Ahmad Ataya

Stirb


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zu vermitteln, als ginge ihm das Ganze nur am Rande etwas an, er habe schließlich Wichtigeres zu tun:

      » Kleinert, Mensch, bleib‘ cool; mach‘ einen Punkt. Du bist besser beim Radio, als bei der Polizei. Geh doch endlich hinein - und sollte was sein, ruf zurück. Und jetzt verschone mich mit dem Kram. «

      Als die Beamten sich das Schloss aufknacken ließen und ins Haus traten, bot sich ihnen das Bild einer Schlachthofhalle während der Frühschicht. Blutspritzer im Gang, im Treppenhaus zum Obergeschoss und überall an Türen und in Nischen, und vor allem im Obergeschoss vor dem Badezimmer. Dort in der Badewanne schienen die Täter nicht einmal darauf bedacht gewesen zu sein, ihre grausige Hinterlassenschaft zu verschleiern, oder gar zu beseitigen. Blutlachen, teils bereits getrocknet, teils noch nicht geronnen. In der kleinen Vorratskammer, Tür an Tür neben der geräumigen Küche, lag der Hund - regelrecht geschlachtet, der Hals aufgeschlitzt. Der Kopf baumelte nur noch an einem Hautfetzen. Sein langes schwarzes Fell triefte vor Blut. Die Polizisten suchten im Schlafzimmer, im Dachgeschoss, im Keller, in der Garage, im Kofferraum der Dodge-Karosse, hinten im verwilderten Gebüsch am Ende des Gartens. Von Gustav Milde selbst keine Spur.

      Richthofen faltete die Hände zusammen – ängstlich - wie beim kindlichen Gebet. Gustav Milde, du fettes Schwein, nur im Rauschschlaf solltest du liegen, sonst nicht. Aber wo steckst du nun, verdammt noch einmal? Bloß keine voreilige Vermutung, die nur ihn, Markus Richthofen, belasten könnte. Es wäre das Ende - dein Ende Markus Richthofen - du Nebenbuhler, flüsterte er sich zu, in dem bei ihm das Gefühl aufkam, die beiden letzten Worte würden wie zwei dicke Räder eines tonnenschweren Brummers über ihn rollen.

      Hauptkommissar Markus Richthofen, der fast über alle kleinen und großen Geschichten aus der Gerüchteküche in der mittelgroßen Stadt im Bilde war, musste hin und wieder erfahren, dass der Tratsch, der ihn betraf, nicht aufgehört hatte. Nur dem Staatsanwalt und dem Polizeipräsidenten hatte er damals seine Affäre mit Rita Milde offenbart. Er konnte nicht ausschließen, dass böse Zungen - und davon gab es unter seinen Kollegen und Neidern im Präsidium genug - dem Gedanken verfallen könnten, er hätte den Ehemann seiner Geliebten aus dem Weg geräumt. Richthofen hielt den Atem an. Er verstummte; er bebte: ein perfider Gedanke hätte ihn fast umgehauen: Führte Gustav Milde etwas im Schilde? Ist der Betrogene heimtückisch untergetaucht, um mit dem eigenen Verschwinden ihn, seinen Nebenbuhler, den Chefermittler, in Erklärungsnot bei Vorgesetzten zu bringen? Das geschmacklose Geschwätz über seine Affäre mit Rita Milde beruhigte sich damals erst, als sie vor sechs Jahren es nicht länger ausgehalten hatte, und nach München fortgezogen war. Sie hinterließ Richthofen keine genaue Adresse. Er hatte doch einen hohen Preis für sein außereheliches Vergehen bezahlt. Seine Frau war hinter seine Liebschaft gekommen - und hatte sich erhängt. Der gemeinsame Sohn, der nach der Schule seine Mutter baumelnd am Strick vorfand, wollte von seinem Vater nichts mehr wissen. Verwandte und Freunde wandten sich von ihm ab. Hinter seinem Rücken legte sich ein Jeder eine eigene Version von der Tragödie zurecht. Mal hieß es, er sei auf Liebestour mit seiner Freundin Rita unterwegs gewesen, als sich seine Frau das Leben genommen hatte, mal hätte Frau Richthofen vor ihrem Tod die Geliebte zur Rede gestellt und darauf in einem Kurzschluss gehandelt. In diesem Moment kam sich Markus Richthofen vor, als stünde er schon wieder vorm Höchsten Gericht. Erst der Selbstmord seiner eigenen Ehefrau vor Jahren und jetzt das Verschwinden des Ehemannes seiner Geliebten. Nur mit Mühe konnte Markus Richthofen seine Tränen zurückhalten. Er sah sich verloren, diesmal unumkehrbar im finsteren Graben verschachert. Ohne Unterbrechung trafen weitere Meldungen auf dem Bildschirm vor ihm ein. Ihm kam das Ganze vor wie Gekotze der Menschheit - ihm allein zugedacht, ihm brühwarm an diesem Morgen in den Schoß ausgespien - kurz vor seinem Untergang.

      Hauptkommissar Richthofen vermochte nicht einmal das Nächstliegende zu tun: nach Rita Milde zu suchen. Ob sie wusste, wo ihr Ehemann abgeblieben war? Er könnte den Fall keineswegs selbst übernehmen, hämmerte es ihm durch den Schädel. Kein Staatsanwalt, kein Vorgesetzter hätte das geduldet.

