begrüßt werden solle, als ob sie seine eigene Tochter wäre. So erwartet Maria Stuart schon in Nantes eine Fülle bezaubernder Aufmerksamkeiten. Nicht nur sind an allen Straßenecken Galerien mit klassischen Emblemen, Göttinnen, Nymphen und Sirenen errichtet, nicht nur wird die Laune der Begleitmannschaft durch ein paar Fässer köstlichen Weines aufgelockert, nicht nur werden Feuerwerke und Artilleriesalven zu ihren Ehren abgefeuert – auch eine liliputanische Armee, hundertfünfzig kleine Kinder, alle unter acht Jahren, marschieren in ihren weißen Kleidchen, zu einer Art Ehrenregiment zusammengefaßt, mit Pfeifen und Trommeln, mit Miniaturpiken und Hellebarden jubelnd der kleinen Königin voran. Und so geht es von Ort zu Ort: in einer ununterbrochenen Folge von Festen gelangt die Kind-Königin Maria Stuart endlich nach Saint-Germain. Dort erblickt das noch nicht sechsjährige Mädchen zum erstenmal seinen Bräutigam, einen viereinhalbjährigen, schwachen, fahlen und rachitischen Knaben, den das vergiftete Blut von vornherein zu Siechtum und frühem Tode bestimmt und der scheu und schüchtern seine »Braut« begrüßt. Um so herzlicher aber empfangen sie die andern Mitglieder der königlichen Familie, von ihrer kindlichen Anmut entzückt, und Heinrich II. nennt sie in einem Briefe begeistert »la plus parfayt entfant que je vys jamès«.
Der französische Hof stellt in jenen Jahren einen der glänzendsten und großartigsten der Welt dar. Eben ist das Mittelalter mit seiner Verdüsterung dahingegangen, aber noch liegt ein letztes romantisches Leuchten sterbenden Rittertums auf diesem Übergangsgeschlecht. Noch wirken sich Kraft und Mut in der Freude an der Jagd, an Ringelstechen und Turnieren, an Abenteuer und Krieg in alter harter Art männlich aus, doch schon hat sich das Geistige Herrenrecht gewonnen im Kreise der Herrschenden und der Humanismus nach den Klöstern und Universitäten die Königsschlösser erobert. Von Italien her ist die Prunkliebe der Päpste, das geistig-sinnliche Genießertum der Renaissance, die Freude an den schönen Künsten siegreich nach Frankreich vorgedrungen, und so entsteht hier in dieser Weltminute eine fast einzigartige Bindung von Kraft und Schönheit, von Mut mit Sorglosigkeit: die hohe Kunst, den Tod nicht zu fürchten und dennoch das Leben sinnlich zu lieben. Natürlicher und freier als irgendwo gattet sich im französischen Wesen Temperament mit Leichtigkeit, die gallische »Chevalerie« wird wunderbar eins mit der klassischen Kultur der Renaissance. Zugleich wird von einem Edelmann gefordert, bei dem Turnier im Panzerrock den Gegner wuchtig mit der Lanze anzureiten und mit anmutvoller Wendung die künstlichsten Figuren des Tanzes vorbildlich auszuführen, er muß die rauhe Kriegswissenschaft ebenso meistern wie die zarten Gesetze der höfischen Courtoisie; dieselbe Hand, die den pfundigen Zweihänder im Nahkampf führt, muß verstehen, zärtlich die Laute zu schlagen und einer geliebten Frau Sonette zu schreiben: beides in einem zu sein, stark und zart, rauh und kultiviert, kampfgeübt und kunstgebildet, ist das Ideal der Zeit. Tagsüber setzen der König und seine Edelleute mit schäumenden Rüden stundenlang den Hirschen und Ebern nach, Speere werden gebrochen und Lanzen zerspellt, aber abends versammeln sich in den Sälen der großartig erneuerten Schlösser des Louvre oder von Saint-Germain, Blois und Amboise die Edelleute und Edeldamen zu geistiger Unterhaltung. Verse werden vorgelesen, Madrigale gesungen, Musik wird gemacht, in Maskenspielen der Geist der klassischen Literatur erweckt. Die Gegenwart der vielen schönen und geschmückten Frauen, das Werk von Dichtern und Malern wie Ronsard, Du Bellay und Clouet verleiht diesem fürstlichen Hofe eine einzige Farbigkeit und Freudigkeit, die sich in allen Formen der Kunst und des Lebens verschwenderisch ausdrückt. Wie überall in Europa vor dem unglückseligen Glaubenskrieg steht Frankreich damals vor einem Aufschwung zu großer Kultur.
