nicht mehr zu ertragen. Ich glaubte mich davon befreien zu können, wenn ich mich vor meine Arbeitsmaschine kniete und betete, denn ich war zu dieser Zeit sehr gläubig und in der Glaubensgemeinschaft praktizierten wir öfters diese Form des Kniens beim Beten. Der Meister fand mich, als er noch seine Runde ging und da ich in dieser Haltung verharrte, rief er den Sanitäter, der mich in die Klinik brachte. Die Herzschmerzen sind heute zwar verschwunden, doch die Gedanken an dieses Mädchen nicht. So nehme ich seit Jahren Medikamente gegen diese Sehnsucht.
Trink aus!
Julie ergreift nach meiner Erzählung das Wort: „Ich habe ja gewusst, du bist ein Steiger. Aber jetzt sollst du kräftig essen.“ „Du machst mir ein Essen, Julie? Fein, was gibt es heute?“ „Ich mache dir eine Eierspeise aus 5 Eiern.“ „Warum das?“ „Ich bereite dir jetzt deine Henkersmalzeit, damit du für deine Reise über den Fluss Lethe gerüstet bist. Heute Abend wirst du sterben! Zumindest wollen wir es versuchen. Wir machen es dieses Mal ganz anders.“ „Wie?“ „Das wirst du dann schon sehen. Zuerst musst du gut essen, es ist deine letzte Mahlzeit.“ „Ich dusche mich noch vorher.“ „Ja tu das. Damit du als Leiche rundherum schön bist. Ich möchte mich nicht mit dir blamieren müssen. Setz dich aufs Bett und dann leg dich auf den Rücken! Ja so ist es gut. Lege deine Hände an, so wie die Haltung der Soldaten bei der Befehlsausgabe. Hände an die Hosennaht, damit ich mich bequem auf dich setzen kann und du dir nicht weh tust und nicht herumfuchteln kannst. Ich setze mich auf dich, du brauchst keine Panik haben, es ist gleich vorbei. So, ist das angenehm für dich? Spürst du jetzt meine Mitte? Spürst du den heißen Kelch, ja noch etwas mehr zu mir. Trink jetzt daraus, er schmeckt ein bisschen bitter, aber das ist gleich vorbei. Spürst du die ausströmende Glut? Gib mir ein Zeichen indem du versuchst den Kopf zu heben. Ja, so ist es gut Ich drücke mich noch fester an dich. Du sollst dich nicht mehr bewegen können. Gib noch ein Zeichen, ja, das geht gut. Herrlich das Gefühl dich so nah bei mir zu spüren. „Trink!“ „Trink ihn leer, den Kelch, schluck!“ „Grumpf!“ „Schluck! Trink!“ „Grumpf!“ „Schluck!“ „Grumpf, grumpf, grumpf, grumpf.“ „Ja, das macht Spaß. Soll ich dir ein bisschen Verschnaufpause lassen? Nein eher nicht, das wäre nur Quälerei. Trink ihn ab, den See.“ „Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf.“ „Komm, ein bisserl geht schon noch!“ „Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grumpf. Grum. Grum. Grum.“ „Das ist schön, deine Bauchmuskeln reichen nicht aus, um mich abzuwerfen. Ich bin auch ein bisschen durchwachsen und du bist untrainiert, darum geht es recht flott ins Grab. Wir alle müssen dorthin, aber wir haben es nicht so schön wie du. Du kannst mir dankbar sein.“ „Gru. Gru. Gr. Gr. Grrrrrch. Grrrchhh. Gchchch. Chchch. Chch. Chhhhhhh. Chhh.“ „Gleich sind wir am Ende, deine Beine zappeln noch fuchtig, doch gleich ist es vorbei. Was hast du nur, ist er nicht schön, dein letzter Akt. Nur noch ein bisschen. Ein ganz kleinwenig noch und es kehrt Ruhe ein in deine Beine. So es ist vollbracht.“ „Hachachahh. Chacha.“ „Wenig.“ „Chach.“ „Nicht.“ „Cha. „Nicht mehr. Du zappelst nicht mehr. Ausgezappelt, Zappelphilipp. Du gibst dich auf. Herrlich! Das Projekt Sexmaschine ist geglückt. So mag ich es gerne. Ein Mann, der vor mir kapituliert! Schön! Ich habe dir ja gesagt, es ist bald vorbei. Nun, zum Abschied kommt, was ich dir versprochen habe, ich watsche dich noch mit meinen Brüsten ein, aber ganz liebevoll, du kleiner Hampelmann. Auch wenn du nichts mehr fühlst und spürst, sie sollen dir Ersatz für die Totenglocken sein. Dein Leben war schön, hat dir Freude bereitet und dein Sterben war fast schmerzlos und vor allem sehr kurz, du wolltest doch immer gesund sterben.“ Ich möchte auf die Straße laufen und vor Freude singen und tanzen. Ich habe mir das Projekt Sexmaschine ausgedacht und dann wurde es, wie ein Kind, einfach geboren. Wogen des Wohlgefühls durchziehen meine Brust. Ich erschaudere und erbebe ob der geglückten Tat, welch wunderbares Gefühl. Ich bin glücklich wie kaum je zuvor. Jetzt geht es an die Schreibarbeit. Bald steht mein erster Roman „Trink aus! Den bitteren Kelch. Die Täuschung“ im Regal. Jetzt schreibe ich meine ungewöhnliche Geschichte vom vorzeitig fremdbestimmten Sterben.
