Der Stein kommt ins Rollen 1561–1563 Die ersten drei Jahre, welche die junge Königin als Königswitwe in Schottland verbringt, gehen ziemlich windstill und ereignislos dahin: es gehört zur besonderen Form ihres Schicksals, daß alles große Geschehen sich bei ihr immer (und dies hat die Dramatiker so sehr angezogen) in ganz kurze und elementare Episoden zusammenballt. Moray und Maitland regieren, Maria Stuart repräsentiert in jenen Jahren, und diese Teilung der Macht erweist sich als vortrefflich für das ganze Reich. Denn sowohl Moray als auch Maitland regieren klug und vorsichtig, Maria Stuart wiederum repräsentiert ausgezeichnet. Von Natur mit Schönheit und Anmut bedacht, wohlgewandt in allen ritterlichen Künsten, eine männlich kühne Reiterin, eine geschickte Ballspielerin, eine leidenschaftliche Jägerin, gewinnt sie schon durch ihre äußere Erscheinung allgemeine Bewunderung: mit Stolz blickt das Volk von Edinburgh auf die Stuartstochter, wenn sie frühmorgens, den Falken in der erhobenen Faust, inmitten der farbenleuchtenden Kavalkade ausreitet und freundlich-freudig jeden Gruß erwidert: etwas Heiteres, etwas Rührendes und Romantisches, ein Sonnenstrahl von Jugend und Schönheit ist mit dieser mädchenhaften Königin in das strenge und dunkle Land eingezogen, und immer gewinnt Schönheit, immer Jugend eines Herrschers geheimnisvoll die Liebe jeder Nation. Die Lords achten wiederum das Männlich-Kühne ihres Wesens. Tagelang kann diese junge Frau in wildestem Galopp ihrem Gefolge als erste und unermüdlichste voranstürmen; wie unter ihrer herzgewinnenden Freundlichkeit die Seele noch unausgefaltet einen ehernen Stolz, so verbirgt dieser gertenschlanke, zarte, leichte und fraulich-weiche Körper eine ungewöhnliche Kraft. Keine Anstrengung ist ihrem heißen Mute zuviel, und einmal, mitten in der Lust des wilden Hinjagens zu Pferde, sagt sie einem Begleiter, sie möchte gerne ein Mann sein, um auch dies zu kennen, wie es sei, die ganze Nacht im Felde zu verbringen. Als der Regent Moray gegen den aufständischen Clan der Huntlys in den Krieg zieht, reitet sie entschlossen mit, den Degen an der Seite, die Pistolen im Gürtel; wundervoll behagt ihr das heiße Abenteuer mit seinem neuen starken Reiz von Wildheit und Gefahr, denn sich ganz einzusetzen mit ihrer ganzen Kraft, ihrer ganzen Liebe, ihrer ganzen Leidenschaft, ist das innerste Seelengeheimnis dieser entschlossenen Natur. Aber einfach und ausdauernd wie ein Jäger, wie ein Krieger auf diesen Ritten und Fahrten, vermag sie anderseits wieder mit höchster Kunst und Kultur in ihrem Schloß als Herrscherin zu wirken, die Heiterste, die Liebenswürdigste in ihrer kleinen Welt: wahrhaftig vorbildlich vereinigt ihre knappe Jugend das Ideal des Zeitalters, Mut und Leichtigkeit, das Starke und das Milde in ritterlich romantischer Erscheinung. Ein letztes Scheidelicht troubadourischer Chevalerie leuchtet mit ihrer Gestalt in die nebelig kühle Nordwelt, die der Schatten der Reformation schon verdüstert. Niemals hat das Bild dieser romantischen Mädchenfrau oder Mädchenwitwe strahlender erglänzt als in diesem ihrem zwanzigsten, ihrem einundzwanzigsten Jahr: auch hier kommt ihr Triumph, weil unverstanden und ungenützt, zu früh. Denn immer noch ist ihr inneres Leben nicht voll erwacht, noch weiß die Frau in ihr nicht um den Willen ihres Blutes, noch hat sich ihre Persönlichkeit nicht geformt, nicht entwickelt. Immer nur in der Erregung, in der Gefahr wird die wahre Maria Stuart sich enthüllen, jene ersten Jahre in Schottland aber sind nur eine gleichgültige Wartezeit, ein zielloses spielendes Zeitverbringen, ein Sichbereithalten, ohne daß der innere Wille schon wüßte, wofür und für wen. Es ist wie das Atemholen vor einer großen, einer entscheidenden Anstrengung, ein blasser, ein toter Augenblick. Denn Maria Stuart, die als halbes Kind schon Frankreich zu eigen gehabt, genügt innerlich keineswegs dies karge Königsein in Schottland. Nicht um dieses arme, enge, abseitige Land zu beherrschen, ist sie in ihre Heimat zurückgekehrt; von allem Anbeginn betrachtet sie diese Krone nur als Einsatz, um im Weltspiel eine glänzendere zu gewinnen, und vollkommen irren alle jene, die meinen oder bekunden, Maria Stuart hätte nichts anderes und Höheres gewünscht, als das Erbgut ihres Vaters still und friedlich als brave Erbwalterin der Schottenkrone zu regieren. Wer ihr so engen Ehrgeiz zumißt, verkleinert ihr seelisches Maß, denn in dieser jungen Frau lebt ein unzähmbarer, ein unbändiger Wille zu großer Macht; nie wird, die mit fünfzehn Jahren in der Kathedrale von Notre-Dame einem Königssohn von Frankreich vermählt wurde, die im Louvre prunkvoll