hatte. Bis sie auf einmal direkt vor meiner Nase auftauchten.
Zum Bremsen war es viel zu spät, also nahm ich all meinen Mut zusammen, sortierte kurz meine Beine und sprang darüber.
Sofort begann der Menschen-Mann, lobende Geräusche von sich zu geben. Anscheinend war es genau das, was von mir erwartet wurde!
Ich war so stolz auf meine Leistung, dass ich gleich noch eine Runde drehte und wieder über die Holzstangen sprang.
DAS war also Springen!!! Herrlich! Was für ein Spaß!
Meine Entscheidung war gefallen: Dieser Menschen-Mann war der Richtige für mich. Das sollte MEIN Mensch werden. Und er sollte mit mir Springen! Mit ihm wollte ich unbedingt mit!
Und mein Wunsch ging in Erfüllung! Schon einige Tage später – ich hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben – stand die Box auf Rädern an unserem Stall.
Wie groß war meine Freude, als der geliebte Menschen-Mann aus dem Auto stieg. Ein bisschen traurig verabschiedete ich mich von Fresssack und Lassdas, aber ich schaute voller Freude in meine Zukunft!
Wir waren angekommen. Der Menschen-Mann, die anderen Menschen nannten ihn Philipp, brachte mich in ein Gebäude, das so ähnlich aussah, wie Mamas und mein erstes Zuhause. Hier gab es keine Wiese mit Unterstand. Stattdessen gab es eine Reihe von Einzimmer-Appartments, von denen alle bis auf eines bewohnt waren.
Meine erste eigene Wohnung. Kein Wind, kein Regen. Weit und breit kein Wetter! Als i-Tüpfelchen wurde ich dann auch noch in eine mollig warme Decke gewickelt. War das herrlich. Erstmal hinlegen und ein Nickerchen machen.
Die Zeit mit meinem Menschen war toll. Die ersten Tage vergingen wie im Flug. Ich war hauptsächlich mit seiner Grundausbildung beschäftigt. Ich habe ihm beigebracht, welche Körperstellen besonderer Pflege bedürfen, wie ich meine Mähne am liebsten trage und welches Futter ich bevorzuge.
Er hat auch sehr schnell gelernt, sich an eine lange Leine nehmen zu lassen und stillzustehen, während ich im Kreis um ihn herumlaufe. Es kam mir fast vor, als würde er das alles nicht zum ersten Mal tun. Wenn es nach mir gegangen wäre, hätte es immer so weitergehen können.
Der einzige Wehmutstropfen: Mein Menschen-Mann gehörte mir nicht allein. Ich musste ihn mit einigen anderen Kollegen teilen.
Eines Tages kam der Mensch-Mann mit einem seltsamen Leder-Dings an. Gut, es war nicht ganz so riesig und unförmig, wie das letzte, aber Leder-Dings bleibt Leder-Dings. Und es kam, wie es kommen musste: Das Leder-Dings wurde auf meinen Rücken geschnallt. Wobei ich im Nachhinein sagen muss, es saß deutlich bequemer als das Vorherige.
Dabei blieb es allerdings nicht – der Menschenmann setzte sich auch noch auf meinen Rücken! Er tat es sehr vorsichtig und behutsam – aber er setzte sich auf mich!
Ich verspannte mich total und wartete auf den Schmerz, aber der blieb aus. Stattdessen spürte ich, dass auch mein Menschenfreund total angespannt war. Merkwürdig!
Ein weiterer Mensch hatte mich die ganze Zeit festgehalten. Jetzt führte er mich langsam vorwärts.
Vorsichtig setzte ich einen Fuß vor. Kein Schmerz! Ich entspannte mich etwas – und gleichzeitig entspannte sich auch mein Menschenfreund. Dabei lobte er mich von meinem Rücken aus und klopfte immer wieder meinen Hals. Langsam wurde ich mutiger. Zügig ließ ich mich vorwärts führen. Mein Menschenfreund behinderte mich fast gar nicht! Hey, das machte Spaß!
Viel zu schnell wurde ich angehalten und mein Menschenfreund sprang aus dem Sattel.
Die Erfahrung musste ich erst mal verdauen. Fresssack und Lassdas hatten Recht, Menschen tragen machte Spaß und vertrieb die Langeweile!
Von da an wartete ich jeden Tag auf meinen Menschen-Mann. Mit jedem Mal lernte er mich besser kennen und bald schon kannte er die richtigen Signale, um sich mit mir im Trab und Galopp durch die Halle zu bewegen.
Dazwischen immer wieder Tage, an denen ich allein über Hindernisse springen durfte. Was heißt hier Springen! Über diese Stangen kann man seinen Körper fliegen lassen. Herrlich!
Nur eines fand ich schade: Ich hätte so gerne so viel Zeit wie möglich mit meinem Menschen verbracht. Aber er hatte noch andere Pferde.
