hatten nichts über sie gewusst, außer dass sie mit der Mutter Anfang der sechziger Jahre wieder nach Kapellskär in Schweden zurückgegangen war.Eine drahtige Person, die nun eine einladende Handbewegung machte. Er trat näher und verneinte erst einmal, ja – bedauerte fast, kein Kunsthändler zu sein und auch kein Sammler. Er stand in dieser Halle, deren Dach mit Plexiglasscheiben ausgestattet worden war, so dass ein gleichförmiges, milchiges Licht den Raum erhellte. Überall sah er Keramikschalen mit Äpfeln, Pflaumen, Birnen – manche schon etwas schrumpelig, gemischt mit Haselnüssen, Walnüssen und deren Schalenresten. Sie sammelte offenbar Objekte der Natur. Wurzeln, Steine in verschiedenen Größen und Farben, ausgeblichenes hölzernes Strandgut, das die Maserung geradezu dreidimensional zeigte, vertrocknete Pilze, Moose, Äste, ein ganzes Regal mit Muscheln in allen Größen und Formen, jede ein Unikat. Ein Sammelsurium von Texturen, Farben. Es erinnerte ihn daran, dass er als Kind auch ein Schatzkästchen gehabt hatte, ein altes Holzkästchen. Es hatte Fächer gehabt und einen herausnehmbaren Einsatz mit abgeschabten Samt. Glasmurmeln und die blau schillernde Feder eines Eichelhähers hatte er darin verwahrt. Einen schönen glatten, schwarzen Stein, den er am Flussufer gefunden hatte, sowie das ausgeblichene Schneckenhaus einer Weinbergschnecke. Er erinnerte sich sogar noch daran, wie sich die Dinge anfühlten, wie sie rochen. Natürlich nicht zu vergleichen mit dieser Sammlung - aber er fühlte ein bisschen Nähe zu der Sammlerin hier. Er verstand, wie man Dinge wegen der ihnen innewohnenden Schönheit um ihrer selbst willen lieben konnte. Sie mit eigenen Augen sehen, wertschätzen konnte. „Uma Dalsberg“ bekräftigte sie und unterbrach seinen Gedankengang.„Hans Glück from Germany“ erwiderte er und streckte die Hand vor.Sie lachte „Oh …“, und nach einer Pause folgte „Oh, aus Deutschland, mein Vater war auch aus Deutschland, er war ein Bayer!” sagte sie mit einem amerikanisch-schwedischen Akzent auf Deutsch. „Leider habe ich ihn nie gekannt!“. Sie machte eine Pause. „Deutsch hatte ich ein paar Jahre in der Schule“.„Ich bin wegen ihres Vaters gekommen.”Er erntete einen erstaunten Blick, etwas ungläubig wiederholte sie im schwedischen Singsang „Wegen meines Vaters sind sie hier?” „Ja, das ist eine lange Geschichte“.„Es muss ja sehr wichtig sein, wenn sie deswegen extra nach Schweden kommen. Wie haben Sie mich denn überhaupt gefunden?“ Sie unterbrach sich. „Ich mach‘ uns erst einmal einen Kaffee mit Kanelbulla!“ und wies mit einer Geste auf das Sofa im hinteren Teil des Ateliers.Sie machte sich an der Küchenzeile zu schaffen, es gab eine Mikrowelle, in der die Zimtschnecken zum Aufbacken verschwanden. Routiniert befüllte sie die achteckige Espressomaschine mit Wasser und Kaffeepulver, verschraubte wohl zum tausendsten Male das Ober- mit dem Unterteil, drehte den Gasherd an. Sie stellte die Kanne direkt in die Flamme. Er beobachtete sie: Das also war die Tochter von Bart Grand, respektive von Bartholomäus Grandauer, seine Nachfahrin. War er am Ende seiner Suche? Hoffentlich erwies sie sich als eine würdigere Erbin - anders als die Halbbrüder. Er wollte sein altes Leben wieder zurück! Das Erbe und die damit einhergehende Verantwortung an die echten Nachfahren geben. Eine Künstlerin … seine Gedanken wurden unterbrochen. Ein zischendes Geräusch, begleitet vom Kaffeeduft, verriet, dass es jetzt frischen Kaffee gäbe. Ein leises ‚Pling‘ von der Mikrowelle, und sofort wanderte der Teller mit duftenden, warmen Zimtschnecken auf den Tisch. Uma holte vom Regal zwei Kaffeebecher. „Milch, Zucker?