Denise Remisberger

Fidibus und die dänische Fibel


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ausser natürlich dem Zollministerialen Ottokar, der gegen die Kälte auf und ab lief, so, dass der Landungssteg unter seinem Gewicht erzitterte.

      «Ihr hättet Euch keine Sorgen machen müssen, edle Dame, hier lauern keine Menschenmengen, die Eure Ankunft miterleben könnten», meinte Steuermann Sigi, der noch immer unter Schock stand.

      «Sieht so aus, ja», gab die Alte mürrisch zu.

      «Waren?», brüllte Ottokar die Anlegenden an.

      «Nein, nun nicht mehr!», brüllte die durchgefrorene Dame zurück. «Wir wurden gerade von mehreren irren Seepiraten überfallen und sind immer noch triefnass und völlig fertig. Wir brauchen dringend eine Unterkunft. Aber bestimmt keine Unterstellungen!»

      «Das war ja nur eine Frage gewesen, werte Frau. Dann macht es noch zwei Pfennige Hafengebühren.»

      Klothilde zog einen kleinen Lederbeutel mit Notpfennigen unter ihrem Kleid hervor und bezahlte.

      «Das Gasthaus befindet sich gleich dort drüben», fuhr der zurechtgewiesene Zöllner eifrig fort und zeigte auf ein grösseres Holzhaus, das sich einladend in den festgestampften Boden kuschelte, der vom Steg zu den ersten Häusern der Hafenstadt Rorschach führte. Davor stand ein Handkarren, auf dem zwei grosse Fässer auf die Weiterreise warteten und daneben band ein Kramer seinen Maulesel vom Holzbalken los, nachdem er ihn wieder mit seinen beiden Satteltaschen, die wertvolles Safran aus dem Süden, das in der Grafschaft Bregenz zwischengelagert worden war, enthielten, beladen hatte.

      Sigi eilte nach Hause in seine kleine Hütte am Stadtrand, um sich etwas Trockenes anzuziehen und eine heisse Gerstensuppe zu essen. Erst morgen würde er die nächsten Scherzkekse, die in dieser frostigen Jahreszeit unbedingt reisen mussten, in seinem Boot herumfahren.

      Klothilde und ihr Panzerreiter Trumer begaben sich hoch erhobenen Hauptes in die Herberge, um dort die Nacht zu verbringen und vorher eine riesige Portion Gerstensuppe mit viel Speckwürfeln darin zu verputzen und sich mit Honig gesüsstem Würzwein volllaufen zu lassen, denn sie hatten Trost bitter nötig.

      4

      «So, das Zimmer ist bereit», erhob sich Fidibus vom Strohsack, auf den er sich gerettet hatte, nachdem der Betschemel verstellt worden war. «Ich gehe jetzt zur Vesper in unser Gallusmünster und danach ins Refektorium essen.»

      Novizenmeister Karl trommelte seine fünf Jünglinge zusammen und begab sich mit ihnen in die Michaelskapelle, die sich innerhalb der für die Dorfbevölkerung von Sankt Gallen zuständigen Otmarskirche befand. Nach dem Stundengebet würden sie zur Kapelle hinaus über den winzigen Kreuzgang der Novizen in ihr eigenes kleines Refektorium laufen, um etwas Heisses zu sich zu nehmen, in dieser grässlichen Jahreszeit.

      5

      Die Sonne warf ihr karges Februarlicht auf das von kleinen Wellen gemusterte Wasser des Bodensees und liess auch den einen oder anderen matten Strahl auf die Behausung der sieben Seepiraten fallen. Das bucklige Halbrund, aus Schilf geflochten und mit Flechten gegen Wind und Kälte abgedichtet, duckte sich nah am Boden und verschwamm mit den Farben der Umgebung zu einem fast unauffindbaren Versteck, das nur über fussbreite Pfade und mit viel Orientierungssinn vom Festland aus erreicht werden konnte. Guzi kroch als Erster aus dem nicht sonderlich geräumigen Bau für sieben Personen, reckte sich, gähnte ausgiebig und rief seine Kumpane nach draussen. Gemeinsam kippten sie den Inhalt des grossen Lederbeutels, den sie der reichen Dame auf dem Boot abgenommen hatten, im morgendlichen Tageslicht auf der festgestampften Erde aus.

      «Ganz viele Silbermünzen», freute sich Gezi lautstark, während er einige der Silberlinge durch die breiten Finger seiner Pranken rieseln liess.

      «Und was machen wir mit den Dingern?», war dem sich am kahlen Kopf kratzenden Gözi noch nicht ganz klar.

      «Ausgeben natürlich, was sonst?!», meinte Güzi kichernd, massierte seinen Schwabbelbauch und sah schon Berge von kostspieligen Sachen in seine Tasche wandern.

