Bezahlt hatten sie ihn für die nächsten vier Wochen, will heissen, er ist gratis zu haben. Allerdings befindet er sich nicht wirklich in Seenähe, eher in der Nähe unseres kleinen Pools.“
„Das ist doch gut“, meinte Pit Singer und hauchte dem armen Sergio eine stinkende Wolke von Restalkohol mitten ins Gesicht.
„Wenn Sie das so sehen, ist es natürlich in Ordnung.“
Die Zelte -zwei Zweier- wurden aufgestellt und der Harass Feldschlösschen in den Schatten gebracht.
„Mann, könnt ihr nicht mal Rücksicht auf mich nehmen?“, krächzte Thomas Wyler, der als Einziger der vier an seiner Alkoholsucht arbeiten wollte.
„Ich hab Durst!“, rief Andreas Hard, knickte den Bügelverschluss von der Flasche ab und trank.
„Wann fängt denn dein Kurs an?“, interessierte sich Hans Heiden, ebenfalls trinkend, halbherzig.
„Morgen um zehn Uhr“, fürchtete sich Thomas Wyler.
„Und wo findet der schon wieder statt?“, hatte Pit Singer einen seiner Aussetzer, die Flasche schon fast leer getrunken.
„Ein paar Häuser weiter am See.“
„Na dann prost!“, grölte Pit Singer.
„Witzig!“, maulte Thomas Wyler und schloss die Augen.
6
„Ich geh mal rüber zu meinem Bekannten Prior Hans-Peter“, informierte Pfarrer Jacques die anderen.
„Nimm doch das Gummiboot“, schlug Pfarrer Sebastienne vor. Er hatte es gerade mit einer Pumpe aufgeblasen.
„Gute Idee“, meinte Jacques, trug das bunte Boot zum Wasser und paddelte los. Nachdem er das heruntergekommene Haus gefunden hatte, legte er am kleinen Steg an und lief durch den verwunschenen Garten, bis er Hans-Peter in einem Liegestuhl entdeckte.
„Bist du bereits müde, Hans-Peter?“, lachte Jacques.
„Jacques! Da bist du ja! Darf ich vorstellen: Wanderpredigerin Rachilda Engel, Pfarrer Jacques aus Zürich.“
„Du bist die freiwillige Helferin?“, grinste Jacques und begutachtete die zwar schon fünfzigjährige, doch immer noch wunderschöne Frau in einem leichten schwarzen Sommerkleid, das ihr bis auf die Füsse fiel und hübsche Tulpenärmel aufwies. Ihre schwarzen Haare drapierten sich lang über ihre Schultern und waren mit Silberfäden durchzogen. Die Augen leuchteten in einem tiefen Smaragdgrün.
„Das ist ein irisches Kreuz“, stellte Jacques fest und zeigte auf Rachildas Halskette, an der ein Anhänger, mit einem Kreuz in einem Kreis und mit blauem Emaille überzogen, hing.
„Ja, ich bin eine spirituelle Wanderpredigerin und orientiere mich an der heiligen Brigida von Kildare, ohne dem heutigen Brigittenorden anzugehören und ohne das aus Binsen geflochtene Kreuz.“
„War sie nicht eine Bischöfin aus dem fünften Jahrhundert?“
„Oh ja!“
7
Der Wecker schrillte grausam und riss Thomas Wyler aus einem Schlaf voller Alptraumfetzen, die hauptsächlich davon handelten, dass ihm jemand sein Bier wegnahm. Eine halbe Stunde später schlurfte er extra langsam oberhalb des Campingareals einher und bog, nach mehreren Kurven, in den Chemin de Sous-Caran ein, der ihn nach insgesamt einer guten Viertelstunde zum Seminarort brachte.
Wanderpredigerin Rachilda hielt den Bogen mit den Anmeldungen ungläubig in den Händen und sagte: „Das gibt’s doch nicht!“
„Was denn?“, erkundigte sich Prior Hans-Peter.
Sie standen in der Küche, wo Rachilda gerade die Vorbereitungen für den Mittagsimbiss der ganzen Gruppe traf.
