Evadeen Brickwood

Singende Eidechsen


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Film. Dafür gab es eine Menge roter Erde, grauen Sand, staubige Pflanzen und glühende Hitze. Es gab viel zu wenig Leute zum Unterhalten und zu viel Zeit zum Nachdenken.

      Eine Woche später erwies mir Mrs. Poppelmeyer noch einmal die Ehre. Es war niemand sonst greifbar, deshalb beschwerte sie sich wohl bei mir bitterlich über ihren Gärtner, der eine Arbeitshose zerrissen hatte. Er war nicht wieder erschienen, nachdem sie ihm richtigerweise 10 Pula vom Monatslohn abgezogen hatte.

      War ihr denn nicht klar, dass der Ärmste von den 50 Pula, die er im Monat verdiente, seine Familie ernähren musste? Wenn ich mich richtig erinnere, waren 10 Pula im Jahr 1988 etwa 1 Pfund Sterling wert. Ein Vermögen für einen einfachen Gärtner.

      “Als mein Mann und ich in Bolivien wohnten, wo er natürlich der Schuldirektor eines sehr wichtigen Colleges war, wäre so etwas nicht vorgekommen. Das Personal spurte. Mein Mann brauchte nur zu sagen ‘Hey chico, komm her und mach’ das hier’ und der Dienstbote gehorchte. Aber diese Schwarzen sind so schwierig —” grollte sie.

      Ich sagte lieber nichts dazu und machte mich wieder an meine Gartenarbeit mit der Notlüge, dass Tony alles bis Tagesende fertig haben wollte.

      Danach behelligte mich Ethel nicht mehr. Einige Zeit später hörte ich Gerüchte, dass sie wieder nach Cobblestead zurückgegangen war. Ethel hatte ihren ach so hart arbeitenden Ehemann einfach in der afrikanischen Wildnis zurückgelassen.

      Ein anderer Nachbar war wieder aus England eingetroffen. Alfred Jones wohnte links neben Tony. Er unterrichtete Holzwerken und war ein richtiges Original. Seine hochschwangere Frau war lieber in Cardiff geblieben.

      Alfred war ein kräftiger Bursche und ziemlich verschroben. Er hatte ungekämmte graue Haare und einen drahtigen Bart, hinter dem sich fast sein ganzes Gesicht verbarg.

      Er schrieb seiner Frau Judith jeden Tag einen Brief. Meist am Nachmittag, bevor er sich auf seiner Veranda ein paar Biere hinter die Binde kippte. Manchmal nahm er mich zur Polizeistation mit, wenn er den Brief aufgab. Alfred Jones konkurrierte mit mir auch schon mal um das Telefon im Botsalo Hotel.

      Tony lud ihn öfter mal zu einem Gespräch ein, damit er nicht ganz so einsam war. Es war ein Anblick für die Götter, wenn unser Nachbar mit einer Kerze in der Hand, umständlich auf einen Stuhl stieg und über den Zaun kletterte. Stromausfälle waren keine Seltenheit.

      Bei einer solchen Gelegenheit hatte er mal in der Dunkelheit meine Hand ergriffen und sie festgehalten – vollkommen betrunken natürlich. Hinterher konnte er sich an nichts mehr erinnern, aber Tony hatte das mit der Kerze vorgeschlagen.

      Der Schulbeginn rückte näher und die Frauen zweier Tswana-Lehrer waren damit beschäftigt sich im Komplex häuslich niederzulassen.

      Sie bereiteten den lieben langen Tag Mahlzeiten für ihre Großfamilien zu. Das Hauptgericht hieß Mielie Pap und wurde im Garten in dreibeinigen, schwarzen Eisentöpfen gekocht. Der feste Brei bestand aus gestampftem weißen Mais und das hölzerne Stampfen war ständige Hintergrundmusik. Es ging Ethel Poppelmeyer sicher schrecklich auf die Nerven.

      Dazu gab es meist Maroch, wilden Spinat. Die Frauen liefen auch ständig hinter ihren Kindern her und wuschen Kleider oder beaufsichtigten junge Mädchen dabei.

      Leider konnten wir uns nicht verständigen. Mein Setswana existierte fast gar nicht. Eine ausführliche Unterhaltung war deshalb ausgeschlossen. Mrs. Matija, eine Matrone mit fünf kleinen Kindern, brachte es immerhin fertig, mich auf Englisch zu begrüßen und dabei kichernd ihre Füße zu betrachten.

      “Guten Morgen, Mrs. Matija, wie geht es Ihnen? Oh, ist das Ihr jüngstes? Hallo.”

      “Guten Morgen, Miss Reynole.” Das war schon alles.

      Ihr Mann war einer der leitenden Lehrkräfte am Berufszentrum. Eine Stellung, die er mit Würde und Sinn für Tradition wahrnahm.

      Es war mittlerweile klar, dass mein Aufenthalt länger wurde als erwartet. Es blieb mir nichts anderes übrig, ich musste Setswana lernen.