       «Wir sollen zahlen?», staunte Guzi, der nochmals gähnte und dann seine langen dunkelblonden Strähnen mit einem erbeuteten bestickten Haarband in Weissblau zähmte.

      «Wir können so tun, als wären wir total normale Bauern und in den Dörfern rumschleichen, ohne erkannt zu werden», klärte Gäzi auf, der seine genagelten Stiefel umständlich anzog.

      «Und uns dabei umhören», ergänzte Gizi und glättete seinen mit Safran gefärbten, langärmeligen Kittel aus feinster Wolle, den er vor langer Zeit einem Adeligen geklaut hatte.

      «Ja, genau; wer von den reichen Leutchen wann über den grossen See in die Nähe unseres Lagers kommen wird», frohlockte Gozi, der eine Ladung Fürze losliess, die es in sich hatten.

      «Aber was ist das?», zog Gizi eine quadratische Fibel, aus Golddraht gearbeitet und mit dem Abbild eines Vogels in der Mitte, aus dem Münzhaufen hervor.

      «Das ist eine Möwe», zeigte Gözi auf das Schmuckstück.

      «Nicht im Traum. Das ist kein Seevogel», berichtigte Guzi.

      «Ein seltsames Tier», meinte Güzi.

      «Nur weil du es nicht kennst, ist es noch lange nicht seltsam», wies Gezi seinen jüngeren Piratenbruder zurecht.

      Alle starrten auf die Fibel, konnten sich aber nicht erklären, woher diese kam und was sie bedeuten sollte. Der wundersame Vogel blieb ein Rätsel.

      6

      Im Gasthaus der Hafenstadt Rorschach wurde vermittelt. Dame Klothilde war mit heisser Stirn erwacht, aus ihrem Bett direkt in die Küche getaumelt und hatte ihre glasigen Augen auf die Wirtin gerichtet.

      «Ich friere so», hatte sie mit klappernden Zähnen gejammert und die Arme um ihren fröstelnden Leib geschlungen.

      «Ihr habt Euch erkältet, werte Dame. Kein Wunder, wenn Ihr im Februar baden geht. Diese Seepiraten sind einfach ein Gräuel», hatte Wirtin Mara geschimpft und die Edle auf einen Schemel vor die in der Mitte des Raumes kniehoch aufgemauerte offene Feuerstelle gedrückt, in der bereits ein neues Feuer entfacht worden war, denn die Glut des vorigen Tages war über Nacht erloschen. «Nehmt!», hatte sie ihr einen Becher heisse Brühe gereicht, die sie aus einem Dreifusstopf geschöpft hatte, der in der neuen Glut stand, um einige Überlegungen anzustellen, während die Kranke sich aufwärmte. In der Herberge konnte sie nicht bleiben. Unmöglich. Sie würde alle anderen Gäste anstecken und sie für immer vergraulen. Nein, nein. Sie musste hier weg. Der Weg nach Sankt Gallen war viel zu mühselig. Sie hätte reiten müssen. Oder laufen. Aber zum Kloster Münsterlingen, das ein Krankenzimmer besass, führte eine gut fahrbare Strasse entlang des Bodensees und wie es das Schicksal so wollte, sass Händler Ottchen im Schankbereich des grossen Raumes und wollte heute noch mit seinem von zwei Mauleseln gezogenen leeren Karren nach Konstanz reisen, um dort neue Waren aus dem Westfrankenreich zu verladen. Und Münsterlingen lag da genau am Weg. Die schlaue Wirtin organisierte also für wenige Pfennige die Reise der fiebrigen Klothilde und ihres mitleidenden Panzerreiters Trumer im knarrenden Gefährt des Händlers Ottchen von Rorschach nach Münsterlingen und schickte eine mündliche Botschaft ans Kloster Sankt Gallen, die durch Bettler Pip, der heute seine wöchentliche Gratismahlzeit bekam und eh nach Sankt Gallen wollte, um sich dort von den Mönchen gleich nochmal verköstigen zu lassen, überbracht werden würde. Also wurden die beiden werten Gäste auf die Nuckelpinne verfrachtet, mit Sackleinen zugedeckt und los ging’s, an brachliegenden Flachsfeldern vorbei, an Fischerhütten und Bauernkaten, Weilern und Dörfern, am dem Kloster Sankt Gallen gehörenden Untergoldach, am dem Bistum Konstanz Abgaben zahlenden Arbon und immer in der Nähe des grossen Sees, auf den die beiden Überfallenen im Moment gar nicht gut zu sprechen waren.

      7

      «Sollte unsere reiche Pilgerin nicht langsam angekommen sein?», erkundigte sich