Sabine von der Wellen

Auf ihren Spuren


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      Ich starrte Michelle verblüfft an und verstand nichts. Aber ich weiß, dass Onkel Andreas den Testamentsvollstrecker gefragt hat, wie hoch die Abzahlungsraten sind. Er erklärte mir, während wir beide vor dem Schreibtisch des ziemlich alt wirkenden Mannes mit Hornbrille standen, dass ich sonst das Erbe nicht annehmen muss. Aber der schüttelte nur den Kopf, sah noch einmal seine Unterlagen durch und meinte: „Es scheint keine Gläubiger mehr zu geben, die ausbezahlt werden müssen. Ihre Schwester hat offensichtlich bei niemandem Schulden.“

      Scheinbar hatte Michelle von dem Gespräch nichts mitbekommen, weil sie immer noch glaubt, dass ich nun auf einem Berg Schulden sitze und mein geerbtes Bargeld gleich in die Kredittilgung stecken musste.

      „Kann ich dir einen Kaffee oder Tee anbieten?“, fragte ich sie.

      „Tee gerne.“ Sie schenkte mir ein Lächeln und musterte mich von oben bis unten. „Du bist richtig groß geworden. Und hübsch. Aber bei den Genen!“

      Ich ging in die Küche und setzte Wasser auf. Dabei rief ich ihr zu: „Kennst du meinen Vater?“

      Ich dachte wirklich, sie meint ihn. Aber sie lachte nur auf. „Den kennt niemand, nicht mal Cecilia, befürchte ich.“

      Um ihren Ausspruch nicht zu herablassend klingen zu lassen, fügt sie hinzu: „Deine Mutter war echt jung, als sie dich bekam.“

      Ich machte uns einen Kräutertee und setzte mich zu ihr an den Tisch.

      Mir drängten sich so viele Fragen auf, die beantwortet werden wollten. Ich wusste von Michelle nichts und ich weiß nicht, wie lange sie Mama kannte und ob sie so befreundet waren, dass Mama sie in ihre Geheimnisse eingeweiht hatte.

      Aber ich befürchte, angesichts der Tatsache, dass sie denkt, die Wohnung wäre über Kredite bezahlt worden, dass sie nicht viel von meiner Mutter weiß.

      „Wie lang bist du schon in Mamas Internetcafe Mitbesitzerin?“ fragte ich sie.

      Michelle gab einen Löffel Zucker in den Tee und antwortete: „Hm, ich glaube, sie hatte es schon zwei Jahre, als ich dazustieß. Sie hatte Geldprobleme. Darum kaufte ich mich ein und brachte den Laden mit meinem damaligen Freund auf Vordermann.“

      Ich muss sie ziemlich dümmlich angestarrt haben, denn sie erklärte: „Wir schufen mehr Plätze, stellten auch noch einige Spielkästen auf, einen Billardtisch, und Marco hat eine Schanklizenz. Damit konnten wir Getränke verkaufen. Deshalb ist er auch noch beteiligt. Es läuft immer noch alles über seine Schanklizenz und er ist auch weiterhin für alles Computertechnische zuständig. Das ist in einem Internetcafe echt wichtig.“ Sie lachte etwas gekünzelt auf und ich hatte das Gefühl, dass ihr der Exfreund eher ein Dorn im Auge ist. Aber bei mir begann etwas zu vibrieren und ich fragte sie: „Er kennt sich mit PCs und Programmen aus? Meinst du, ich kann seine Nummer haben? Ich brauche selbst mal einen fachmännischen Rat.“

      Michelle nickte und begann in einer großen Handtasche zu wühlen. Als sie ihr Handy hervorgekramt hatte, holte ich einen Zettel und sie gab mir die Telefonnummer von diesem Marco. Dabei murmelte sie so etwas wie, dass sie sich wundert, dass ich ihn nicht kenne. Aber vielleicht hatte ich mich auch verhört.

      Als sie bald darauf ging, erwähnte sie noch, dass sie über die Entscheidung meiner Mutter, ihr weitere Anteile zu geben, sehr froh ist. Ich nickte nur und fragte mich natürlich, wenn Michelle 50% hatte und meine Mutter auch, was der Anteil von diesem Marco ist oder wie seine Beteiligung aussieht.

      In der Kiste, die Michelle mitgebracht hatte, befanden sich Fotografie von mir, und von Mama und mir zusammen. Außerdem ein Haufen Zettelwirtschaft, die ich sofort nach brauchbaren Informationen durchforstete. Es gab noch ein altes Adressbuch und Mamas alten Laptop, den sie vor dem jetzigen hatte. Ich wusste gar nicht, dass der noch existiert. Aber ihn in meinen Händen zu halten, elektrisierte mich und ich hoffte inständig, dass auf ihm noch nichts gelöscht worden war.

      In meinem Zimmer hatte ich ihn sofort an den Strom angeschlossen, weil das Akku leer war und konnte mich bald mit dem Passwort Vogelmiere einloggen. Und es war noch alles da. Bilder, Emails, Dokumente, Musikdownloads. Einfach alles.