Wer an solchem Hofe leben, und vor allem, wer an solchem Hofe dereinst als Gebieter herrschen soll, muß sich diesen neuen kulturellen Forderungen anpassen. Er muß zur Vollendung streben in allen Künsten und Wissenschaften, er muß seinen Geist ebenso zu schmeidigen wissen wie seinen Körper. Ewig wird es eines der herrlichsten Ruhmesblätter des Humanismus bleiben, daß er gerade jenen, die im obern Kreise des Lebens wirken wollen, Vertrautheit mit allen Künsten zur Pflicht macht. Kaum je zu einer Zeit wurde so eindringlich nicht nur bei den Männern von Stande, sondern auch bei den Edelfrauen – eine neue Epoche hat damit begonnen – auf vollendete Erziehung geachtet. Wie Maria von England und Elisabeth muß Maria Stuart ebenso die klassischen Sprachen studieren, Griechisch und Latein, wie die zeitgenössischen, Italienisch, Englisch und Spanisch. Aber dank eines hellen und geschwinden Geistes und der von ihren Ahnen ererbten Kulturfreude wird dem begabten Kinde jede Mühe zum Spiel. Bereits mit dreizehn Jahren rezitiert sie, die aus den Colloquien des Erasmus ihr Latein gelernt hat, vor dem ganzen Hof im Saale des Louvre eine selbstverfaßte lateinische Rede, und stolz kann ihr Oheim, der Kardinal von Lothringen, an Maria Stuarts Mutter, Marie von Guise, berichten: »Ihre Tochter ist so gewachsen und wächst jeden Tag so sehr an innerer Größe, Schönheit und Klugheit, daß sie bereits in allen guten und ehrenhaften Dingen so vollendet wie nur möglich ist und in diesem Königreich niemand unter den Töchtern des Adels oder der anderen Stände ihr zu vergleichen wäre. Ich darf melden, daß der König so großen Geschmack an ihr findet, daß er oft mehr als eine Stunde sich nur mit ihr befaßt, und sie weiß ihn mit klugen und vernünftigen Reden so gut zu unterhalten wie sonst eine Frau von fünfundzwanzig Jahren!« In der Tat ist die geistige Entwicklung Maria Stuarts eine ganz ungewöhnlich frühzeitige. Bald beherrscht sie das Französische mit derartiger Sicherheit, daß sie auch dichterischen Ausdruck wagen und die huldigenden Verse eines Ronsard und Du Bellay in würdiger Weise zu erwidern vermag; und nicht nur zu gelegentlichem höfischem Spiel, sondern gerade in den Augenblicken innerer Bedrängnis wird sie von nun ab ihr Gefühl am liebsten Versen anvertrauen, die Dichtung liebend und von allen Dichtern geliebt. Aber auch in allen anderen Kunstformen offenbart sie außerordentlichen Geschmack; sie singt anmutig zur Laute, ihr Tanz wird als bezaubernd gerühmt, ihre Stickereien sind Werke nicht nur einer geschickten, sondern auch besonders begabten Hand, ihre Kleidung bleibt diskret und wirkt nie überladen wie die pompösen Glockenroben, in denen Elisabeth stolziert; im schottischen Kilt wie im seidenen Staatskleide erscheint sie mit ihrer mädchenhaften Anmut gleich natürlich. Takt und Schönheitssinn sind bei Maria Stuart von Anfang an natürliche Gaben, und diese ihre hohe und doch nicht theatralische Haltung, die ihr für alle Zeiten die Aura des Poetischen verleiht, wird diese Stuartstochter selbst in den schlimmsten Stunden als kostbares Erbe ihres königlichen Bluts und ihrer fürstlichen Erziehung bewahren. Jedoch auch in sportlichen Dingen steht sie hinter den Gewandtesten dieses ritterlichen Hofes kaum zurück, eine unermüdliche Reiterin, eine leidenschaftliche Jägerin, eine geschickte Ballspielerin; ihr hochgewachsener, schlanker Mädchenkörper kennt bei aller Grazie kein Erschöpfen und Ermatten. Hell und heiter, sorglos und selig trinkt sie aus allen Bechern diese reiche und romantische Jugend, ohne zu ahnen, daß sie damit das reinste Glück ihres Lebens schon unbewußt erschöpft: kaum in einer anderen Gestalt hat das Frauenideal der französischen Renaissance so ritterlich-romantischen Ausdruck gefunden wie in diesem frohen und feurigen Königskind.
Nicht nur die Musen aber, sondern auch die Götter segnen diese Kindheit. Zu den erfreulichen geistigen Gaben ist Maria Stuart auch ungewöhnliche körperliche Anmut verliehen. Kaum wird das Kind zum Mädchen, zur Frau, so wetteifern bereits alle Dichter, ihre Schönheit zu preisen. »In ihrem fünfzehnten Jahr begann ihre Schönheit wie das Licht im hellen Mittag zu erscheinen«, verkündet Brantôme und noch leidenschaftlicher Du Bellay:
»En vôtre esprit le ciel s'est surmonté
Nature et art ont en vôtre beauté
Mis tout le beau dont la beauté s'assemble.«
Lope de Vega schwärmt: »Die Sterne entlehnen ihren schönsten Glanz ihrem Auge und ihren Zügen die Farben, die sie so wunderbar machen«, und Ronsard unterlegt Karl IX. bei dem Tode seines Bruders Franz die folgenden Worte beinahe neidvoller Bewunderung:
»Avoir joui d'une telle beauté
Sein contre sein, valoit ta royauté«
und Du Bellay faßt all das Lob der vielen Beschreibungen und Gedichte in den beseligten Ausruf zusammen:
»Contentez vous mes yeux,
Vous ne verrez jamais une chose pareille.«
Nun sind Dichter immer berufsmäßige Übertreiber, und besonders Hofdichter, sobald es gilt, die Vorzüge ihrer Herrscherin zu