Hans-Georg Schumann

Der kleine Teufel


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noch drei Schüsseln leer.

      »Dein Bruder hat aber mächtig Hunger«, lächelte Etta, und Anna nickte stumm.

      Offenbar machte diese Frau sich überhaupt keine Sorgen, wie es nun weitergehen würde.

      Sie alle saßen nun schweigend am Tisch. Etta sah mal Anna, mal deren »Bruder« an. Anna begann diese lähmende Stille mehr und mehr zu stören.

      »Was war das für eine Suppe?«, fragte sie deshalb, nur um irgendetwas zu fragen. »Eine Kräutersuppe«, sagte Etta.

      Nun hatte Anna die Antwort auf eine überflüssige Frage, denn genau so hatte die Suppe auch geschmeckt. Und damit war dieses Gespräch auch schon wieder beendet.

      Das wäre Anna jetzt am liebsten gewesen: Aufzustehen, sich zu verabschieden und wegzugehen. Und vom kleinen Teufel wieder zurück in die Zeit gebracht zu werden, aus der sie gekommen war. Und an den Ort, an dem sie wohnte.

      Aber nun saß Anna hier und machte keine Anstalten sich zu erheben. Wie gelähmt blieb sie sitzen und verharrte in der Stille, die sie alle an diesem Tisch und in dieser Hütte umgab.

      »Wie geht es jetzt weiter?«, hörte sie sich plötzlich laut fragen.

      »Eine gute Frage«, erwiderte Etta, »Erst einmal bin ich wieder am Leben.«

      »Wie haben Sie vorher gelebt?«, fragte Anna.

      »Ich war eine Hexe«, sagte Etta, »und ich bin eine Hexe. Hexen wissen sich schon irgendwie zu helfen.«

      »Aber weil Sie die Menschen für eine Hexe halten, wollten sie Sie doch verbrennen«, warf Anna ein.

      Die Frau schaute Anna in die Augen. »Auch ich halte mich für eine Hexe«, lächelte sie.

      Anna versuchte zu lachen, brachte aber nur ein Krächzen heraus. »Hexen gibt es nur im Märchen«, sagte sie dann und räusperte sich.

      Die Frau stand auf und fuhr sich durch ihr langes dunkles Haar. Dann stützte sie sich mit beiden Händen auf den Tisch und begann laut zu lachen.

      »Hier steht eine Hexe, und die ist nicht aus dem Märchen!«

      Der kleine Teufel hatte die ganze Zeit keinen Ton von sich gegeben. Jetzt aber mischte er sich ein: »Anna meint Hexen, die zaubern können, die auf einem Besen reiten und eine Krähe auf der Schulter haben.«

      Kaum hatte er das gesagt, versteinerte sich die Miene von Etta.

      »Etwas Ähnliches glauben die Leute auch«, sagte sie leise, »Und der Inquisitor. Eine Hexe kann nicht zaubern, sondern sie nutzt nur die Weisheiten der Natur.«

      Anna hatte davon gehört, dass es in diesem Zeitalter Frauen gab, denen man allerlei geheime Fähigkeiten zuschrieb und die man als Hexen bezeichnete. Und eine solche Frau war Etta offenbar auch.

      »Aber was hast du den Menschen getan, dass sie bereit waren, dich zu verbrennen?«, wollte Anna wissen.

      »Den meisten ist eine Hexe nicht geheuer, viele sind abergläubisch und verstehen nichts von den Kräften der Natur. Es gibt hier viel Armut und Krankheit – und Unwissenheit. Da kann jemand wie dieser Mönch, der Inquisitor, den Menschen leicht einreden, das sei Hexerei und ich hätte es mit dem Teufel.«

      »Aber warum glauben die Menschen ihm mehr als dir?«, fragte Anna. »Sie kannten dich doch sicher schon lange und ...«

      Etta unterbrach sie. »Ich habe mich mit vielen Menschen in der Gegend gut verstanden. Ich habe vielen von ihnen geholfen, wenn sie krank waren oder Kummer hatten. Und einige von ihnen sind meine Freunde geworden.«

      Anna verstand das nicht. »Und dieselben Leute, denen du geholfen hast, lassen dich plötzlich im Stich? Sogar deine Freunde?«, rief sie empört.

      Etta nickte. Die Tränen schossen ihr in die Augen. Dann hielt sie ihre Hände vors Gesicht und begann wieder zu weinen.

      »Aber warum?«, fragte Anna, »Wie kann es einem fremden Mönch gelingen, alle Menschen gegen dich aufzubringen?«

      Erst jetzt bemerkte Anna, dass sie inzwischen vom »Sie« zum «Du« übergegangen war.

      Etta nahm die Hände vom Gesicht und sah sie mit verweinten Augen an.

      »Sie wissen wenig und haben Angst. Angst vor Gott, vor der Kirche, vor einem Mönch, wenn er von der Kirche als Inquisitor eingesetzt wurde. Angst davor, selbst gefoltert zu werden oder gar qualvoll zu sterben.«

      »Also sind sie bereit, jemand anderen dafür zu opfern, nur damit sie unbehelligt weiterleben können«, schüttelte Anna den Kopf.

      Wieder einmal hielt es der kleine Teufel für nötig, sich einzumischen. »Wenn du Angst vor dem Tod hast, wenn du weiterleben willst, was alles würdest du dafür tun?«, fragte er Anna.

      Etta wischte sich die Tränen aus den Augen. »Dein Bruder hat recht«, sagte sie, »Die Menschen sind nicht besonders mutig. Sie sind arm, haben nicht viel, und eigentlich nichts zu verlieren – außer ihrem Leben.«

      »Doch was hat dieser Inquisitor für Beweise?«, fragte Anna, »Das, was du tust, ist doch nichts Böses, sondern Gutes!«

      »Gott und die Kirche haben die Macht zu bestimmen, was für alle gut und schlecht ist. Wir Hexen tun das eigentlich nur für uns selbst.«

      Etwas Ähnliches hatte Anna doch schon mal gehört. Und sie wusste auch gleich, von wem. Dass der kleine Teufel beifällig nickte, war nicht nötig.

      »Du hast doch nicht etwa zugegeben, dass du eine Hexe bist?«, fragte Anna.

      »Wieso nicht?«, versuchte Etta zu lächeln, »Was hätte es gebracht zu leugnen? Der Inquisitor kam in der Absicht, mich der Hexerei zu überführen. Und das ist ihm gelungen.«

      »Doch du hast es ihm leicht gemacht«, wollte Anna sagen, als ihr auffiel, dass dieser Vorwurf wohl nicht angebracht war. Deshalb schwieg sie lieber.

      »Eine Sache allerdings verstehe ich nicht«, murmelte Etta. Und als Anna sie fragend ansah, wiederholte sie diesen Satz noch einmal deutlicher.

      »Ich war mir sicher, einen Teufel gesehen zu haben, als ich auf dem Scheiterhaufen angebunden war«, fuhr sie dann fort, »Bisher habe ich zwar geglaubt, dass es außer Gott auch einen Teufel geben kann. Aber dass ich ihn einmal leibhaftig vor mir sehen würde, konnte ich mir nie vorstellen.«

      Anna sah, wie der kleine Teufel grinste, und stieß ihn in die Seite. Etta schien es nicht bemerkt zu haben. »Es war sicher Einbildung«, sagte sie weiter, »aber sie war so stark, dass man sie für echt halten konnte.«

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