steine herausragen. Man musste höllisch aufpassen.

      “Tja, es gehört eben zum guten Ton, seine Nase in die Angelegenheiten anderer Leute zu stecken,” sagte Tony. “Es gibt sicher bald was anderes durchzuhecheln, aber im Moment sind wir noch ein aufregendes Thema.”

      Zwei Angestellte bei irgendeiner Mine hatten uns nach einem Gin und Tonic zum Abendessen im Restaurant eingeladen. Erst wollten wir nicht, aber sie schienen Unterhaltung nötig zu haben und wir gaben nach. Es gab Schlimmeres als zum Abendessen eingeladen zu werden.

      ‘Kingklip Thermidor’ war die Spezialität des Hauses. Der Fisch war frisch und lecker gewesen und die beiden hatten Wein bestellt.

      “Weißt du, als du auf der Toilette warst? Der eine Knilch hat mir doch tatsächlich gesagt, ich sollte dich verlassen und mit ihm nach Orapa kommen. Er hätte in der Diamantenmine genug Geld für uns beide verdient, und wollte sich gut um mich kümmern.” Ich musste kichern. “Du hättest sein Gesicht sehen sollen, als ich ihm ‘ne Abfuhr gab.”

      Tony war still. Hörte er mir zu?

      “Wann war das denn?” fragte er besorgt.

      “Na, als du auf der Toilette warst. Er hat’s wohl einfach mal probiert.”

      “Wetten, der wird sich so bald nicht wieder anbieten.”

      “Ich war nicht wirklich gemein zu ihm. Erklärte ihm nur, dass man Liebe nicht mit Geld kaufen kann und dass ich dich nie verlassen werde,” sagte ich. “Meine Predigt hat ihn fast zu Tränen gerührt.”

      “Wahrscheinlich hat er sich seiner leidgeplagten Frau und Kinder in Südafrika erinnert. Und was für ein Hund er ist,” sagte Tony verachtungsvoll.

      Der Wagen ächzte weiter durch den Sand. Wir waren an einer vertrauten Weggabel mit einem niedergetrampeltem Zaun angelangt.

      “Ja, es war die kleine Notlüge wert,” kicherte ich zufrieden.

      Das war einer der unbeschwerteren Momente gewesen. Es gab aber noch immer diese unangenehmen Pausen zwischen uns.

      Ich wurde aus Tony einfach nicht schlau. Zum einen konnte ich mich noch nicht mit der hiesigen Langsamkeit abfinden. Zum anderen fand ich, dass Tony es nicht gerade eilig hatte, der Sache mit Claire auf den Grund zu gehen.

      Vielleicht ich ihn ja missverstanden. Vielleicht hatte ich mir nur eingebildet, dass er der Sache auf den Grund gehen wollte. Aber was machte er dann noch hier in Palapye? Warum hatte er mich eingeladen?

      Ich brachte ihn irgendwie dazu, mit mir zur örtlichen Polizeistation zu gehen.

      Das schmuddelige Gebäude saß auf der anderen Seite der Eisenbahnschienen neben dem schmuddeligen Posthäuschen. Post wurde in einem klapprigen Fahrzeug donnerstags oder freitags angeliefert und musste abgeholt werden. Eine gute Gelegenheit, mal schnell in die Polizeistation ‘reinzuschauen.

      “Guten Tag. Wir wollten fragen, ob es in diesem Fall schon etwas Neues gibt —” Tony schob ein Stück Papier mit der Aktennummer über die Theke.

      Der Polizist sah sich den Zettel an und verschwand für einige Zeit in einem Hinterzimmer, bevor er mit einem älteren Beamten wiederkehrte. Der war kurz angebunden.

      “Tut mir leid Sir, aber der Fall ist noch nicht abgeschlossen. Keine neuen Erkenntnisse.”

      Ich stellte hartnäckige Fragen, aber es half nichts, denn Fragen begegnete man mit ausdauernder Gleichgültigkeit. Ich prallte an einer unsichtbaren Mauer ab. Damals vermutete ich, dass die Mühlen in Botswana eben nur sehr, sehr langsam mahlen. Soviel hatte ich schon begriffen. Ich ging danach ab und zu allein zur Polizeistation. Irgendwie würde es schon weitergehen.

      Wie sollte ich die Situation Freunden und Familie in Cambridge erklären? Ich drückte mich einfach und schrieb, wie wundervoll Palapye war, wie das Abendrot zwischen den Hügeln hinter dem Komplex glühte. Reine Magie.

      Wie Tony mir dabei half, etwas über Claires Verschwinden herauszufinden, wie hilfsbereit die Polizei war… Kurzum, ich log was das Zeug hielt.

      Die Sonnenuntergänge waren zwar spektakulär, aber Tony bemühte sich nicht gerade. Und die Polizei schon mal gar nicht. Was sollte ich bloß tun?

      Ich würde nach Gaborone fahren und mit der Polizei dort sprechen