Gisela Fiebig-Habermann

Oma, wie ist es, wenn man alt wird?


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Anstrengung zu befahren. Doch Vedra musste fest in die Pedale treten, aber sie sagte nichts. Ich wusste, noch ein kleines Stück, dann kommt der asphaltierte Radweg, der ist gerade und da wird sie es schaffen.

      Werner und ich hatten uns schon vor Jahren diese Räder mit dem „Hilfsmotor“ gekauft. Man muss treten, aber bei Steigungen wird uns das Treten erleichtert. Einmal sind wir an einem anderen Ort einen Berg hochgefahren. Vor uns trampelten zwei junge Leute. Es war eine lange Steigung. Der junge Mann feuerte seine Freundin an und sagte: „Streng dich doch an und fahr schneller“. Aber wir, mit unserem „Hilfsmotor“ hatten die jungen Leute überholt. Als wir ein Stück von den Beiden entfernt waren, hörten wir den jungen Mann zu seiner Freundin sagen: „Schau mal, Du stellst dich so an und die Alten überholen uns“. Er hatte bei seinem Kraftakt unsere Hilfen nicht bemerkt.

      Jetzt sind wir auf dem Rundradweg, den ich oft alleine fahre und ihn sehr schön finde. Der Radweg wurde auch jetzt besser, aber irgend etwas musste bei Vedra's Rad nicht gepasst haben. Am Ende der Straße, wo es dann leicht bergab ging, blieb sie stehen und sagte: „Ich möchte da nicht fahren“. Auf meine Frage: Warum, konnte oder wollte sie mir keine Antwort geben. Ich denke einen bestimmten Grund hatte sie schon, den sie aber nicht benennen wollte. Ich drang nicht länger auf sie ein und sagte dann zu Werner: „Komm, wir drehen wieder um und fahren den gleichen Weg zurück“.

      Später, als ich sie nochmal nach dem Grund fragte, gab sie mir zu verstehen, dass sie sich mit dem Klapprad nicht sicher fühlte. Ich finde es gut, wenn sie sich selbst einschätzen kann und kein Risiko eingeht.

      Nach unserer Radtour saßen wir noch bei Werner im Garten. Vedra dachte sich eine Geschichte aus und ich habe sie aufgeschrieben. Sie sah auf meine Hände und sagte: „Oma, deine zwei Finger sind so krumm, hast du dir mal mit dem Hammer auf die Finger geschlagen?“. Ich hielt mit dem Schreiben inne und sah meine Finger an. Der linke Mittelfinger beugt sich immer weiter nach links und der linke kleine Finger zeigt nach rechts, außerdem sind die Knöchel dick. Schön ist das nicht, „Ja, Vedra, ich habe auch in den Fingern Arthrose bekommen. Das ist eine Gelenkerkrankung, sie macht sich immer dort bemerkbar, wo die Gelenke sind, die werden krumm und dick, so etwas taucht meistens im Alter auf. Nicht bei allen Menschen. „Hast du da Schmerzen Oma?“, wollte Vedra wissen. „Ja, manchmal sind die Schmerzen mehr, manchmal sind sie weniger. Ich meine, wie stark die Schmerzen sind hängt mit dem Wetter zusammen und wie viel ich meine Gelenke beansprucht habe. Wenn ich etwas fest ausdrücken möchte, z.B. einen Lappen, schmerzen die Finger und ich habe wenig Kraft in den Händen Vedra sah mich etwas traurig an. Ich habe ihren Blick sofort verstanden und sagte ganz schnell: „Aber schau, wie schnell ich schreiben kann, du musst dich beeilen, denn ich habe schon alles geschrieben, was du erzählt hast“. Wir beide lächelten uns an.

      Das Wochenende war wieder so schnell vorbei. Sonntagnachmittag wurde Vedra wieder von ihrer Mami abgeholt.

      Ich saß mit Werner noch eine Zeit zusammen und wir beschlossen, dieses Jahr wieder 8 Tage mit Vedra in Urlaub zu fahren. An den gleichen Ort, in das gleiche Hotel und vielleicht bekommen wir wieder das gleiche Zimmer. Zweimal waren wir schon mit ihr in diesem Hotel. Dort hatte für uns immer alles gepasst. Eigentlich bin ich nicht der Mensch, der immer an den gleichen Ort fahren möchte, denn ich will immer neue Umgebungen, neue Städte und neue Hotels kennenlernen. Aber mit Vedra ist das anders. Sie mag das großzügige Hotel mit den vielen Tieren.

      Die kleine Wohnung mit 2 Zimmern, Bad und großem Balkon ist so passend für uns drei. Sehr glücklich waren wir alle mit dem Naturschwimmbad im Haus. Jeden Abend vor dem Essen gingen wir in dieses Bad. Vedra war meistens unter Wasser, sie konnte die Augen öffnen, weil fast kein Chlor im Wasser war. Es wurde auf natürliche Weise gereinigt.

      Diesen Urlaub werden wir uns mit ihr nochmal vornehmen. Es kann sein, dass es das letzte Mal sein wird, denn ihre Interessen verändern sich. Dann gibt es andere wichtige Dinge in ihrem Leben, das ist dann auch in Ordnung.

