Marc Pain

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Sektorschiffe.

      Zuerst musste er die Erde verlassen, da war er sich seltsamerweise ganz sicher. Im Wohnsektor fühlte er sich besonders unbehaglich. Nie zuvor war ihm aufgefallen, wie erdrückend die Präsenz der mächtigen Gebäude auf einen wirkte. Er wollte diesen Sektor so schnell wie möglich verlassen.

      Angekommen am Terminal, musste er feststellen, dass es kein Sektorschiff gab, das zum Arbeitssektor 9 flog. Das Schiff war bereits abgehoben und hatte die Erde längst verlassen.

      Wird noch eins kommen? Das war gut möglich, doch Pan bekam keine Chance mehr, das herauszufinden.

      Er spürte, wie sich Unruhe bei den Umstehenden breitmachte. Als er sich umdrehte, sah er, dass mindestens zwanzig Polizisten das Plateau stürmten. Es blieb ihm keine Zeit mehr – nicht mehr lange und man würde ihn entdecken und fassen. Und was dann mit ihm geschehen würde, wollte er nicht herausfinden müssen.

      Just in diesem Moment flog ein kleines Schiff ein. Es war keines der großen Sektorschiffe. Ein kleiner Gleiter mit der Aufschrift: »Fähre«, landete vor Pans Füßen. Was eine Fähre war, wusste er nicht. Dieses Wort hatte er noch nie zuvor gehört oder gelesen und war folglich noch nie mit einer Fähre geflogen. Wenn er nicht geschnappt werden wollte, musste er wagen, herauszufinden, wohin ihn die Fähre bringen würde.

      Inzwischen strömte eine Menge Leute aus dem kleinen Gleiter und annähernd so viele drängten sich in das Innere. Pan nutzte die dadurch entstandene Hektik und schloss sich dem Strom der Menschenmasse an. Die Männer und Frauen trugen unterschiedliche Bekleidungen und Kopfbedeckungen, was ungewöhnlich für Pan war. Wenn er mit dem Sektorschiff zur Arbeit flog, hatte jeder an Bord dasselbe an. Jeder trug die robuste Arbeiterkleidung, die unentbehrlich war. Die schwarze Hose und das graue Hemd trug er auch an diesem Tag, er hatte es jedoch nicht mehr geschafft, sich seine Jacke überzuziehen.

      In der überfüllten Fähre stand er Schulter an Schulter mit Leuten, deren Wege er niemals hätte kreuzen sollen. Einige betrachteten ihn argwöhnisch, fast wie einen Aussätzigen. Die Passagiere hatten nicht erwartet, einen Arbeiter anzutreffen. Die negative Aufmerksamkeit missfiel Pan.

      Er schaute durch eines der Fenster und sah, wie sich die Polizisten der Fähre näherten. Sie waren nicht mehr weit vom Terminal entfernt und rannten schnurstracks auf die geöffneten Türen zu. Erneut von Angst gepackt, suchte Pan nach einer Lösung, einem Ausweg oder Schlupfloch. Als die Polizisten nur noch wenige Meter von der Fähre trennten, schlossen sich die Türen mit einem leisen Zischen und schon im nächsten Augenblick raste der Gleiter los.

      Pan blickte nach wie vor aus dem Fenster und sah auf den Wohnsektor hinab. Im Glauben entkommen zu sein, atmete er tief durch. Er ging davon aus, dass die Fähre den Planeten verlassen würde, so wie es das Sektorschiff jeden Tag tat.

      Wohin genau der Passagiergleiter flog – galt es erst noch herauszufinden.

      Die Sektorschiffe flogen zu verschiedenen Monden im Sonnensystem. Arbeiter mussten Rohstoffe abbauen, die entweder auf der Erde selbst oder auf Baustellen im Sonnensystem benötigt wurden. Pan war sein gesamtes Leben auf dem Jupitermond Europa stationiert gewesen und musste Wasser schöpfen sowie Eisen abbauen. Wasser gab es reichlich auf Europa und die meisten Arbeiter aus Pans Wohnsektor bauten ihr gesamtes Leben lang nichts anderes ab. Pan zählte zu den Ausnahmen, er arbeitete auf den Eisenfeldern des Mondes. Nur das, was sie für die Verrichtung ihrer Arbeit zwingend wissen mussten, stand den Arbeitern zur Verfügung. Und für diese Art von Arbeit waren nur geringe Kenntnisse nötig. Die Werkzeuge zum Abbauen des Eisens waren denkbar einfach konstruiert und die Steuerungen der Schutzanzüge hätten von einem Kind bedient werden können. Der Schutzanzug war eine Kombination aus Raumanzug und Exoskelett. Nur so war es möglich, auf der Mondoberfläche zu atmen und gleichzeitig die schweren Geräte zu bedienen. Erst auf dem Mond selbst, nach dem Andocken an eine Basis, wurden die Schutzanzüge angezogen. Den Arbeitern war es strikt untersagt, den Arbeitssektor mit einem der Schutzanzüge zu verlassen. Eben dieses Verbot wollte Pan versuchen zu brechen.

