Nadine Kim Wulf

Schrecken der Vergangenheit


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umklammert. Mit letzter Kraft hatte er den Toilettenraum erreicht und sofort den erstbesten Wasserhahn aufgedreht, den er greifen konnte. Die letzte Panikattacke war Monate her. Und diese hier kam so unvorbereitet, dass nicht viel zu einem völligen Zusammenbruch gefehlt hätte. Er hielt beide Hände unter das laufende Wasser und tauchte sein Gesicht mehrmals hintereinander in das kühle Nass. Mit der Zeit hatte er gelernt, mit solchen Situationen klar zu kommen, aber heute wollte es ihm nicht so richtig gelingen, sich wieder zu beruhigen. Sein Herz schlug ihm immer noch bis zum Hals. Was er gesehen hatte, konnte Nik einfach nicht aus seinen Gedanken verbannen.

      Der Mann aus seinen Alpträumen war zurückgekehrt. So verrückt sich das auch anhörte, Nik war sich sicher. Er hatte ihn gesehen. Gerade eben. „ Aber das kann nicht sein. Du hast dich geirrt. Johansson ist tot. Du hast dich geirrt.“ Minutenlang verharrte er in dieser Position und kämpfte mit aller Macht gegen längst vergangene Bilder in seinem Kopf an. Wassertropfen rannen von seiner Stirn über Wange und Nasenspitze zurück ins Waschbecken. Er lauschte dem leisen Plätschern jedes gefallenen Tropfens und beruhigte sich zusehends.

      Nik öffnete die Augen, starrte aber weiterhin ins Nichts, als plötzlich die Tür hinter ihm aufgestoßen wurde und jemand herein gerannt kam.

      <<Okay Kumpel. Du kennst die Prozedur. Wir haben das schon hundert Mal zusammen gemacht.>>

      Nik erkannte die Stimme seines Freundes auf Anhieb. <<Was machst du hier Karsten?>>, fragte er ruhig, ließ aber genervt den Kopf hängen. <<Du kannst dich beruhigen. Ich hab´s im Griff.>>

      <<Das sieht mir aber nicht danach aus.>>

      <<Verdammt, hör auf mich zu bemuttern. Ich sagte doch, ich hab´s im Griff>>, fauchte Nik. Eigentlich hätte er dankbar sein müssen, aber Karstens plötzliche Anwesenheit machte ihn wütend. <<Du hast meine Frage noch nicht beantwortet>>, knurrte er wiederholt.

      <<Wow. Jetzt beruhigen wir uns aber erst einmal. Ich habe Thea draußen zufällig getroffen.>>

      <<Zufällig, na klar.>>

      <<Ja gut. Vielleicht nicht so ganz zufällig. Aber Thea hat sich wahnsinnige Sorgen gemacht und mich gebeten, nach dir zu sehen>>, erklärte Karsten sich.

      <<Verarsch mich doch nicht. Wie lange verfolgst du uns schon?>>

      <<Ich.. Was?>> Nun verschlug es Karsten beinahe die Worte.

      <<Ist doch komisch. Ausgerechnet jetzt tauchst du hier auf. Hast du eigentlich auch mal frei? So als Privatschnüffler, meine ich?>>

      Seufzend schloss Karsten die Augen und schüttelte den Kopf. Plötzlich verstand er, worauf Nik hinaus wollte. Und leider musste er zugeben, dass er Recht hatte. Der Zeitpunkt seines Auftrittes war mehr als schlecht gewählt. <<Wenn ich nicht genau wüsste, dass es nicht du bist, der da gerade mit mir spricht, dann würde ich dir jetzt vermutlich eine donnern.>> Karsten machte einen Schritt auf ihn zu, zog zwei Papiertücher aus dem Spender und reichte sie ihm. <<Hier. Für gewöhnlich bist du nicht so unhöflich. Was hat sich seit gestern geändert?>>

      Nik sah ihn über die Schulter hinweg an und zu der Wut in seinem Blick mischte sich Unsicherheit. Nach kurzem Zögern riss er Karsten die Tücher aus der Hand, tupfte sich die restlichen Wasserperlen vom Gesicht und ließ das zusammengeknüllte Papier in den Mülleimer fallen. Langsam richtete sich Nik auf, drehte sich um und atmete tief durch. Da sich seine Beine immer noch wie Pudding anfühlten, zog er es vor, sich weiterhin an dem Waschbecken abzustützen.