“ „Nein, danke. Schwarz, wie die Sünde.“Sie wiederholte mit ihrem schwedischen-amerikanischen Akzent „Schwarz, wie die Sünde.“ und knautschte sich in den Ohrenbackensessel. „Jetzt können wir reden.“ Sie streifte die Schuhe ab, es zeigten sich ehemals weiße Socken. Sie zog die Beine unter sich, saß bequem und signalisierte ihm ihre Bereitschaft zuzuhören, sich auf seine Geschichte einzulassen.Er begann mit einer Frage „Was wissen Sie denn über Ihren Vater?“ Uma pustete in den Kaffeebecher, den sie mit beiden Händen hielt, während ihre Augen ihn über den Rand hinweg musterten. Ihr Blick wanderte zur Hallendecke, als ob dort eine Antwort stünde, sie dachte nach.„Meine Mutter hat diesen Mann sehr geliebt. Er kam aus Bayern. Ich habe ihn nie kennengelernt.“ Der Duft des Zimtgebäcks lenkte ihren Blick auf den Teller, sie nahm eines der warmen Gebäckstücke und biss genussvoll rein, schluckte und fuhr fort: „Meine Mutter hieß Greta, sie war freie Fotografin und hat für internationale Magazine gearbeitet, oft für das Time Magazin in New York oder National Geographic, in den 40iger Jahren. Sie war eine sehr gefragte Fotografin. Mein Vater hieß Bart Grand, aber eigentlich hieß er Bartholomäus Grandauer. Er war irgendwie vor den Nazis geflohen, er war kein Jude, ich glaube er war Politiker. Auf jeden Fall musste er weg von Deutschland und lebte zuerst in New York. Dort begegneten sie sich. Sie hatten eine heftige Liebesbeziehung, aber sie trennten sich. Mein Vater ging nach San Francisco und hat dort eine Irin geheiratet. Sie zogen später nach Alaska, und dort hat ihn meine Mutter zufällig wiedergetroffen. Sie war für eine Reportage dort, irgendwas über den Goldrausch um 1896. Soweit ich weiß, habe ich Halbgeschwister, und seine Ehefrau war wohl sehr eifersüchtig. Meine Mutter Greta war eine unabhängige Frau, aber die beiden – also mein Vater und sie – haben ihre Affäre wieder aufgenommen, es war eine große Liebe. Sie hat mal erzählt, dass er mit ihr nach Schweden gehen wollte, er wollte die Scheidung. Damals unerhört! Bevor er das aber alles tun konnte, ist er auf der Straße tot umgefallen – einfach so. 1946. Sie hat mir erzählt, dass er nicht wusste, dass sie mit mir schwanger war.“ Es entstand ein Moment der Stille. „Die Witwe hat ihr verboten auf die Beerdigung zu gehen. Meine Mutter hat noch einige Jahre in Nome gelebt, Alaska erinnerte sie immer an Schweden. Eine ledige Frau mit einem Kind! Sie blieb unabhängig und sie hat viele gutbezahle Aufträge für Fotoreportagen und Serien gehabt. Oft hat sie für National Geographic, Time Magazin gearbeitet, aber nicht nur, sondern auch für andere, internationale Magazine - Reportagen über die Natur, Alaska, das Eismeer und so. Sie war richtig bekannt. Ich bin in Nome in den Kindergarten und später zur Schule gegangen. Als mein Großvater in Schweden starb, ist meine Mutter mit mir hierher zurück.