„Ach nichts“, winkte sie ab. „Ich bin nur falsch angezogen.“
Und damit verschwand sie hinauf in ihr Zimmer, zog ein oranges Piratentuch, mit kleinen goldfarbenen Plättchen verziert, aus der Schublade und band es um ihren Kopf. Dann streifte sie das schwarze Kleid ab und ersetzte es durch breite herbstfarbig gemusterte Leinenhosen und ein langärmeliges Hippie-Oberteil. Zum Schluss setzte sie eine grosse halbgetönte Brille auf. So würde sie ganz bestimmt niemand erkennen. Wieder unten, gesellte sie sich zu den beiden Therapeutinnen, die im Gruppenraum standen und mit dem Prior scherzten.
„So, ich glaube, wir sind alle vollzählig“, sprach Hans-Peter und forderte die Anwesenden auf, sich auf die runden Meditationskissen, die im Kreis aufgestellt worden waren, zu setzen. Hans-Peter stellte kurz sich, die Psychotherapeutinnen und die freiwillige Helferin vor.
„Ich kenne dich! Ich kenne dich! Ich weiss nur nicht mehr, woher!“, rief eine ältere Frau mit kurzen grauen Haaren und zeigte quer durch den Raum auf die alarmierte Rachilda, die nur mit den Schultern zuckte und sich dann auch gleich freundlich lächelnd verabschiedete, um in der Küche nach dem Rechten zu sehen.
„Vielleicht verwechselst du unsere Wanderpredigerin. Stell dich doch als Erste der Teilnehmenden vor“, ermunterte Selma, eine der beiden Therapeutinnen, die bewegte Frau.
„Also ich heisse Sabrina und ich trinke eigentlich nicht so viel.“
Ein befreites Lachen machte die Runde, einige nickten und Thomas Wyler rief: „Das sage ich auch immer.“
„Der erste Schritt, den wir gehen müssen, heisst ‚zugeben‘“, schmunzelte Heidrun, die andere Therapeutin. „Wir müssen Verantwortung für unser Tun übernehmen und uns selber eingestehen, dass wir ein ernst zu nehmendes Problem haben. Erst dann können wir damit beginnen, es zu lösen.“
„Darum machen wir jetzt eine kleine Übung“, sagte Selma. „Ihr beginnt eure Vorstellung mit ‚ich heisse‘, in deinem Fall“, zeigte Selma auf Sabrina, „‚Sabrina und trinke‘. Dann könnt ihr weiterfahren mit eurer Vorstellung.“
8
Während die Gruppe sich also eingestand, wieso sie überhaupt alle hier waren, flanierten Staatsanwalt Micha Fack und Staatsanwalt Tom Hürlimann am Campingstrand entlang und hielten Ausschau.
„Wie wär’s mit den beiden dort“, flüsterte Tom und schaute zu den Liegeplätzen, die im Wasser drinstanden.
„Ja, die beiden sind optimal“, antwortete Micha leise.
Sie setzten sich auf die Wiese hinter die beiden Frauen, welche zum ersten Mal in ihrem Leben auf zwei Liegen in einem See drin lagen und fröhlich miteinander plauderten.
„Das hab ich noch nie gemacht, im Wasser drin auf einem Liegestuhl liegen“, sprach Tom Hürlimann die beiden an.
„Wir auch noch nie!“, rief die eine der Liegenden und drehte sich zu den beiden Fremden um.
„Tom Hürlimann, Staatsanwalt aus Sankt Gallen“, zeigte Tom auf sich, „und das ist Micha Fack, Staatsanwalt aus Zürich.“
„Ich heisse Vreni Obermayer“, reichte die zu Unrecht beeindruckte Frau die Hand zur Begrüssung.
„Und ich bin Liselotte Pirmin“, beendete die andere die Vorstellung.
9
„Ich geh schwimmen“, kündigte Bernadette Hämmerli an. „Kommt jemand mit?“
„Ich komm mit“, freute sich Pfarrer Sebastienne und zog sich bis auf die rosa Badehose aus.
Bernadette lief in ihrem violetten Bikini und mit einem Badetuch in der Hand voraus zum See. Vorsichtig liessen sie sich ins kühle Nass hineingleiten und schwammen bis zum Floss hinaus, auf das sie sich setzten, um ein bisschen aufs wellige Wasser zu schauen.
„Heute