Karin
Die eher dicklich geratene Schülerin ruft bei Waldemar, ihrem ehemaligen Mathematiklehrer an. Die Nummer stand ja im öffentlichen Telefonbuch. Eine eher zaghafte Stimme dringt an sein Ohr. „Wolln´s net amol a ‚Dicke‘ schieb´n“ hörte er sie fragen. Dann trafen sie sich auf einem Parkplatz, der mit „Öffis“ gut erreichbar war und fuhren in eine Absteige. Sie war so erregt, dass sie ihm das Hemd aus der Hose zog, bevor die Zimmertür ganz geschlossen war. Bald darauf fanden sie sich im Bett wieder. Unter ihm liegend, zog sie ihn zu sich und ließ ihre kurzen Finger über seinen Oberkörper gleiten. Ihre klobige Figur, ihr Bauch hing trotz ihrer Jugend bereits mit dem Ansatz einer Falte über ihren Schamhügel, hatte nichts Erotisches an sich. Was ohne zärtliche Liebkosung begann, war vorerst schmerzhaft. Etwas später glätteten sich ihre Gesichtszüge wieder und sie lächelte sich in einen entspannten Schlummer. Karin wurde schwanger, obwohl sie ihn sehr darum gebeten hatte, sie nicht in diesen Zustand kommen zu lassen. Bald sah sie aus wie ein überdimensionaler Luftballon und sie litt sehr unter ihrer Fettleibigkeit und der Schwangerschaft. Waldemar war von ihrer Pein und ihrer Mühsal kaum berührt, sie trafen sich dennoch häufig an Wochenenden am Parkplatz. Ihre immer kürzer werdende Atmung erregte ihn zusätzlich und so hatte gegen Ende der Schwangerschaft nur mehr er den Spaß. Nach der Niederkunft verheimlichte sie den Namen des Kindsvaters. Sie zog weg von daheim, vorerst zu ihrer Tante. Doch der Terror dort war noch um einiges subtiler und gehässiger als zuhause, dafür wurde sie aber nicht geschlagen. Ihre Absicht, ein uneheliches Kind zur Welt zu bringen, schockierte Mutter und Verwandte. Doch was hätte sie tun sollen? Es abtreiben lassen, das wollte sie nicht. Die Mutter warf sie aus der Wohnung. Ihre Tochter besudelte sie mit Schande, mit der sie nicht leben konnte. Also musste sie weg, es war ihr egal wohin, einfach weg. Das wäre auch die Lösung für das Ungeborene gewesen, wenn sie schon den Kindsvater nicht ehelichen konnte. Aber die Tochter wollte eben nicht hören, also musste sie fühlen, die Tochter! So lautete der Spruch. Einen ‚Engelmacher‘ hatte die Mutter bereits kontaktiert. Sollte dabei eine Panne passieren, wäre das erträglicher als die Schande einer unehelichen Geburt. Doch Karin nahm lieber ihren Rauswurf aus der elterlichen Wohnung an, als an ihrem Zustand etwas zu ändern. Als sie auf die Gebärstation des Regionalkrankenhauses zur Entbindung kam, ließ ihre Kurzatmigkeit sie nur mehr mit mehreren Polstern im Rücken ruhen. Schlaf fand sie kaum mehr. Waldemar trat einen Höflichkeitsbesuch an. Ein Berg, der bald zu kreißen begann, erwartete ihn. So schob man sie in den Kreißsaal, von der Hebamme und einer Hilfsschwester begleitet. Karin war sehr tapfer und die Geburt ihrer Tochter war ungewöhnlich rasch und problemlos verlaufen. Ihr Schlaf war seit langem wieder tief und erholsam, wenn auch kurz.
Tante Hanni
Der Buschauffeur kennt den unaussprechlichen Ort, der ihm genannt wird. Mit etwas Unbehagen begibt sich Karin mit ihrer Tochter Dorli, wie sie sie nennt, auf die Reise zu ihrer Tante Hanni. Sie hofft abgeholt zu werden und gleichzeitig ängstigt sie sich vor der Begegnung mit Hanni und ihrer Familie. Die Busfahrt ist unbequem und schüttelt die beiden, doch Dorli scheint das nicht zu stören. Karin hat sich über die Dauer der Busfahrt nicht erkundigt und ist nach dreistündiger Fahrt in voller Erwartung ihre neue Bleibe kennen zu lernen. Als der Bus dann doch hält, steht ein Bub von etwa zehn Jahren an der Haltestelle und erwartet sie bereits. Die Begrüßungen sind rasch ausgetauscht und Karin folgt ihm zu einem Einfamilienhaus ganz in der Nähe. Hanni ist mit Küchenarbeit beschäftigt, als Karin mit Dorli im Arm eintritt, zur Begrüßung hört sie Hanni sagen „Do seids jo, es Gfris umassist“, was soviel bedeuten sollte wie
„Da seid ihr ja, ihr überflüssigen Gesichter.“ Dieser Satz war prägend für den gesamten Aufenthalt in diesem Haus. Als bald wurden Karin Aufgaben zugewiesen. Diese waren Gänsehüten, Holzarbeiten und Beerenpflücken. Auf die Reihe der Ausführung kam es nicht an. Sollte eines davon nicht zur Zufriedenheit für Tante Hanni erfüllt werden, gab es eine Mahlzeit weniger am Tag. Das bedeutet Hunger, weil die Mahlzeiten für das überflüssige ‚Gfris‘ unter normalen Umständen bereits sehr karg bemessen sind. Üblicherweise begann der Tag nach Bettenbau und Morgentoilette mit einem Brei aus Heidenmehl, das war Buchweizenmehl, mit Wasser und dazu Feigenkaffee. Danach hatte Karin zwar Appetit auf etwas Süßes, aber es gab nichts Derartiges. Der Brei war alles andere als schmackhaft, er war zum Kotzen, wie sie feststellte. Das kam auch