als Gebieterin von Millionen gefeiert worden war, sich begnügen, Herrscherin zu sein über zwei Dutzend unbotmäßige und halbbäuerliche Grafen und Barone, Königin über ein paar hunderttausend Schafhirten und Fischer. Nichts ist künstlicher und unwahrhaftiger, als ihr a posteriori ein patriotisches Nationalgefühl anzudichten, das in Wahrheit eine Entdeckung späterer Jahrhunderte ist. Die Fürsten des fünfzehnten, des sechzehnten Jahrhunderts – mit Ausnahme ihrer großen Gegenspielerin Elisabeth – denken an ihren Völkern damals noch völlig vorbei und einzig an die persönliche Macht. Wie Kleider werden Reiche zusammengeschneidert und auseinandergestückelt, Krieg und Heirat formen die Staaten und nicht die innere Bestimmung der Nation. Man täusche sich also nicht sentimental: Maria Stuart war damals bereit, Schottland gegen den spanischen, den englischen, den französischen und jeden beliebigen Thron einzutauschen, keine Träne hätte sie wahrscheinlich der Abschied von den Wäldern und Seen und romantischen Schlössern ihrer Heimat gekostet; denn niemals hat ihr leidenschaftlicher Ehrgeiz dies ihr kleines Reich anders als ein Sprungbrett zu einem höheren Ziel gewertet. Durch Erbschaft weiß sie sich zur Herrscherin berufen, durch Schönheit und Kultur jeder Krone Europas würdig, und mit der gleichen unklaren Leidenschaft wie andere Frauen ihres Alters von unermeßlicher Liebe, träumt ihr Ehrgeiz einzig von unermeßlicher Macht. Darum überläßt sie auch zu Anfang Moray und Maitland die Staatsgeschäfte ohne jede Eifersucht und sogar ohne wirklich teilnehmendes Interesse; neidlos – was gilt ihr, der früh Gekrönten, der vom Schicksal zu früh Verwöhnten dies arme enge Land? – läßt sie beide schalten und regieren. Niemals war Verwalten, Vermehren ihres Besitzes, diese höchste politische Kunst, Maria Stuarts Stärke. Sie kann nur verteidigen und nicht bewahren. Erst wenn ihr Recht bedroht, wenn ihr Stolz herausgefordert wird, erst wenn ein fremder Wille nach ihrem Anspruch greift, dann erwacht, wild und stoßhaft, ihre Energie: nur in den großen Augenblicken wird diese Frau groß und tatkräftig, jede mittlere Zeit findet sie mittelmäßig und gleichgültig. In dieser stillen Zeit wird auch die Gegnerschaft ihrer großen Rivalin still; denn immer wenn das hitzige Herz Maria Stuarts Ruhe hält und sich bescheidet, beruhigt sich Elisabeth. Einer der bedeutendsten politischen Vorzüge dieser großen Realistin war es von je, Tatsachen anzuerkennen und dem Unvermeidlichen nicht eigenwillig zu widerstreben. Mit aller Macht hatte sie sich der Heimkehr Maria Stuarts nach Schottland entgegengestellt und alles getan, um sie hinauszuschieben; nun, da sie erfolgt ist, kämpft Elisabeth nicht weiter gegen die unumstößliche Tatsache und tut lieber alles, um mit ihrer Rivalin, solange sie sie nicht beseitigen kann, in ein freundliches Verhältnis zu kommen. Elisabeth – dies eine der stärksten positiven Eigenschaften ihres irrlichternden und eigenwilligen Charakters – liebt als kluge Frau nicht den Krieg, sie hat ängstliche Scheu vor gewaltsamen und verantwortlichen Entscheidungen; als berechnende Natur zieht sie lieber aus Verhandlungen und Verträgen ihren Vorteil und sucht die Oberhand durch geschicktes geistiges Spiel. Kaum daß Maria Stuarts Rückkehr nach Schottland gewiß war, hatte Lord Moray Elisabeth in beweglichen Worten gemahnt, mit ihr redliche Freundschaft zu schließen. »Ihr seid beide zwei junge, hervorragende Königinnen, und Euer Geschlecht sollte Euch nicht erlauben, Euren Ruhm durch Krieg und Blutvergießen erhöhen zu wollen. Jede von Euch weiß, von welchem Anlaß das feindliche Gefühl zwischen Euch seinen Ursprung genommen hat, und ich wünschte vor Gott, meine Herrin, die Königin, hätte es niemals auf sich genommen, einen Anspruch oder Titel auf das Reich Eurer Majestät zu erheben. Trotzdem hättet Ihr beide Freunde sein und bleiben müssen. Da sie aber ihrerseits einmal diesen Gedanken geäußert hat, fürchte ich, wird immer zwischen Euch Mißverstehen walten, solange dieser Anstoß nicht aus dem Wege geräumt ist. Eure Majestät kann nicht nachgeben in diesem Punkte, und sie wieder mag es als hart empfinden, da sie England durch ihr Blut so nahesteht, dort als Fremde behandelt zu werden. Wäre hier nicht ein mittlerer Weg möglich?« Elisabeth zeigt sich für einen solchen Vorschlag nicht unempfänglich; als bloße Königin von Schottland und unter der Hut ihres Pensionärs Moray ist Maria Stuart ihr ja vorderhand nicht mehr so gefährlich, wie sie es als Doppelkönigin von Frankreich und Schottland gewesen. Warum nicht ihr Freundschaft bezeigen, ohne sie im innersten Herzen zu empfinden? Bald kommt