der mich als Kleinkind schon auf seinen Knien geschaukelt hatte, fällt mir ein. Natürlich, zu wem denn sonst?! Morgen in aller Frühe werde ich ihn anrufen. Vielleicht nicht gerade von diesem Handy, das ich immer noch wie ein giftiges Insekt in der Hand halte. Es wäre sicher besser, die Telefonzelle im Bahnhof zu benutzen, wenn ich Frühstücksbrötchen hole. Da gibt es, soviel ich weiß, noch eine. Bei diesem Gedanken überkommt mich eine unsagbare Erleichterung und gleichzeitig vollkommene Erschöpfung. Ich will nur noch ins Bett, und es gelingt mir tatsächlich, zu schlafen.
Kapitel 6
Auf der hohen Birke, deren Blätterschatten über mein Gesicht huschen, singt eine Amsel. Schnelle Schritte auf hartem Asphalt. Der hustende Anlasser eines alten Autos echot zwischen Hausmauern. Morgengrüße.
Ich bin hellwach. Durch die offene Tür sehe ich die abgeschliffenen Hölzer, die auf ihren Anstrich warten. Die ersten Sonnenstrahlen beleuchten die Wand, vor die ich die beiden Sessel mit den klobigen Holzlehnen und den rostroten Polstern stellen will. Ich beschließe, diese Seite des Wohnzimmers in einem dazu passenden Rotton zu streichen. Einen Teil der dreihundertfünfzig Euro, die mir mein Kleid eingebracht hat, das ich gestern noch mit großem Unbehagen zurücktrug, habe ich in ein paar Dosen mit wunderschönen Farben umgesetzt.
Als ich später die Pinsel auswasche und die cremefarbenen Lehnen betrachte, durch die das rötlich braune Holz schimmert und die den Polsterstoff zum Leuchten bringen, freue ich mich zum ersten Mal seit langer Zeit wieder wie ein Kind. Die Erinnerung an den Brief ist über Nacht verblasst und wirkt bei Tageslicht nicht mehr ganz so bedrohlich. Aber ich nehme mir trotzdem vor, Onkel Martin zu informieren.
Es ist schon nach zehn Uhr als mein Magen knurrend protestiert, weil er bisher nur eine Tasse Kaffee bekommen hat. Auf dem Weg zum Bäcker — jetzt vermisse ich mein Auto doch, Fitness gut und schön — marschiere ich am Bahnhof vorbei. Denn irgendwie ist mir die ganze Geschichte, auch wenn ich sie heute Morgen erfolgreich verdrängt habe, immer noch unheimlich. Ich will nicht mit einem Polizisten von meinem Handy aus telefonieren, auch nicht mit einem schon lange pensionierten. Die vielen Krimis die ich gelesen habe, rächen sich nun.
Leider erreiche ich nach ewigem Läuten nur seine Haushälterin. Emma Klawuttke, die mich in meiner Kinderzeit immer sehr verwöhnt hatte, lässt sich anmerken, was sie davon hält, dass ich mich schon lange nicht mehr hatte blicken lassen. Sie fertigt mich kurz ab: „Herr Kramp ist gerade vorher abgereist. Herrenausflug. Mittwoch in acht Tagen ist er zurück.“
„Das ist ja noch ewig“, entfährt es mir.
„Vorher ist er nicht zu erreichen.“
Sie hat einfach aufgelegt! Aber es reicht bestimmt, wenn ich ihm nach seiner Rückkehr davon berichte. Das alte Handy, das ich sowieso nicht mehr brauche, werde ich, natürlich ohne Karte, in den hintersten Winkel meines Kellers stecken, und die Gedanken daran schiebe ich in den allerhintersten Winkel meines Bewusstseins.
Wieder zurück, nehme ich drei Treppen auf einmal und kann es kaum erwarten, mit meiner Arbeit weiter zu machen. Kim, in farbverschmierten Latzhosen, hat mich abgepasst und bringt noch ein paar Werkzeuge mit.
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