“ Sie verlagerte ihr Gewicht, aß den Rest des Zimtgebäcks. Mit Stolz in der Stimme stellte sie fest: „Also meine Mutter hat tolle Serien fotografiert. Eine hieß ‚Gesichter des Nordens‘, Inuit, die Bewohner Nomes und der Wälder, Goldgräber, Farmer, Fischer und Jäger – alles schwarz/weiß. Soll ich Ihnen die Bilder mal zeigen?“ Bevor er antworten konnte, sprang sie auf, kramte in einem der Regale, zog einen Karton mit Metallecken raus und drehte sich triumphierend zu ihm um. Ehe er sich versah, hielt er ein Portrait eines Trappers mit windgegerbten Gesicht unter einer dichten Fellmütze in der Hand. Stolze Männer in Fellen blickten aus mandelförmigen Augen unbewegt in die Kamera. Jäger in Booten. Faltige Gesichter, wind- und wettergegerbt, die den Betrachter mit Blicken aus dunklen Augen ins Visier nahmen. Eine junge Ureinwohnerin, ein herzförmiges Gesicht rundherum gerahmt von langhaarigem Wolfspelz. Es waren zeitlos schöne Bilder, Menschenwürde strahlte aus jedem Portrait. Schneeschuhe und Fallen lehnten an vom schneeverwehten dunklen, schrundigen Bohlen einer Hütte. Eiskristalle glitzerten über tiefen Wassern, und schwere Schürzen aus Eis hingen über felsigen Abgründen. Nahaufnahmen, Landschaftsaufnahmen, Detailaufnahmen – eine hochinteressante Mischung in schwarz-weiß. Im Karton lagen auch die Negative. Bräunliche, schmale Streifen, brüchig in ihrer Konsistenz, verwahrt im knisternden, milchig-weißen Papier mit Einschüben in der Breite der Streifen. Jeder sorgfältig beschriftet. Braunfleckige Kontaktbögen zeigten die Gesichter im Miniformat. „Ich habe noch ihre Liebesbriefe – also seine an sie.“ Mit einem bedauerndem Unterton fuhr sie fort „Über meinen Vater weiß ich so gut wie nichts! Seinen Namen und die Liebesbriefe, und es gibt einen Karton vergilbter Fotos bei den Liebesbriefen – mehr habe ich nicht.“ Unvermittelt lachte sie halblaut auf, griff sich an die Nase „ … und ich denke, die habe ich von ihm …“, aus den braunen Augen blitzte der Schalk, der ihr im Nacken saß. Sie hatte eindeutig Humor. Sie zog einen weiteren ehemals gelben, vergilbten Karton mit einem alten Markenlogo der Firma Kodak aus dem Regal. DIN A4, hob den Deckel ab, obenauf lagen wild durcheinander Fotos von einem Mann. Passfotos, Profilfotos, Vollportraits, mehrere Ganzkörperaufnahmen, natürliche Posen und inszenierte. Mit Pfeife oder in die ferne schweifendem Blick, Brille auf der Stirn. Es gab auch die Bilder, die intime Momente, scheinbar Unbeobachtetes festhielten. So lag er schlafend im Gewühl des Bettes, in die Zeitung vertieft lesend oder mit eingeseiftem Oberkörper, die Augen geschlossen beim Duschen. Alle Bilder zeigten denselben jungen Mann: Blond, sehr amerikanisch im Haarschnitt und Outfit, so sah er also aus - Bartholomäus Grandauer. Bart Grand, der Mann, dessen Geschichte Hans besser kannte als Barts eigene Kinder. Hans hatte sich keine Vorstellung von ihm gemacht, denn in den Tagebuchkladden waren keine Fotos gewesen. Uma reichte ihm ein Bild,