Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit


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Apotheke.

      <<Und nochmal Boom!>>, rief Karsten aufgeregt. <<Aua!>> Sofort im Nachsatz. Thea beschäftigte sich noch immer mit ihrem Brötchen und strafte ihn mit Nichtachtung. Trotzdem hatte auch dieser Tritt gesessen.

      <<Nein!>>, flüsterte Nik und hielt sich eine Hand vor den Mund.

      <<Doch. Ich weiß, es ist viel zu früh dafür. Aber so ist es nun Mal. Wir haben ausführlich darüber gesprochen und wollen das Kind. So, wie es also aussieht, wirst du wohl Opa.>>

      Nik ließ sich erschöpft auf einen Stuhl fallen. <<Opa>>, stammelte er und starrte vor sich hin. <<Wow.>> Die Nachricht hatte wirklich gesessen. Er wirkte mental angeschlagen. Vor Freude. Vor Ergriffenheit.

      <<Und ich kriege noch einen Schwiegersohn.>> Das waren die schönsten Neuigkeiten, die er seit langem bekommen hatte. Karsten hatte sich zu ihm gesellt und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

      <<Glückwunsch Alter. Ich bin mir sicher, dass du mit Kinderwagen eine tolle Figur abgeben wirst.>>

      <<Was? Nur eine tolle Figur?>>, fragte Nik und erwachte langsam aus seiner Schockstarre. <<Ich werde der coolste Opa aller Zeiten!>>

      <<Klar wirst du das>>, pflichtete Maximilian ihm bei. Sein Vater stand auf und sie umarmten sich. Plötzlich wurde Nik wieder ernst.

      <<Eine Bitte hätte ich da noch>>, sagte er und schaute mit zusammen gekniffenen Augen in die Runde. <<Wenn ihr das nächste Mal vorhabt, mich am Frühstückstisch zu überraschen, dann bitte tut mir den Gefallen und dosiert eure Neuigkeiten ein bisschen besser. Ich werde jetzt Opa und ich bin mir sicher, dass mein Herz und vor allem meine Nerven in Zukunft so viel Aufregung nicht mehr vertragen werden.>>

      Unter den Männern, brach schallendes Gelächter aus. Sie redeten wild durcheinander und beruhigten sich erst wieder, als Chris und Thea mit einem Tablett voll Sektgläser dazu kamen.

      Mit einem neckischen Gesichtsausdruck nahm Thea das letzte Glas zur Hand und reichte es an Nik weiter.

      <<Und du wusstest natürlich davon>>, flüsterte er ihr ins Ohr und hob dabei eine Augenbraue.

      <<Schuldig, im Sinne der Anklage.>>

      <<Ich fürchte, darüber müssen wir noch sprechen, Frau Doktor.>>

      <<Wann immer ihnen danach ist, Dr. Berger>>, erwiderte sie forsch und ließ das Glas klangvoll an seines gleiten.

       Samstag, 04. Mai, 11 Uhr 10

      Mit unbewegter Miene starrte er an die Wand. Auf die vielen Namen und dazugehörigen Fotos, die er in den vergangen Monaten akribisch zusammengestellt hatte. Namen von Personen, die seiner Meinung nach für den Tod seines Sohnes verantwortlich waren. Und nun war die Zeit gekommen, Gerechtigkeit walten zu lassen. Ein ganzes Jahr lang hatte er sich vorbereitet. Ein ganzes Jahr lang, die Trauer und Leere in seinem Herzen ausgehalten. Jetzt sollte jeder von ihnen das bekommen, was er verdiente. Jeder einzelne. Und dass es durch seine Hand geschehen musste, war unausweichlich.

      Erst wenn der letzte Name von dieser Wand verschwunden war, konnte sein Sohn in Frieden ruhen. Und er sich wieder frei fühlen. Zumindest versuchte er sich das immer wieder einzureden. Er war kein unmoralisches Ungeheuer. Kein skrupelloser Mörder.

      Er besaß durchaus ein Gewissen und hatte sich oft genug die Frage gestellt, ob die Entscheidung, die er getroffen hatte, die richtige war. Und ob Gott vielleicht genauso handeln würde, wie er es vorhatte. Eher unwahrscheinlich. Aber die Umstände ließen ihm keine andere Wahl. Sein Sohn lebte nicht mehr.