      Als ich ihr den Urlaub vorschlug, war sie voller Freude. So buchten wir für die großen Sommerferien 8 Tage Aufenthalt in dem schönen Hotel im Bayerischen Wald. Wir fahren von Sonntag bis Sonntag, denn da sind keine Lastwagen auf der Autobahn und das wollen wir nutzen. Ich werde mit meinem Auto fahren, denn Werner ist die Verantwortung zu groß, wenn wir Vedra im Auto haben. Er ist 82 Jahre. Ich finde, dass er noch gut fährt. Natürlich langsam, aber trotzdem sicher, sonst würde ich nicht mit ihm fahren. Für mich ist das kein Problem, mein Auto ist auch mein „Freund“, es hat mich noch nicht im Stich gelassen, obwohl es auch schon19 Jahre alt ist. Ich habe sehr viel Fahrpraxis, seit meinem 21. Lebensjahr hatte ich immer ein Auto. Was im Alter sehr wichtig ist, dabei bleiben. Immer wieder mit dem Auto selbst fahren.

      Trotzdem sollte man mit sich sehr ehrlich sein und erkennen, was nicht mehr so gut funktioniert. Ich vermeide nachts zu fahren oder wenn es regnet. Durch eine leichte Linsentrübung in beiden Augen blenden mich nachts die Lichter besonders.

      Wir haben doch Zeit, wir können unsere Reise so planen, dass wir nicht nachts fahren müssen. Es werden schöne Urlaubstage mit Vedra werden, darauf freue ich mich schon sehr, aber bis dahin ist noch etwas Zeit.

      Am Donnerstag fahre ich wieder wie jede Woche zu dem Haus meiner Tochter und hole Vedra mit dem Auto von der Schule ab. Das ist für mich so selbstverständlich. Ich musste 1946 allein von der Schule nach Hause gehen. Es waren 4 km. Es gab keine Schulbusse auf dem Land. Auch wenn meine Mutti mich hätte abholen wollen, ging es nicht. Sie hatte keinen Führerschein und es gab kein Auto in unserer Familie.

      Ich warte in der Aula der Schule auf Vedra. Es klingelt. Da kommt sie mir schon freudig entgehen gesprungen, wirft die Büchertasche auf den Boden und umarmt mich. Was kann denn einer Oma Schöneres passieren als diese Begrüßung. „Wie war es heute in der Schule?“, wollte ich von Vedra wissen. „Ach, gut, wir haben eine Deutsch-Arbeit geschrieben“, antwortete sie mir. „Was hast du für ein Gefühl“, fragte ich sie. „Ein gutes Gefühl“, war ihre Antwort. Zuhause aßen wir beide zusammen, was ich für uns gekocht hatte. Lasagne und zum Nachtisch Apfelküchle, die liebt sie so sehr. Manchmal sprudelt es aus ihr heraus und sie erzählt mir von den Ereignissen in der Schule, wenn sie sich über ein Mädchen ärgern musste oder wenn sie Freude erlebte. Es ist schön mir ihr zu reden und zu erfahren, was sie bedrückt oder glücklich macht. „Jetzt muss ich Hausi machen“, teilte mir Vedra mit und sie wollte in ihr Zimmer gehen. „Machst du die nicht, wie immer hier im Esszimmer“, fragte ich erstaunt. „Nein“, war ihre klare Aussage, ich mache die alleine“. Das war neu, aber ich denke, das gehört zu ihrer Entwicklung, schließlich soll sie ja ein selbstständiges Mädchen werden.

      Ich räumte die Küche auf. Nach einiger Zeit kam Vedra zu mir und fragte: „Oma, kannst du mit beim Rechnen helfen, ich weiß nicht genau, wie das geht?“. Ich schaute mir ihre Aufgabe an, musste überlegen wie der Rechenweg ist. Das war mir im Moment nicht klar, das Ergebnis wusste ich, aber den Weg dorthin, wie sie das jetzt ausrechnen, war mir neu. Da ich ja nur einmal in der Woche hier bin, kann ich das Lernsystem nicht verfolgen. Würde ich das täglich sehen, wäre es kein Problem. Ich kam mir ziemlich dumm vor. Was habe ich einige Seiten vorher geschrieben?: Im Alter muss man immer dabeibleiben, um nichts zu verlernen oder neu zu lernen. Das bestätigt wieder diese Aussage. Auf jeden Fall, das Ergebnis stimmt.

      Ich denke an meine Jugend zurück. Wie viele Jahre ist es her, als ich in der 3. Klasse war?. Ich rechne nach. 1946 wurde ich eingeschult. 1949 war ich in der 3. Klasse. Jetzt haben wir 2015, es sind 66 Jahre her, als ich in der 3. Klasse war. Schon eine lange Zeit. Natürlich hat sich da im Lernsystem etwas verändert. Ich will ihr keinen falschen Rechenweg erklären, aber Vedra sagte: „Ich habe es schon mal fertiggemacht, so wie ich denke, das muss sich Mami dann noch ansehen“, beruhigte mich Vedra. „Lass uns jetzt noch etwas in den Garten gehen“, schlug Vedra vor. Ihr Lieblingsplatz war ganz hinten an der Regentonne, daneben stand ein alter Gartentisch. Da hatte sie immer Wasser für ihre Duftzubereitungen. Ich sollte ihr Beeren und Blätter pflücken und Vedra, zerdrückte, mischte, siebte und stellte „Duftwasser“ her. Man konnte wohl nicht herausfinden, was die Mischung alles beinhaltete, aber es roch sehr gut nach verschiedenen Kräutern. Durch das viele Bücken, schmerzte mein Rücken. Das sagte ich dann zu Vedra und sie antwortete prompt: „Oma, das kenne ich auch schon und ich bin noch nicht alt“. Ich