herrenmäßig und herdenmäßig ihre Bauern und Schäfer als Schlachtvieh mitschleppend auf ihre ewigen Kleinkämpfe und Raubzüge, kennen diese unbeschränkten Gebieter ihrer Clans keine andere Daseinsfreude als den Krieg, Streit ist ihre Lust, Eifersucht ihr Antrieb, Machtgier ihr Lebensgedanke. »Geld und Vorteil«, schreibt der französische Gesandte, »sind die einzigen Sirenen, denen die schottischen Lords lauschen. Ihnen Pflicht gegen ihre Fürsten, Ehre, Gerechtigkeit, Tugend, edle Handlungen predigen zu wollen hieße sie zum Lachen reizen.« Ähnlich den Condottieri Italiens in ihrer amoralischen Rauflust und Raublust, nur unkultivierter und hemmungsloser in ihren Instinkten, wühlen und streiten sie unablässig um den Vorrang, die alten mächtigen Clans der Gordons, der Hamiltons, der Arrans, der Maitlands, der Crawfords, der Lindsays, Lennox und Argylls. Bald scharen sie sich feindlich gegeneinander in jahrelangen Feuds, bald beschwören sie in feierlichen Bonds eine kurzfristige Treue, um sich gegen einen Dritten zusammenzuschließen, immer bilden sie Klüngel und Rotten, aber keiner hält innerlich zu keinem, und jeder, obwohl mit jedem versippt und verschwägert, bleibt des andern unerbittlicher Neidling und Feind. Etwas Heidnisches und Barbarisches lebt in ihren wilden Seelen ungebrochen weiter, gleichgültig, ob sie sich Protestanten oder Katholiken nennen – je wie es der Vorteil will –, in Wahrheit aber Enkelsöhne Macbeths und Macduffs sie alle, der blutigen Thane, wie sie Shakespeare großartig gesehen.
Nur bei einem Anlaß wird diese unzähmbare eifersüchtige Bande sofort einig: immer wenn es gilt, den gemeinsamen Herrn, den eigenen König niederzuhalten, denn ihnen allen ist Gehorsam gleich unerträglich und Treue gleich unbekannt. Wenn dieses »parcel of rascals« – Burns, der Urschotte, hat sie so gebrandmarkt – ein Schattenkönigtum über ihren Burgen und Besitzen überhaupt noch duldet, so geschieht dies einzig aus Eifersucht eines Clans gegen den andern. Die Gordons lassen den Stuarts nur deshalb die Krone, damit sie nicht an die Hamiltons falle, und die Hamiltons aus Eifersucht gegen die Gordons. Aber wehe, wenn ein König von Schottland einmal wirklich wagen will, Herrscher zu sein und Zucht und Ordnung im Lande zu erzwingen, wenn er im ersten Jugendmut dem Hochmut und der Raffgier der Lords entgegenzutreten sucht! Dann ballt sich sofort das feindselige Pack brüderlich zusammen, um seinen Herrscher machtlos zu machen, und gelingt es nicht mit dem Schwert, so besorgt verläßlich der Mörderdolch diesen Dienst.
Es ist ein tragisches, von düsteren Leidenschaften zerrissenes Land, finster und romantisch wie eine Ballade, dieses meerumfangene kleine Inselreich im letzten Norden Europas, und überdies noch ein armes Land. Denn alle Kraft zerstört hier der ewige Krieg. Die paar Städte, die eigentlich keine sind, sondern nur unter dem Schutz einer Festung zusammengekrochene Armeleutehäuser, können, weil immer wieder geplündert und verbrannt, nie zu Reichtum oder bloß zu bürgerlicher Wohlfahrt gelangen. Die Adelsburgen wieder, düster und gewalttätig noch heute in ihren Ruinen aufragend, stellen keine wirklichen Schlösser dar mit Prunk und höfischer Pracht; sie sind dem Krieg als uneinnehmbare Festungen zugedacht und nicht der milden Kunst der Gastlichkeit. Zwischen diesen wenigen großen Sippschaften und ihren Hörigen fehlt vollkommen die nährende, staatserhaltende Kraft eines schöpferischen Mittelstandes. Das einzige dichtbesiedelte Gebiet zwischen Tweed und Firth liegt zu nahe der englischen Grenze und wird immer wieder durch Einfälle zerstört und entvölkert. Im Norden aber kann man stundenlang wandern an verlassenen Seen, durch öde Weiden oder dunkle nordische Wälder, ohne ein Dorf zu sehen oder eine Burg oder eine Stadt. Nicht drängt sich wie in den überfüllten europäischen Ländern Ort an Ort, nicht tragen breite Straßen Verkehr und Handel ins Land, nicht wie in Holland und Spanien und England fahren von den bewimpelten Reeden Schiffe aus, um von fernen Ozeanen Gold und Gewürz heimzuführen; karg bringen sich hier noch mit Schafzucht und Fischfang und Jagd wie in patriarchalischen Zeiten die Leute durchs Leben: in Gesetz und Sitte, an Reichtum und Kultur steht das damalige Schottland hinter England und Europa zumindest um hundert Jahre zurück. Während in allen Küstenstädten mit dem Anbruch der Neuzeit schon die Banken und Börsen zu blühen beginnen, wird hier wie in biblischen Tagen aller Reichtum noch nach Land und Schafen gemessen; zehntausend besitzt James V., Maria Stuarts Vater, sie sind seine ganze Habe. Ihm eignet kein Kronschatz, er hat keine Armee, keine Leibgarde zur Sicherung seiner Macht, denn er könnte sie nicht bezahlen, und das Parlament, in dem die Lords entscheiden, wird nie seinem König wirkliche Machtmittel bewilligen. Alles, was dieser König über die nackte Notdurft besitzt, wird ihm von seinen reichen Verbündeten, von Frankreich und vom Papst, geliehen oder geschenkt, jeder Teppich, jeder Gobelin, jeder Leuchter in seinen Gemächern und Schlössern ist mit einer Demütigung erkauft.
