Christina Hupfer

Schleuderkurs


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seine Stimme gedämpft. Er ist immer noch beim Thema: „…Pech gehabt... …war mit dem Abteilungsleiter vom Verkauf, dem Homburger zusammen... …hat eine Neue...“

      Obwohl ich krampfhaft versuche, nicht hinzuhören, kann ich nicht anders. Erfahre ich vielleicht doch gerade, warum es wirklich mit mir und Gerd nicht geklappt hat und gebe damit dem latent vorhandenen Kloß in meinem Hals die Gelegenheit, sich mal wieder ordentlich aufzublähen. Das ist das Schlimme an einer Liebschaft im Betrieb. Jeder weiß davon, und natürlich ist es DER Gesprächsstoff wenn’s schief geht! Trotz fühlbar unterdrückter Schadenfreude, die von nicht wenigen Schreibtischen herüber waberte, habe ich mich täglich an meinen Arbeitsplatz geschleppt und die Zähne zusammen gebissen. Nur an Carolas ehrlichem Mitgefühl und ihrer Taschentücher-Box kam ich nicht vorbei. Jetzt den Druckerraum zu verlassen wäre für beide Seiten peinlich.

      Es sind noch ein paar Kollegen dazugekommen, und das Gespräch wendet sich zu meiner Erleichterung einem anderen Thema zu. Es wird darüber spekuliert, dass Herr Gauweiler von der Abteilung Getriebebau, der vor ein paar Tagen zum Schrecken aller plötzlich gestorben war, Selbstmord begangen haben soll. Er wurde angeblich kurz davor von einem Tag auf den anderen freigestellt, und die Gerüchteküche ist seitdem noch nicht zur Ruhe gekommen. Mike, der den armen Kerl gut gekannt hatte und den das sichtbar bedrückt, wird ausgefragt, kann aber auch nichts Erhellendes beitragen: „Ich habe keinen Schimmer, ob und wenn ja, was er ausgefressen hat. Von oben sickert überhaupt nichts durch.“

      Mich schaudert beim Gedanken an die Ausweglosigkeit, mit der dieser Mann offenbar konfrontiert war.

      „Ich habe keine Ahnung, ob ich hier bei diesem Meeting überhaupt mit dabei sein muss“, mault einer dazwischen und wechselt wiederum das Thema. „Mein Schreibtisch quillt über, und ich habe Besseres zu tun.“

      Bald werden sich alle in den Besprechungsraum begeben, dann kann ich ungesehen hinaus schlüpfen. Derweil studiere ich unser schwarzes Brett. Jemand will einen Kinderwagen verkaufen, ein anderer einen Küchenschrank. Die Tochter von Frau Schwartz bietet Nachhilfe in Mathematik an. Und die von Herrn Ritter möchte gerne Babysitten. Einer sucht einen Nachmieter für seine Wohnung. Meine Augen bleiben an den Fotos hängen. Fünfzehn Kilometer entfernt. Das würde gerade noch gehen. Müsste dann eben doch das Auto behalten. Sie wäre sogar etwas größer als meine. Ein wenig altbacken und verwohnt, der Grundriss nicht gerade praktisch. Aber mit etwas Farbe und viel Phantasie... Doch die Mietkosten! Mir fallen fast die Augen aus dem Kopf. Die sind ja fast so hoch wie meine bisherigen Raten!

      Draußen ist es ruhig geworden. Ich schnappe mir meine Unterlagen, husche über den Flur und sinke in dem überfüllten Raum in der letzten Reihe neben Carola auf den Stuhl. Und wer unterbricht wohl mit dem Knall eines fallenden Papierstapels die Rede des Geschäftsführers? Alle Köpfe drehen sich ruckartig zu mir, während ich meinen roten Kopf schnell unter den Stühlen verstecke und Carolas Kopien und jedes Blatt meiner Präsentation einzeln vom Boden aufsammle. Auf diese Art Aufmerksamkeit hätte ich gerne verzichtet. Auch unser Chef mustert mich mit einem unwilligen Blick und fährt dann fort: “...bedanke mich für die vielen Überstunden, manche auch an den Wochenenden, die die erfolgreiche Einführung erst möglich gemacht haben. Es waren hohe Kosten notwendig, aber Sie werden sehen, es wird sich amortisieren. Ich bitte Sie, nicht nachzulassen in Ihrem Wirken. Dank Ihnen geht es der Firma wieder besser. Wir haben es aus der Talsohle geschafft.“

      Ein Witzbold, Herr Braun — Leiter Versand — murmelt: „aber für ne längst fällige Lohnerhöhung reicht es natürlich nicht.“

      Der Unwille gilt jetzt ihm. Aber Recht hat er. Nur traut sich keiner etwas dazu zu sagen. Gerd, natürlich ganz vorn, direkt neben unseren hohen Herrschaften, dreht sich halb zum gemeinen Volk und lächelt verächtlich. Die Rede geht weiter. Noch ein wenig Lobhudelei. Dann kommt er zu unserem Projekt: „Eine gründliche Schulung aller anderen Mitarbeiter durch die Mitglieder der Projektgruppe ist notwendig. Sie werden Ihnen nachher die Schulungspläne vorstellen...“

      Ich schweife ab, in Gedanken wieder bei meinen eigenen Problemen.