      In diesem Moment sah er es wieder als seine verdammte Pflicht an, die mysteriöse Sache durchzustehen. Er rief beim Präsidenten der Behörde an, ließ sich kurzfristig einen Termin geben. Richthofen tappte über die einzelnen Stufen langsam hoch. Er wollte sich Zeit nehmen vorm Erscheinen bei seinem Höchsten Richter. Der Polizeipräsident hatte es eilig. Er ließ Richthofen nicht zu Ende reden, griff nach dem Hörer und fragte überfallartig, ob der Staatsanwalt Bedenken hätte, dass Hauptkommissar Richthofen in diesem Fall seine Arbeit erledigen sollte. Niemand wüsste, wo Gustav Milde steckte, und ob ihm überhaupt etwas zugestoßen worden sei. Warum sollte Richthofen dem fiesen Kerl jetzt, nach so vielen Jahren, etwas angetan haben? Warum nicht schon früher - aus Wut und Verzweiflung, damals etwa als sich Frau Richthofen das Leben genommen hatte. Nicht wahr? Also aus der Sicht der Behörde gebe es keine Bedenken, ihm den Fall zu belassen. Die Kehrseite - die Sicht nach Außen? Ach - was soll das? Wenn es danach ginge, schon beim flüchtigen Verdacht seine Beamten in die Wüste schicken zu müssen, da stünde man als Behördenleiter jeden Morgen vor verwaisten Amtsstuben. Nicht wahr? Das könnte doch nicht angehen. Richthofen sei doch kein irgendwer, kein irgendein Leichtgewicht in der Behörde. Ihn kurzerhand vom Fall abzuziehen? Das würde Polizei- und Justizbehörden mehr Fragen bescheren, als sie beantworten könnten. Für seinen Mitarbeiter würde er die Hand ins Feuer legen.

      Das ganze höchstrichterliche Tribunal aus Polizeipräsident und Staatsanwalt über das „Sein oder Nichtsein„ des Chefermittlers Markus Richthofen dauerte noch nicht einmal zwei Minuten. Die zwei übergeordneten Dienstinstanzen waren sich am Telefon rasch einig: Hauptkommissar Richthofen genieße deren Vertrauen, basta… Augen zu und durch.

      Richthofen kannte den Ehemann seiner Geliebten mehr als es ihm lieb war. In seiner Einschätzung von Gustav Mildes Lebensumständen musste ihm Niemand aus der städtischen Idylle etwas erzählen. Früher verdingte sich Gustav Milde als Techniker im örtlichen Instandsetzungswerk der Bundeswehr. Mit seinem Erscheinungsbild nach der Frühpensionierung - weit ausgeschnittenes, vergilbtes Unterhemd über verschlissener Trainingshose und aufgedunsenem Bauch - hatte er sich jede Zuneigung verscherzt. Vorzugsweise trat er mit einer Fahne von Altbierhefe - obergärig, vermodert und säuerlich - auf. Seit ihm die Frau auch abhandengekommen war, versank er noch tiefer in seiner Abart. Das Paar Milde war kinderlos. Er lebte mit seinem ‚Tibeter-Apso‘ allein.

      Als sich die Polizisten bei Mildes Nachbarn nach der Frau erkundigten, nahmen die Leute kein Blatt vor den Mund. Ihr Lebenswandel hätte ihnen viel Toleranz abverlangt. Rita Milde, sei ständig auf Ausschau nach Bestätigung durch amouröse Abenteuer gewesen - mit Typen gleich welchen Alters. Am Ende vertrieben sie die fiesen Marotten ihres Ehemanns. Sie konnte ihn nicht länger ertragen. Weshalb nicht er, sondern sie sich über Nacht davon gemacht hätte, darauf wüsste man keine schlüssige Antwort. Vielen in der Straße wäre es lieber gewesen, sich weiterhin mit ihr als mit ihm herumzuschlagen. Zugegebenermaßen hätte man zwischen zwei Übeln zu wählen, zwischen Herrn Pest und Frau Cholera. Man flüsterte sich irgendwelche abenteuerlichen Gründe für ihr plötzliches Verschwinden zu. Selbstverständlich zählte dazu die naheliegende Vermutung, sie sei mit einem anderen abgehauen. Dennoch, Genaueres wusste man nicht. Nur das pensionierte Lehrerpaar von gegenüber konnte bezeugen, am Tag zuvor Gustav Milde und seinen Hund im Garten toben gehört zu haben. Vor dem Zubettgehen, so kurz vor 22 Uhr, wurden bei Milde alle Lampen im und am Haus eingeschaltet und der Fernseher schien sich über die Nacht hindurch nicht mehr beruhigen zu wollen. Sie hätten sich nie zuvor Wattestöpsel in die Ohren stecken müssen, um einschlafen zu können. Die Ex-Lehrer hatten sich daran gewöhnt im Sommer bei der Morgendämmerung, etwa gegen sechs Uhr, mit dem Gekläff seines Köters aufzustehen. Heute dagegen war vom Hund nichts zu hören gewesen. Vom Misstrauen getrieben, waren sie noch im Morgenrock zu Mildes Haus hinübergegangen. Sie klingelten zunächst zaghaft, dann doch stürmisch. Es meldete sich niemand. Darauf klopften sie unaufhörlich. Weder der ‚Bad Boy‘, wie die genervten alten Leute den langhaarigen ‚Tibeter-Apso‘ nannten, noch sein verhasster Guru gaben ein Lebenszeichen von sich. Sie wollten endlich in Ruhe ihr Frühstück zu sich nehmen und hatten keine Lust, sich von Scheusal Milde und seinem Hund den vielversprechenden Sommertag verderben zu lassen. Sie stellten die lästige Grübelei ein - der Fernseher von Milde lief indes auf höchster Lautstärke weiter - und riefen bei der Polizeiwache an. Die Ex-Lehrer erinnerten sich, einen dunklen Transporter ganz hinten