      Weil die Polizei ihn an diesem Abend nicht beschützen konnte, obwohl sie nur wenige Meter entfernt war. Und weil er als Vater vermutlich versagt hatte. Es ging nicht nur um Viktor, denn er war ein unberechenbares Schwein. Ein Mensch, dem es einzig und allein nur darum ging, stets aus allem nur das Beste für sich selbst herauszuholen. Und genau das wurde ihm letzten Endes zum Verhängnis. Weil er sich für unbesiegbar hielt und den Hals nie voll bekam. Etwas mit anderen zu teilen, kam für Viktor nicht in Frage. Eine Frau schon gar nicht. Und vor Liebe blind war er geradewegs in eine tödliche Falle getappt. Ein durchaus vorhersehbares Ende. Das Paradoxe daran war, dass er sich nicht für das Ableben seines Sprösslings schuldig fühlte. Sondern, weil er es nicht geschafft hatte, ihm wirkliche Werte im Leben zu vermitteln. Ehrlichkeit. Zuneigung. Und Gewissen. Dann nämlich, dessen war er sich sicher, würde Viktor noch am Leben sein und ihre Beziehung zueinander, wäre eine ganz andere gewesen. So aber blieb ihm nur das eine.

      Seine ganzen Fehler und sein Unvermögen wieder gut zu machen. Während er dort vor der Wand stand und zum wiederholten Male die Fotos betrachtete, erinnerte er sich an jede einzelne Person. Er hatte sie alle studiert. Kannte ihre Gepflogenheiten und musste nur noch auf den geeigneten Moment warten, um zuzuschlagen. Daran führte kein Weg vorbei. Was immer die Zukunft auch für ihn bereithielt, es musste so sein. Auch wenn es seinen eigenen Tod zur Folge hatte. Denn nur so konnte er endlich mit diesem Teil seines Lebens abschließen.

      Zwei

       Sonntag, 05.Mai, 16 Uhr 10

      Nik lenkte die weiße M-Klasse in die letzte freie Parkbucht, die er finden konnte. Bis hierher war es ein wunderschöner Nachmittag gewesen. Nach der gestrigen Aufregung fand Thea, dass ein wenig Zweisamkeit nicht schaden konnte. Daraufhin hatte Nik die Idee, mit ihr und Winston den Tag am Möhnesee zu verbringen.

      Sie spazierten entlang des Ufers und über die riesige Staumauer. Dabei erhielt sie einen Gratisvortrag in Sachen geschichtlicher Ereignisse. Nik erzählte ihr, was sich dort, in der Nacht zum 17. Mai 1943 zugetragen hatte. Er zeigte ihr die Stelle, wo die Mauer von den Engländern zerstört wurde und erklärte, welche Ausmaße diese Katastrophe für die ganze Region hatte. Thea hatte natürlich schon von dem Tag, als die Dämme brachen, gehört. Aber hier in der Wirklichkeit zu stehen und sich dessen bewusst zu werden, was Menschen alles anrichten können, war ein ergreifendes Gefühl. Und sie liebte es, ihm zuzuhören.

      Denn solche Momente gab es in ihrer noch jungen Beziehung eher selten. Theas zeitintensiver Beruf, sowie die große Distanz ihrer Wohnräume, ließen im Augenblick nicht mehr Privatsphäre zu. Umso größer war die Wertschätzung des Moments und sie genoss jede Sekunde dieser kostbaren Zeit. In seiner Nähe fühlte sich Thea immer wie eine Königin. Nik war nicht nur überaus charmant, sah nicht nur unverschämt gut aus oder besaß ein hohes Maß an Witzigkeit. Darüber hinaus vergaß er nie, aber auch wirklich niemals, seine guten Manieren. Egal, was sie auch unternahmen oder wo sie sich gerade befanden.

      Nik achtete penibel darauf, ihr den Vortritt zu lassen oder ihr auch mal die Tür zu öffnen. Am Anfang war Thea so viel Aufmerksamkeit nicht gewohnt und manchmal war es ihr auch ein wenig peinlich.

      Aber mittlerweile wusste sie, dass ihm diese Dinge wichtig waren. Dass dies ein Teil seiner Persönlichkeit ausmachte. Also ließ sie ihn gewähren. So auch heute.

      Bei beiden hatte sich der Hunger eingestellt. Deshalb waren sie noch ein Stück den See hochgefahren, bis das Geronimo, ein sehr rustikal eingerichtetes Ausflugslokal, in Sichtweite kam.

      Der Parkplatz war, wie befürchtet, brechendvoll. Aber Thea hatte darauf bestanden, hier zu bleiben. Ihr gefiel das Ambiente auf Anhieb und das Zusammenspiel zwischen ankommenden und abfahrenden Motorrädern fand sie spektakulär.

      Nik ging um den Wagen herum, öffnete die Beifahrertür und nahm sanft ihre Hand in die seine. Erst, als er sich sicher war, dass sie festen Boden unter ihren Füßen spürte, ging er an die Heckklappe, um Winston aus der Box zu befreien. Zusammen schlenderten sie auf die Holztreppe der Veranda zu. Und natürlich wartete Nik geduldig und ließ sie voran gehen. Teils feindselige, teils neidische