      Als ich das Internetkabel angehängt hatte, fand ich sogar Mamas Internet Favoritenliste. Ich war völlig aus dem Häuschen und verbrachte bis tief in die Nacht damit, mir alles anzusehen. Aber er war so sauber, wie der Laptop einer braven Hausfrau und Mutter nur sein kann. Es gab auch keinen Tor Browser und ihre Favoritenliste barg nur Dokus, verschieden Einkaufsmöglichkeiten und Ferienhotels mit Kinderresort. Mir wurde schnell klar, dass Cecilia da noch Cecilia Jekyll war. Cecilia Hyde wurde sie offensichtlich erst später. Vielleicht mit dem neuen Laptop. Aber dann musste es einen Übergang geben. Ich beschloss, Manuel erneut um Beistand zu bitten.

      Manuel ist ein Schlaufuchs, wie ich schon einmal erwähnte. Während ich in dem offensichtlichen herumgedattelt hatte, fand er schnell heraus, dass Mama einen Facebookaccount, sowie einen bei Lycos hatte, deren Nutzernamen bei den Einloggfeldern der Anbieter schon gespeichert sind. Ich brauchte nur das Passwort eingeben und das war natürlich Vogelmiere. Bei Lycos hatte sie es sich sogar sehr einfach gemacht. Deshalb war ich erst verwirrt. Da hieß sie auch Vogelmiere33. Manuel meinte, dass sie den Account wahrscheinlich eröffnet hatte, als sie dreiunddreißig war.

      Ihr Profilbild war ein altes von meiner Mutter, auf dem sie noch recht jung war. Ansonsten waren wenige Daten eingetragen, die zum Teil sogar falsch waren. Aber sie hatte ihn auch noch zu Lebzeiten ihres neuen Laptops in Gebrauch, was mich etwas irritierte. Ich konnte mir Mama in einem Chat nicht vorstellen.

      Facebook hatte ein paar Bilder drinnen, auf denen man meine Mutter nur erahnen konnte. Ansonsten gaben auch die Seiten nicht viel her, außer ein paar Bilder von dem Internetcafe und etwas Werbung diesbezüglich. Aber ihre Posts machten Manuel stutzig und dass sie immer wieder auf den Tor-Browser verwies, was mir von Manuel einen vielversprechenden Blick einbrachte. Aber was mich umhaute war ihre Freundschaftsliste. Sie umfasste mehr als zweihundert Leute und ihr letzter Eintrag war am 28 Juli dieses Jahres erfolgt, als Mama schon lange nicht mehr unter uns weilte. Da hat sie sich für die vielen Glückwünsche zum Geburtstag bedankt. Mama hat nicht am 28 Juli Geburtstag!

      „Da ist jemand auf ihrem Account unterwegs gewesen“, sinnierte Manuel und ahnte nicht, wie sehr mich das erschütterte, weil es mir einen Moment vorgaukelte, dass Mama noch lebt.

      Heute sitze ich erneut an Mamas altem Laptop und kämpfe mich durch den Lycos Chat, auf der Spur von Mama. Es quatschen mich viele verpeilte Kerle an, die mir zweideutige Angebote machen, aber auch jemand, der sich freut, dass Vogelmiere endlich mal wieder auftaucht.

      Ich gehe auf das Profil von dem Kerl und sehe, dass es ein junger fünfundzwanzigjähriger Bursche ist. Er fragt im privaten Chat, ob es Vogelmiere bessergeht und ob sie die dunkle Seite bekämpfen konnte.

      Was soll ich darauf antworten? Ich schreibe:

      Vogelmiere33 ~Nein, ich suche immer noch nach einem Ausweg~

       Schwarzer Hengst ~Ich habe einen gefunden. Du hattest recht. Im Net gibt es alles~

      Vogelmiere33 ~Was genau hast du gefunden~

      Schwarzer Hengst ~Meinen persönlichen Jeannie~

      Ich weiß nicht, was er meint. Darum füge ich nur ein ungläubiges ~Aha~ ein, was sofort damit kommentiert wird, dass schwarzer Hengst auf eine Seite im Darknet verweist.

      Ich bedanke mich und logge mich schnell aus. Vielleicht nicht gerade nett, aber ich habe Angst, dass der Typ doch noch merkt, dass ich nicht Cecilia bin.

      Ich marschiere zu Manuel hinüber und gebe ihm den Link. „Schau mal, was das ist. Aber geh besser über den Tor-Browser hinein. Wer weiß, was sich da auftut.“

      Als mich Manuels Blick trifft, der über Mamas Laptop hockt, werde ich unsicher. Er scheint schon einer faszinierenden Spur zu folgen.

      „Mensch Alter. Du glaubst gar nicht, was es hier alles gibt!“ Er ist völlig aus dem Häuschen.

      „Wo gibt?“, frage ich, weil ich nicht weiß, was er meint.

      „Nah hier …