was ich dir sage!»
«Und wenn ich runterfalle?»
«Dann bezahlt der Staat die Beerdigung. Verschwinde jetzt und tu deine Pflicht fürs Vaterland.»
«Mein Vaterland ist aber Deutschland und meine Mutter stammt aus Österreich.»
«Das tut jetzt nichts zur Sache. Ausserdem hast du den Schweizer Pass.»
«Nein, auf den habe ich verzichtet.»
«Was?»
«Ja.»
«Geh!», befahl Klägeli befremdet.
Und Heribert Klaun gehorchte widerwillig.
9
«Heut’ Abend ist Grufti-Party im X-Tra», verkündete Senda gut gelaunt. «Kommt jemand mit?»
«Ich», lachte Aristo, «passt du auf Hexe auf, Ulrich?»
«Ich?», erschrak der Angesprochene.
«Ja, du. Weisst du nicht, dass Tiere heilsam für psychische Störungen sind?»
«Meinst du?»
«Ja, sicher.»
Als Senda und Aristo, beide in lange schwarze Mäntel gehüllt und mit schwarzen spitzen Lederschuhen an den Füssen, im X-Tra ankamen, schlug der Kirchturm nebenan gerade Mitternacht. Der Eintritt war gratis, die Getränke billig. Hier liess es sich abhängen.
«Grossalarm!», kreischte Heribert Klaun in sein Diensthandy.
«Was für ein Grossalarm?», fragte Kommissar Trüb gelangweilt zurück.
«Die Gitarrera, äh, ich meine die Hausbesetzerin geht in die Disko. Und sie ist nicht alleine.»
«Und jetzt?»
«Ich brauche mindestens zehn Leute für eine Beschattung. Sofort. Ins Palais-X-Tra am Limmatplatz.»
«Du kriegst höchstens fünf, Heribert, und schrei nicht so.»
«Ich warte im Eingangsbereich.»
«Ja, ja, wir beeilen uns.»
Auf der Tanzfläche war es nicht sehr voll, sodass sich Senda und Aristo ausgiebig im Rhythmus von «Joy Division» bewegen konnten.
Alle hier trugen Schwarz. Absolut niemand kam in einer anderen Farbe daher. Darum fielen die fünf Bestellten von der Kripo in ihren abgefriemelten Blue Jeans, mittelbraunen hohen Stiefeln und labbrigen weissen T-Shirts unglaublich auf.
Heribert versteckte sich hinter einem grossen Sofa. Er wollte keinesfalls von seiner Gitarrera erkannt werden.
«Was sind denn das für welche?», platzte es aus Mullrow heraus, der gerade bei Aristo stand und an seinem Plastikbecher Bier nippte. Er zeigte mit dem Finger auf die seltsamen fünf und kicherte.
Senda und Aristo schauten sich nur wissend an und sagten nichts. Sie beobachteten, wie einer der Auffälligen, ein kleiner Blondgelockter, auf die Tanzfläche schlich und zwar gut tanzte, aber absolut nicht im Stil der anderen. Ein zweiter, ein schöner Afrikaner mit Alibi-Arbeitsbewilligung bei der Schweizer Polizei, kam dazu, lächelte Senda die ganze Zeit über an und stolperte dauernd. Es war nicht sein Rhythmus. Viel zu cool.
Während es für Heribert hinter dem Sofa immer unbequemer wurde, ermüdeten die beiden Fahnder langsam und liessen sich von den drei anderen ersetzen.
Nicht, dass Senda und Aristo nicht schon selber den Altersdurchschnitt in dieser Disko anhoben, doch diese drei hier bombten die Skala direkt ins Altersheim. Der eine, grauhaarig und mit dicken Tränensäcken unter den trüben Augen, versuchte, sich dem ihm völlig fremden Rhythmus anzupassen, indem er, mit leicht gekrümmtem Rücken, sein Gewicht von einem Fuss auf den anderen verlagerte und wieder zurück. Der zweite, grösser und kräftiger, tat sein Bestes, es den schwarzbemantelten Hüpferlingen, die ihn, intensiv nach Haarspray duftend, umzingelten, gleichzutun und kam rasend schnell aus der Puste. Die Frau, klein und grauschwarz, hätte jetzt zwar lieber die Miracle Workers gehört, doch sie hielt sich ganz tapfer.