Eines Tages brachte mein Mensch Besuch zu mir. Eine Menschen-Frau, Petra, stellte er mir vor. Sie war nicht mehr ganz jung, aber noch einigermaßen in Schuss. Was sie wohl wollte? Ich kam beinahe um vor Neugierde, versuchte aber, mit nichts anmerken zu lassen.
Petra kam von da an immer öfter zu mir. Manchmal schien sie traurig. Die anderen Pferde erzählten mir, dass Petra bereits zu einem Pferd gehöre. Eine alte Pferdedame. Immer, wenn es der alten Dame nicht gut ginge, wäre Petra traurig. Ich sah meine Aufgabe darin, sie zu trösten.
Erst waren ihre Besuche nur kurz; ich bekam ein paar Leckerlis oder Möhrchen. Dann dauerten die Besuche länger und wir begannen, alles Mögliche zu unternehmen. Wie mein Menschen-Mann war auch sie sehr gelehrig.
Nur beim Reiten haperte es etwas. Ich gab mir wirklich alle Mühe, zu verstehen, was sie wollte. Aber manchmal hatte ich einfach keine Ahnung, was das sein sollte.
Gottseidank war mein Menschen-Mann immer mit in der Halle. Er spürte meine verzweifelten Blicke und erklärte Petra in ‚menschisch‘, was sie zu tun hatte. So klappte es dann ganz gut.
Ok, im Sattel war sie lange nicht so gut wie mein Menschen-Mann, aber dafür konnte sie etwas anderes: Nase kraulen. Sie konnte meine Nase kraulen, wie keine andere! Ich konnte schier nicht genug davon bekommen!
Dann eines Tages kam die Menschen-Frau tieftraurig zu mir. Irgendetwas musste geschehen sein. Die Menschen-Frau erzählte mir, dass die alte Pferdedame gestorben sei. Ich verstand nicht ganz, aber ich spürte, dass es sie tröstete, wenn ich meinen Kopf auf ihre Schulter legte und sie sanft anblies. Sie blieb an dem Tag eine lange Zeit bei mir.
Meine Pferdekumpels erklärten mir später, dass die Pferdedame auf die große Himmelswiese gegangen sei. In mir regte sich leise Hoffnung.
Wie groß war meine Freude, als meine Menschenfreundin kam und mich abholte. Es wartete diesmal keine Box auf Rädern. Nein, wir blieben in dem Stall, zogen aber in ein anderes Gebäude. Ich bekam eine Wohnung mit Terrasse!
Die Wohnungen rechts und links waren an zwei Frauen vergeben. Die Nachbarin zu meiner Rechten ist klein, braun und garstig. Auf mein Hallo antwortete sie nur mit einem giftigen Quieken. Jeder weitere Versuch, ein Gespräch zu beginnen, wurde mit angelegten Ohren im Keim erstickt.
Aber die Nachbarin zu meiner Linken ist der Hammer. Groß, dunkelbraun, endlos lange Beine und eine nahezu perfekte Sattellage. Besser kann es auf der Himmelswiese auch nicht sein!
Und noch etwas hatte sich geändert, ich habe mein größtes Ziel erreicht: meinen eigenen Menschen!
Gut, sie ist nicht mehr jung, deshalb dauert die Erziehung etwas länger. Vor allem, weil ich ihr erst einige schlechte Angewohnheiten abgewöhnen musste. Es hat einige Zeit gedauert, bis sie akzeptiert hat, dass ich absolut kein Freund von Wasser bin. Wasser toleriere ich in meiner Tränke, aber nicht an meinen Füßen und schon gar nicht an meinem Bauch oder auf meinem Rücken! Da könnte ich mich ja gleich nach draußen in den Regen stellen!
Insgesamt hat sie aber schon sehr viel gelernt. Ich bekomme jeden Tag meine Lieblings-Leckerlis, Spielzeug ist auch vorhanden und meine Nase wird jeden Tag ausgiebig gekrault.
Einen Namen habe ich mittlerweile auch: 'Zwergnase'. Klingt irgendwie sehr nobel und majestätisch. Gefällt mir. Wobei – mein Menschenmann nennt mich ‚Calimero‘ und manchmal auch ‚Hubschrauber‘. Auf Turnieren, da werde ich immer als ‚Calimero‘ ausgerufen. Aber das ist eine andere Geschichte.
Der Menschenmann reitet mich immer noch zweimal in der Woche. Und wer weiß? Wenn ich weiter fleißig trainiere, vielleicht treffe ich auf einem Turnier irgendwann mal meinen Papa. Mama wäre jedenfalls sehr stolz auf mich.
Calimero schnaubt heftig und steckt seine Nase zufrieden in das hohe Grün. Für ihn ist die Welt ganz und gar