      »Nächster Halt, Wohnsektor 5 – Arbeitersektor«, sagte eine elektronische Stimme, die aus einem Lautsprecher drang. Verwundert blickte Pan durch die Fenster der Fähre. Ein Wohnsektor, der sich in nichts von seinem eigenen unterschied, tauchte unter der Fähre auf.

      Wir verlassen NICHT die Erde?, fragte er sich erstaunt und sein Herz begann zu rasen. Wie sollte er jetzt an einen der Schutzanzüge kommen, um sich damit an Bord eines Lastenschiffes zu schleichen? Er war nicht geflohen, um in einem weiteren Wohnsektor Unterschlupf zu suchen. Pan wollte weg aus der beklemmenden Kulisse der Erde. In diesem Augenblick beschlich ihn das Gefühl, rein gar nichts an seinem Schicksal ändern zu können.

      Die Fähre setzte zur Landung an und Pan wich von der Tür zurück. Er hoffte, in der Masse der Menschen unterzugehen. Während der Gleiter hielt, rechnete er jeden Moment damit, dass ein Trupp Polizisten die Fähre stürmen würde, um seiner Flucht ein jähes Ende zu setzen.

      Nach nur wenigen Sekunden schlossen sich die Türen und der Flug wurde fortgesetzt. Pan fragte sich, wohin die Fähre wohl flog und ob sie jemals den Planeten verlassen würde. Vielleicht wendete sie auch und kehrte zum Wohnsektor 4 zurück, wo die Polizisten ihn in Empfang nehmen würden.

      »Nächster Halt, Wohnsektor 6 – Arbeitersektor«, sagte die elektronische Stimme nach kurzer Zeit und die Fähre setzte erneut zur Landung an. Bei jedem Start und jeder Landung ließ Pan seinen Blick über die Dächer der Stadt gleiten. Eine Grenze konnte er nicht ausmachen. Die Gebäude erstreckten sich zu allen Seiten, hin bis zum Horizont.

      Ob es überhaupt ein Ende gibt?, fragte er sich, als die Fähre weiterflog.

      »Nächster Halt, Wohnsektor 7 – Arbeitersektor«, sagte die Stimme und die Flughöhe wurde geringer. Als sich die Türen öffneten, schwebte eine Drohne herein, noch bevor einer der Passagiere aussteigen konnte. Sie flog über die Köpfe der Stehenden hinweg, die sich nicht dafür zu interessieren schienen. Genau vor Pans Gesicht stoppte sie, begann wild zu blinken und ein Warnsignal auszustoßen. Das Signal machte die anderen Passagiere auf Pan aufmerksam. Noch aufmerksamer als zuvor. Die Mitreisenden wurden unruhig und wichen vor ihm zurück. Diese Fähre schien für ihn den Untergang zu bedeuten. Gefangen in einer aussichtsloseren Situation, als je zuvor, blickte er sich um und suchte nach einer Lösung, einem Ausweg.

      Verloren

      Mit ausgestrecktem Arm versuchte er, die Drohne auf Abstand zu halten, und schlug mit der Hand des anderen Arms nach ihr. Elegant wich sie seinen Schlägen aus und stieß ununterbrochen das Warnsignal aus.

      Was jetzt?

      Renn weg!, rieten ihm seine Gedanken.

      Ich kann nicht ewig davonlaufen!, musste er feststellen, bemerkte aber zugleich, dass sich sein Fluchtinstinkt nicht unterdrücken ließ. Der Drang, entkommen zu wollen, war das stärkste Gefühl, das er bis dato verspürt hatte.

      Langsam näherte er sich der Tür, dicht gefolgt von der Drohne. Die meisten Leute hatten sich von ihm abgewendet.

      Vor der Tür blieb er stehen – verließ die Fähre aber nicht. Er schien auf etwas zu warten, er wollte den richtigen Moment abpassen. Kurz bevor die Schiebetür zu schnellen konnte, stürmte er hinaus. Gerade noch rechtzeitig konnte er seinen Fuß aus der sich schließenden Tür ziehen. Die Drohne raste hinter ihm her, krachte gegen die Scheiben der Schiebetür und schon im nächsten Augenblick raste die Fähre, mit der Drohne an Bord, davon.

      Hastig blickte Pan sich um. Polizisten oder weitere Drohnen waren nicht in Sicht. Er rannte los, verließ die Landeplattform und hastete über das Plateau. Dabei stieß er unaufhörlich mit anderen Leuten zusammen, wobei diese oder er selbst manchmal zu Fall kamen. Unbeirrt rappelte er sich jedes Mal wieder auf und lief weiter. Schon bald verließ er das Plateau und bahnte sich seinen Weg durch die engen Gassen, die sich zwischen den Hochhäusern entlang zogen.

      Zunächst traf er hier auf niemanden. Keine Polizisten, keine Bürger, keine Drohnen. Niemand schien sich hierhin zu verirren, in ein Gebiet, das am Grund der Häuserschluchten nur spärlich von Sonnenlicht erhellt