      „...drei neue Leute konnten eingestellt werden. Frau Luise Kaspar hat bereits im Einkauf angefangen.“ Eine Brünette erhebt sich. Ungefähr so groß, wie ich. Sie sieht ganz nett aus.

      „Herr Roland Kramer wird ab sofort die neu geschaffene Abteilung Controlling übernehmen.

      Der schmale Wicht mit der prächtigen Krawatte, der neben Luise Kaspar sitzt, nickt uns zu.

      „Wacht der jetzt darüber, wie oft wir aufs Klo gehen?“ Das war wieder Herr Braun und das höre zu seinem Glück diesmal nur ich — aber mein Prusten hören alle, und ich ernte einen höchst irritierten Blick von meinem Ex. Auch der Redner räuspert sich und schaut streng in meine Richtung: „...und Lukas Bohrer ist der neue Mitarbeiter für die ebenfalls neu geschaffene Stelle ‚Kontinuierliche Verbesserungsplanung‘. Kurz KVP. Er wird eng mit dem Controlling zusammenarbeiten.“

      Misstrauisch wird Bohrer von den meisten gemustert. Sind da etwa Stellen in Gefahr???

      Der Alte kommt zum Schluss: „Wir hoffen, dass sie alle sich gut eingewöhnen. Wir werden Sie nach Kräften unterstützen.“

      Allgemeines Klatschen. Er geht und lässt uns endlich arbeiten. Und ich stelle fest, dass die Stimme, die nach der ‚netten Kleinen’ gefragt hatte, dem Neuen, sehr groß, sehr kräftig, aber nicht dick, diesem Lukas Bohrer gehört. Nette Kleine! Ich mag das nicht. Hätte gleich nach der fragen können, die hier den Kaffee kocht. Ist das nicht auch der, von dem Mike gesagt hatte, er wäre so ein ‚Tüpfeles-Scheißer‘? Kaum da, und schon hätte er an seinen Prospektentwürfen herumkritisiert? Ich mag solche übertrieben gut aussehenden Männer zur Zeit sowieso nicht. Und dieser hier sieht aus wie ne Mischung aus einem Vorabendserienhelden und einem Bergsteigeridol. Die blauen Augen leuchten intensiv in einem kantigen Gesicht, das seine Bräune garantiert der Sonnenbank verdankt. Er gehört bestimmt zur gleichen Gattung wie mein Chef, den es, obwohl er schon über ein Jahr unsere Abteilung leitet, immer noch erstaunt, dass Frauen nicht nur in der Küche werkeln können. Der kaum glaubt, dass sie eine Küchenmaschine bedienen, geschweige denn eine entwickeln können. Und erst recht keine für ein Flugzeug! Aber wenn doch, dann natürlich nur mit Hilfe von Männern.

      Überhebliches Mannsbild! So langsam stinkt es mir gewaltig, dass ich immer nur die ‚Nette‘ bin. Immerhin haben die Herren der Konstruktion und Entwicklung mir einige gute Ideen zu verdanken. Auch wenn unser Abteilungsleiter, der Weber, es immer so hindreht als sei alles auf seinem Mist gewachsen. Aber momentan ist er außer Gefecht. So leid er mir tut, er kann ruhig noch ein Weilchen fortbleiben. Doch ich habe im Moment wirklich andere Sorgen. Wenn ich nochmals unangenehm auffalle, kann ich mir bald auch noch einen neuen Job suchen.

      Die Stunden bis zum Mittag sind ausgefüllt mit der Vorstellung der neuen EDV, der Verteilung von Anweisungen und der Beantwortung unzähliger Fragen, die wiederum weitere Fragen nach sich ziehen. Als wir um dreizehn Uhr endlich unsere Besprechung auflösen und unsere Papiere zusammenpacken, bin ich restlos erschöpft. Höre nur halb, wie sich kleine Grüppchen bilden, neue Erkenntnisse besprochen werden, man sich zum Essen verabredet und wie eine weibliche Stimme im Hintergrund fragt: „Weiß niemand von Ihnen, ob irgendwo in der Nähe eine Wohnung frei wird? Oder auch ein Zimmer in einer WG. Ich finde nichts, es ist zum Verzweifeln. Auf die Dauer im Hotel, das geht gar nicht!“

      „Ja, das glaube ich“, antwortet einer. „Der Bohrer hat unglaubliches Glück gehabt. Er hat ein Appartement in dem neuen Wohngebiet am Stadtrand ergattert.“

      Natürlich, so einem Schleimbeutel fällt ja alles in den Schoß. Im Moment höre ich überall nur von Wohnungsproblemen. Ich schaue aufmerksamer in diese Richtung und sehe die neue Einkaufssachbearbeiterin mit ein paar Kollegen zusammenstehen. Wie heißt sie noch mal? Luise Irgendwas. Burschikoses Outfit, die braunen Haare zu in einem kleinen Dutt oben auf dem Kopf zusammengedreht. Wache Augen. Eine Idee beginnt in mir zu keimen.

      Kapitel 3

      Mein Hirn arbeitet auf Hochtouren. Wie ich zu meiner Schande gestehen muss, nicht mit Belangen der Firma. Dabei sollte ich mich