Diese ewige Armut ist die eiternde Schwäre, die Schottland, diesem schönen edlen Lande, die politische Kraft aus dem Leibe saugt. Denn durch die Bedürftigkeit und Begehrlichkeit seiner Könige, seiner Soldaten, seiner Lords bleibt es ständig ein blutiger Spielball fremder Mächte. Wer gegen den König und für den Protestantismus streitet, erhält seinen Sold von London, wer für den Katholizismus und die Stuarts, von Paris, Madrid und Rom: alle diese auswärtigen Mächte zahlen gern und willig für das schottische Blut. Noch immer schwankt zwischen den beiden großen Nationen, zwischen England und Frankreich, die letzte Entscheidung, darum ist dieser nächste Nachbar Englands für Frankreich ein unersetzlicher Partner im Spiel. Jedesmal, wenn die englischen Armeen in die Normandie vorbrechen, zielt Frankreich schleunig mit diesem Dolch gegen Englands Rücken; sofort stoßen dann die allezeit kriegsfrohen Schotten über die »Border«, gegen ihre »auld enimies« vor, und auch in Friedenszeit bilden sie eine stete Bedrohung. Schottland militärisch zu stärken ist die ewige Sorge der französischen Politik und nichts darum natürlicher, als daß seinerseits England diese Macht durch Aufhetzung der Lords und ständige Rebellionen zu brechen trachtet. So wird dieses unglückselige Land zum blutigen Blachfeld eines hundertjährigen Krieges, und erst im Schicksal dieses noch ahnungslosen Kindes wird er sich endlich endgültig entscheiden.
Es ist ein prachtvoll dramatisches Symbol, daß dieser Kampf tatsächlich schon an Maria Stuarts Wiege beginnt. Noch kann dieses Wickelkind nicht sprechen, nicht denken, nicht fühlen, kaum seine winzigen Händchen im Steckkissen bewegen, und schon greift die Politik nach ihrem unentfalteten Körper, nach ihrer ahnungslosen Seele. Denn das ist Maria Stuarts Verhängnis, ewig gebannt zu sein in dieses rechnerische Spiel. Nie wird ihr gegönnt sein, ihr Ich, ihr Selbst unbekümmert auszuwirken, immer wird sie verstrickt bleiben in Politik, Objekt der Diplomatie, Spielball fremder Wünsche, immer nur Königin, Kronanwärterin, Verbündete oder Feindin sein. Kaum hat der Bote die beiden Nachrichten gemeinsam nach London gebracht, daß James V. gestorben und seine neugeborene Tochter Erbin und Königin von Schottland sei, so beschließt Heinrich VIII. von England, für seinen unmündigen Sohn und Erben Eduard eiligst um diese kostbare Braut zu werben; über einen noch unfertigen Körper, über eine noch schlafende Seele wird wie über eine Ware verfügt. Aber Politik rechnet niemals mit Gefühlen, sondern mit Kronen, Ländern und Erbrechten. Der einzelne Mensch ist für sie nicht vorhanden, er zählt nicht gegenüber den sichtlichen und sachlichen Werten des Weltspiels. In diesem besonderen Falle ist allerdings der Gedanke Heinrichs VIII., die Thronerbin Schottlands mit dem Thronerben Englands zu verloben, ein vernünftiger und sogar ein humaner. Denn längst schon hat dieser unablässige Krieg zwischen den Bruderländern keinen Sinn mehr. Auf derselben Insel im Weltmeer wohnhaft, vom selben Meere umschirmt und umstürmt, verwandter Rasse und ähnlich in den Lebensbedingungen, ist den Völkern Englands und Schottlands zweifellos eine einzige Aufgabe gesetzt: sich zu vereinigen; sinnfällig hat die Natur hier ihren Willen ausgesprochen. Nur die Eifersucht der beiden Dynastien, der Tudors und der Stuarts, steht diesem letzten Ziel noch hemmend entgegen; gelingt es aber nun, durch eine Heirat den Widerstreit der beiden Herrscherhäuser in Bindung zu verwandeln, so können die gemeinsamen Nachkommen der Stuarts und der Tudors zugleich Könige von England und Schottland und Irland sein, ein geeintes Großbritannien kann in den höheren Kampf eintreten: in das Ringen um die Oberherrschaft der Welt.
Aber Verhängnis: immer wenn in der Politik ausnahmsweise eine klare und logische Idee in Erscheinung tritt, wird sie durch törichte Ausführung verdorben. Im Anfang scheint alles trefflich zu glücken. Die Lords, denen rasch Geld in die Taschen geschoben wird, stimmen freudig dem Ehevertrag zu. Doch ein bloßes Pergament genügt dem gewitzten Heinrich VIII. nicht. Zu oft hat er die Heuchelei und Habgier dieser Ehrenmänner erprobt, um nicht zu wissen, daß diese Unzuverlässigen ein Vertrag niemals bindet und daß sie bei höherem Angebot sofort bereit sein werden, die Kindkönigin an den französischen