      Tsanana, unsere Maid, kam jeden Tag aus dem Dorf und machte bei Alfred und Tony sauber. Sie war das einzige weibliche Wesen, mit dem ich mich einigermaßen unterhalten konnte. Sie war zur Schule gegangen und – oh Glück - sprach ein wenig Englisch. Während sie putzte, brachte Tsanana mir Einfaches auf Setswana bei: “Dumela mma - Guten Tag, Madam.”; “Dumela ra - Guten Tag, Sir.”; “Le kai? - Wie geht es Ihnen?”; “Re teng - Mir geht es gut.”; “Ke utlwa Setswana gologonje - Ich verstehe ein wenig Setswana.”

      Ich musste die Sätze wie ein Papagei wiederholen. Aber sie war geduldig, auch wenn es mit der Aussprache nicht gleich klappte. Oh, all diese ‘g’ Laute, die wie ein hartes ‘ch’ ausgeprochen wurden. Und dann gab es da die kleinen Eigenheiten, die ich mir merken musste. Zum Beispiel, dass ‘ph’ wie ‘p’ und ‘sh’ wie ‘s’ gesprochen wurde und dass ein ‘er’ sich oft unerklärlicherweise in eine ‘sie’ verwandelte.

      Endlich brachte ich einen einfachen Gruß auf Setswana zustande: “Dumela”. Das war noch nicht genug für eine Unterhaltung, aber immerhin ein Anfang. Nachmittags trommelte der Regen auf das Blechdach und wir mussten lauter sprechen.

      “Tsanana, warum sehen die Leute mich nicht an, wenn ich mit ihnen spreche?” wollte ich wissen. Die seltsame Angewohnheit auf die Füße zu starren war mir bei den Einheimischen immer wieder aufgefallen.

      “Nein Madam, sie schaut auf die Füße aus Respekt!” erklärte Tsanana mir geduldig. Das war natürlich das genaue Gegenteil von Respekt in der westlichen Kommunikation.

      Tsanana nannte mich immer noch Madam. Die afrikanischen Hierarchieregeln waren da streng. Sie war ganz erschrocken als ich ihr das ‘Du’ anbot.

      ‘Oh Madam, ich darf Mma nicht Bridget nennen. Muss Respekt zeigen,’ hatte sie gesagt.

      Sie weigerte sich auch mit mir in einem Zimmer zu essen oder gar am selben Tisch. Das war undenkbar. Stattdessen saß sie auf dem Küchenboden. Der Fußboden war sehr sauber, aber verstehen konnte ich das trotzdem nicht.

      Tsanana bestand darauf, dass es ihre Kultur so verlangte. Sie musste Respekt zeigen. Wir waren als ihre Arbeitgeber so etwas wie ältere Angehörige. So war das eben. Wenn jemand herausbekam, dass sie uns nicht genug Respekt entgegenbrachte, gab es Schwierigkeiten. Wie konnte ich da nicht nachgeben?

      Die Kommunikation mit England war schleppend. Von den Anrufen einmal abgesehen, waren Briefe der einzige Kontakt zur Außenwelt.

      Mit einiger Verspätung hielten sie mich über das Leben in Cambridge auf dem Laufenden. Zum Beispiel erfuhr ich von Zahida, dass David eine neue Freundin hatte. Ich kannte Pippa und wusste, dass sie bei weitem nicht so querköpfig war wie ich.

      Gut, David hatte endlich die Richtige gefunden. Keine Eifersucht, kein Schmerz. Nur ein wenig Heimweh. Kneipen und Kinobesuche erschienen mir mittlerweile sehr verlockend. Und wie ich zu meiner Schande gestehen musste, vermisste ich das britische Fernsehen.

      Aber je mehr ich mich an meine afrikanische Umgebung gewöhnte, desto weniger fehlte mir das Kneipenessen und die nächste Folge von Coronation Street.

      Ich schrieb eifrig zurück. Über den Vogelgesang am Morgen, Tonys Garten und den erdigen Geruch der Savanne. Über Mrs. Poppelmeyer und wie lautstark sich die Tswanas auf der Straße unterhielten.

      Aber sie interessierten sich mehr für meine bislang erfolglose Suche nach Claire und fragten danach. Nur wie sollte ich ihnen die unüberwindlichen Hürden erklären, die sich in Botswana vor mir auftürmten? Wie naiv ich gewesen war, als ich dachte, man könne hier einfach in einen Bus oder Zug steigen und drauflossuchen. Die Infrastruktur war hoffnungslos vorsintflutlich.

      Bobonong war ja angeblich in der Nähe von Palapye. Ich wollte unbedingt dorthin. Und von dort aus zum Tuli Block. Aber sogar mit einem Auto war die anstrengende Fahrt durch Regen und Schlamm ziemlich wahrscheinlich von Misserfolg gekrönt.

      Es gab kaum Straßenschilder, dafür aber eine Menge Abzweigungen. Zudem war Tonys Toyota gerade in der Werkstatt. Ich konnte noch nicht mal zum Botsalo fahren, um das Reservat im Tuli Block anzurufen.