      <<Tut mir Leid>>, presste er hervor. <<Es ist nur...>> Er rang mit sich und suchte offenbar nach den richtigen Worten. <<Ich hasse diese Situationen. Ich fühle mich hilflos, nicht in der Lage allein zurecht zu kommen. Eben wie ein Baby, auf das man vierundzwanzig Stunden Acht geben muss. Kurz gesagt, es ist mir peinlich Karsten. Und dann tauchst du hier auf und findest mich so vor.>> Nik hob den Blick. <<Schon wieder>>, fügte er geknirscht hinzu. <<Ich hab wohl einfach etwas überreagiert.>>

      <<Hast du wohl, ja.>> Karsten verschränkte die Arme vor der Brust.

      <<War der Wagen der Grund? Thea hat da sowas angedeutet.>>

      Nik schüttelte den Kopf. <<Nicht der Wagen, sondern das, was ich hinterm Steuer gesehen habe.>> Nik schluckte hart. <<Der Fahrer trug eine Maske. Dieselbe wie… wie…>>

      <<Wie Johansson?>>

      <<Ja.>>

      <<Nik. Du hast dich geirrt. Ich habe den Wagen auch gesehen. Er kam mir entgegen. Der Fahrer trug eine Baseballkappe, aber keine Maske. Dein Unterbewusstsein hat dir einen Streich gespielt. Nichts weiter.>>

      <<Großartig. Dann werde ich jetzt auch noch paranoid?>>

      <<Oh mein Freund, das bist du schon. Ich kann immer noch nicht glauben, dass du mich verdächtigst, dich Tag und Nacht zu beschatten. Sag mal, geht’s noch?>>

      <<Ich sagte doch schon, es tut mir Leid.>>

      Karstens Lippen zuckten. <<Schon gut. Ich kann es dir erklären. Ich war bei euch zu Hause…. Weil ich dir etwas zeigen wollte.>>

      <<Du warst doch gestern Morgen erst da. Warum hast du es nicht gleich mitgebracht?>>, fragte Nik immer noch verunsichert.

      <<Da –hatte- ich- es- ja- noch -nicht>>, antwortete Karsten und zog dabei jedes Wort übertrieben in die Länge. <<Jedenfalls sagte mir Max, dass ihr hier seid. Deshalb bin ich euch hinterher gefahren, in der Hoffnung euch zu finden. Dann hab ich deinen Mercedes auf dem Parkplatz gesehen und eines kam zum anderen.>>

      Karsten verlagerte sein Gewicht von ein auf das andere Bein und seine schweren Stiefel verursachten dabei ein quietschendes Geräusch. Nik zog die Stirn in Falten und beäugte seinen Freund misstrauisch.

      <<Wie siehst du eigentlich aus?>> Sein Freund war von Kopf bis Fuß in dickes, schwarzes Leder gehüllt. So wie es Motorradfahrer trugen. Karsten grinste verschwörerisch.

      <<Fühlst du dich besser?>>

      <<Ich denke schon.>>

      <<Dann komm. Ich kann´s kaum erwarten, dein dummes Gesicht zu sehen.>>

       Zur gleichen Zeit….

      <<Bitte entschuldigen sie. Aber unsere Kaffeemaschine hat heute nicht ihren besten Tag. Sie macht, was sie will>>, erklärte sich die junge Kellnerin und stellte einen großen Pott vor ihm ab.

      <<Kein Problem. Es gab in der Zwischenzeit so viel zu sehen, da ist mir gar nicht aufgefallen, wie schnell die Zeit verflogen ist>>, sagte er höflich und lächelte.

      <<Ja. Sie sollten mal in ein, zwei Monaten wiederkommen. Zur Hauptsaison. Laut und beeindruckend zugleich.>> Er runzelte die Stirn und schaute die junge Frau fragend an. <<Na die ganzen Motorräder hier. Glauben sie mir. Das, was sie heute sehen, ist nichts im Vergleich zu dem, was noch kommt.>>

      „ Schätzchen, du glaubst gar nicht, wie egal mir diese Maschinen sind“, dachte er. <<Danke für den Tipp. Ich werde darauf zurückkommen.>>

      <<Gerne>>, sagte sie und ging zurück ins Gebäude. Genüsslich nahm er den kleinen Keks, der als Beilage zu dem Becher serviert wurde, zur Hand und lehnte sich mitsamt dem Kaffeebecher zurück in seinen Stuhl. Gerade noch rechtzeitig, um zu sehen, wie die beiden Männer das Innere des Restaurants verließen.

      Dass Behrend ausgerechnet jetzt hier auftauchte, war zwar ein Ärgernis, aber nicht weiter schlimm. Er hatte schon vorher gesehen, was er sehen wollte. Sein kleiner, aber gemeiner Plan hatte wunderbar funktioniert. Er hatte Berger nun da, wo er ihn haben wollte. Wie zu erwarten, hatte die ganze Inszenierung den Mann völlig aus der Bahn geworfen.

      Durch Zufall hatte er den Dodge auf einem Parkplatz, weiter unten am See, entdeckt und dem Fahrer die Geschichte