Heribert hatte endgültig genug und verdrückte sich in das eine der beiden Dienstautos, die am Strassenrand vor dem Lokal korrekt in einer Parklücke standen. Nach ein paar Minuten setzte sich sein blondgelockter Kollege zu ihm in den Wagen und zündete sich eine Super Light an.
«Musst du diese grässliche Pseudo-Zigarette hier drinnen rauchen, Carlo?», meckerte Heribert.
«Na hör mal, wir sind extra hierher gekommen, um dir beizustehen, und was ist passiert? Nichts! Absolut nichts. Dein Grossalarm hat sich als Fehlalarm entpuppt. Die beiden tanzen und trinken Bier. Das ist alles. Nein, das ist nicht alles. Sie lachen uns aus, das kommt noch dazu. Warum hast du nicht gesagt, dass hier alle schwarz angezogen sind? Dann hätten wir das auch so gemacht und wären weniger aufgefallen.»
«Woher sollte ich denn das wissen? Im besetzten Haus gibt es hauptsächlich Hippies, in alle möglichen Farben gehüllt.»
«Aber wie Hippies sehen wir auch nicht aus.»
«Nicht wirklich, nein. Zu stillos.»
«Keinen Stil, nein. Vielleicht sollten wir mal neue Arbeitskleidung bestellen.»
«Und wo kriegen wir die her?»
«Keine Ahnung.»
10
Nicht, dass Jacques besonders gerne Autostopp-Freaks mitnahm, aber schliesslich war er Pfarrer und somit verpflichtet, eine soziale Einstellung an den Tag zu legen. Also hielt er mit seinem Camper am Strassenrand und liess den jungen Mann einsteigen.
«Und auch noch mit Schweizer Kennzeichen! So ein Glück!», strahlte Felix den Fremden im Talar, verziert mit dem Beffchen, an und reichte ihm die Hand. «Ich bin Felix aus Zürich.»
«Ich bin Jacques, auch aus Zürich.»
«Wow! Nimmst du mich bis nachhause mit?»
«Klar, Felix. Du bist willkommen.»
«Danke. Vielen Dank.»
Das meinte Felix wirklich so. Denn mit diesem senkrechten weissen Kragen über schwarzer Seide im Geleit würde er alle Grenzen dieser Welt passieren können, ohne durchsucht zu werden.
11
Senda lag auf ihrer Matratze im oberen Stock des Hybridiums und erwachte angenehm berührt. Sie hatte gerade geträumt, dass Angus Young seine Power-Augen auf sie richtete, und war, um sieben Uhr morgens, ganz erotisiert aufgewacht.
Da sie jetzt aber viel zu müde war für etwaige selbstfreudige Tendenzen und heute ausserdem noch drei andere Personen im selben Raum schliefen, zog sie die pulsierende Energie vom Becken in den Kopf hinauf und ging Kaffeetrinken.
Sie musste lachen, als sie an Fahnder Heribert dachte, den sie gestern Abend rauchend vor einem Auto stehend angetroffen hatte, als sie und Aristo sich auf den Heimweg gemacht hatten. Sie hatte ihn nicht nur nach seinem Namen gefragt, sondern ihm noch den Spruch hingeworfen, dass Kleider Leute machen würden. Und dann hatte sie vielsagend gelächelt. Heribert hatte ganz schön perplex aus der Wäsche geguckt.
Nun ging es auf acht Uhr zu. Senda wollte heute eine Tour durch das frisch verschneite Zürich machen, und zwar mit ihrem digitalen ultrateuren Fotoapparat. Sie zog sich sehr warm an, Wanderstiefel an den Füssen, langer Lammfellmantel und eine bunte zipflige Wollmütze über den Ohren, die farblich zum dicken Schal und den Handschuhen passte.
Als Erstes nahm Senda den Flussweg, der vom Kreis Fünf hinausführte und am Central in den Limmatquai überging, um das dunkel fliessende Wasser der Limmat, gesäumt von schneebedeckten Bäumen, die ihre beladenen Äste bis tief ins Wasser hineinsenkten, ins Visier zu nehmen.
Die