Denise Remisberger

Die reisegeplagte Reliquie


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deren Privatsphäre. Wer aber aus dem Nichts auftauchte und plötzlich auf der Linse erschien wie der Leibhaftige, war Fahnder Heribert. Senda knipste ihn ausgiebig und winkte dann fröhlich.

      «Leute fotografieren ist verboten», meinte er pikiert, als er auf ihrer Höhe angekommen war.

      «Ach, wenn sie so süss sind wie du, gilt die Ausnahmeregel», strahlte ihn Senda an, sodass er nichts mehr zu dem Thema sagte.

      12

      Vreni Anderegg sass auf einem moosigen Wall, welcher sich vom Ufer des Bodensees einige Meter weit ins Wasser hinauszog, und stand ihrer Freundin Teresa bei, die einen recht grossen Plastiksack aus einer rosa strassverzierten Segeltuchtasche zog. Die dazugehörige Urne hatte Teresa zuhause gelassen, um die Seebestattung ihrer Mutter ohne amtliche Bewilligung möglichst unauffällig auszuführen.

      Teresa öffnete den grossen Plastiksack und verstreute die Asche, die eigentlich aus ganz feinen winzigen Knochensplitterchen bestand und eine liebevolle Energie ausstrahlte, im weiten Dreiländersee, hatte ihre Mutter aus der engen Urne befreit und liess sie nun hinaus in den blau-grünen Raum.

      Es war ein erhebender Augenblick, der die beiden Frauen glücklich stimmte.

      Sie blieben noch eine Weile sitzen und verliessen dann schweigend den für alle Zukunft gesegneten Ort.

      13

      «Welcher Musiker war dein Schwarm, als du ganz klein warst, Senda?», wollte Heribert wissen.

      Sie spazierten mittlerweile am Limmatquai entlang in Richtung Bellevue.

      «Drei.»

      «Was, drei?»

      «Ich schwärmte für drei Musiker. Den einen davon, Christian Anders, hatte ich sogar live gesehen, da war ich acht. Und dann waren da noch Peter Maffay und Meat Loaf.»

      «Dann bist du wahrscheinlich ein bisschen älter als ich, Senda.»

      «Oh ja, um einiges älter. Sicher um zehn Jahre.»

      «Das finde ich interessant.»

      «So, so, das findest du interessant. Und was hörtest du so, als du klein warst?»

      «Na ja. Das waren dann bereits die ‹Cure›.»

      «Ja, ja. Die hab ich auch gehört, allerdings als Teenager. Da gab’s noch keine CDs.»

      «Und jetzt? Welche CD hast du heute Morgen aufgelegt? Oder war es eine Platte?»

      «Meine Platten habe ich alle auf dem Flohmarkt verkauft. Eigentlich schade. Jetzt habe ich nur noch CDs und Schubladen voll alter Kassetten.»

      «Na, immerhin ist nicht alles weg.»

      «Nein. Heute Morgen hab ich gar nichts gehört. War zu früh. Aber gestern Abend. Fado. Eine Sammlung verschiedener Interpretinnen und Interpreten.»

      «Was ist das?»

      «Portugiesische Folklore. Melancholische Leidenschaft pur.»

      «Krass. Ich liess Eric Clapton laufen. Den höre ich noch oft.»

      «Dann haben wir ja beide eine Neigung zur Melancholie.»

      «Nur in der Musik», behauptete Heribert.

      «Das ist auch der ideale Ort, um so was auszuleben.»

      14

      «Ich suche meinen Pass», kommentierte Felix das hysterische Gewühle in seiner Tasche, während der Camper in der Warteschlange vor der Schweizer Grenze still stand.

      «Was klickt denn da so?», flüsterte Jacques plötzlich, weil er ein starkes Kribbeln im Nacken verspürte, das ihm normalerweise kundtat, dass etwas aussergewöhnlich Wichtiges stattfand.

      «Ach, das ist nur meine Schutzkugel. Hier», und Felix drückte Jacques die hochheilige Reliquie unbekümmert in die Hand.

      Als er endlich seinen Pass aus der rappelvollen Tasche gezogen hatte und Jacques die Kugel wieder aus der Hand genommen und verstaut hatte, fühlte er sich ganz wohl, trotz des grimmigen bärtigen Zöllners, der gerade durch das heruntergelassene Fenster auf Jacques’ Seite hereinstierte.

      Ganz im Gegensatz zum Herrn Pfarrer, der gleich zu explodieren drohte und sich nur unter mühsamstem Zusammenreissen davor bewahren konnte, die ersehnte Kugel dieser fremden Tasche zu entreissen und damit über alle Berge zu türmen. Er atmete vertieft durch, solange, bis sich sein Zustand stabilisiert hatte.

      «Darf ich dich mal in eurem besetzten Haus besuchen kommen, Felix, oder sind dort Pfarrer unerwünscht?»

      «Klar darfst du kommen. Nein, gar nicht unerwünscht. Für religiöse Streitgespräche nehmen wir uns gerne die Zeit. Wenn dich mein Hang zum Hinduismus nicht zu sehr stört?»

      «Nein, ganz und gar nicht. Wenn ich etwas als störend empfinde, dann ist das die Katholische Kirche. Aber auch nicht wirklich. Schliesslich haben wir uns durchgesetzt. Mit uns muss gerechnet werden.»

      15

      «Jacques, wo bleiben Sie denn?», tönte der gut genährte katholische Sankt Galler Prior salbungsvoll ins teure Handy.

      «Hans-Peter, ich habe die Reliquie nicht.»

      «Was?!» Jetzt schrie die Sankt Galler Konkurrenz. Das Salbungsvolle war gewichen wie der Teufel selbst.

      «Aber ich weiss, wo sie ist.»

      «Dann holen Sie sie!»

      «Langsam, langsam. Alles auf Erden braucht seine Zeit.»

      «Ich zahle Ihnen das Doppelte für den heiligen Gegenstand», flüsterte Hans-Peter und schaute sich mit konspirativem Blick um, in der ständigen Angst, belauscht zu werden.

      «Ich brauche nur Zeit, Hans-Peter, und die können Sie nicht kaufen. Alles kann die Katholische Kirche eben nicht mit Geld erwerben», fügte er hämisch hinzu. «Ich melde mich zu gegebener Zeit.»

      Und dann legte Jacques seinen Telefonhörer auf die Gabel. Sachte, aber bestimmt.

      Die Sache fing an, ihm diesen gewissen Spass zu bereiten, den sich seine Glaubensschwestern und -brüder aus früheren Jahrhunderten nicht hatten leisten können.

      16

      «Bin ich müde», stöhnte Felix und liess sich erschöpft auf eine der Bänke im Hybridium fallen.

      «Na, Hauptsache, du bist hier», bemerkte Ulrich aus seiner Ecke heraus und erinnerte sich mit Schrecken an die Geschlossene Abteilung im Burghölzli, die einem Gefängnis durchaus gleichkam.

      Raiuk, der Wolfshund, lag in seinem Riesenkorb, während Hexe Heribert, den Fremden, anbellte.

      Solange Heribert hier festsass, interessierte sich gar niemand für den Inhalt von Felix’ Tasche.

      «Verdammt», fluchte Aristo aus dem oberen Stockwerk, da ihm das Wachs ausgegangen war. Er hatte vorgehabt, eine der zahlreichen Konzertbesucherinnen der Grotta in sich verliebt zu machen mittels Puppenzauber. Nun musste er schauen, wo er blieb. Sie hatte ihn nämlich noch nie bemerkt, und das konnte er auf den Tod nicht ausstehen. Schliesslich fiel er auf, schliesslich war er speziell, wie konnte sie ihn nur übersehen?

      Senda legte die Karten.

      «Aristo, sie liebt einen anderen», las sie heraus und schrie die Deutung in Richtung oberes Stockwerk.

      «Der kann mich mal», brummelte Aristo aus den von unten uneinsehbaren Räumen.

      Heribert hatte absolut keinen blassen Schimmer,