ich, „Vielen Dank!“, und nahm die Tüte entgegen ohne auch nur eine Ahnung von deren Inhalt zu haben. Das vierte Wort meines beschränkten Sprachschatzes wäre übrigens „Hej“ gewesen, was eine Mischung aus „Hallo“ und „Guten Tag“ bedeutet, das habe ich aber weggelassen, weil es in diesem Kontext nicht gepasst hätte. Doch dazu später mehr. Zurück zum Inhalt der Tüte. Eine Sichtprüfung ergab, dass es sich dabei um Zeitungsreste handelte.
So ein netter Mann, dachte ich bei mir, er bringt uns extra Papier zum Kamin anfeuern. Es war nämlich kalt.
Zuhause hatten wir keinen Holzkamin, und so entfachte ich ihn mit der Begeisterung eines Schuljungen. Ich brauchte ziemlich viel Papier, da ich damals im Holzofenanfeuern noch nicht so geübt war. Woher auch? Nach und nach zog ich immer wieder einen Fetzen Zeitung aus Åkes Tüte und nährte damit die kleinen Flammen, die nicht so recht wachsen wollten, aber gierig nach dem spröden Papier leckten. Da kam Dorit. Sie sah die Tüte, schaute prüfend hinein und wurde aschfahl.
„Was machst du denn da?“, rief sie vorwurfsvoll.
Dumme Frage. „Na, ich mache einen Kamin an, oder wie sieht das denn sonst aus?“, entgegnete ich gereizt.
„Ja aber doch nicht mit Åkes Erinnerungen, du Trottel!“
Hoppla!
Ich griff nach der Tüte und begutachtete die Zeitungsausschnitte, die ich zum Anfeuern des Kamins verwendet hatte, nun eingehender. Und tatsächlich: Es waren alles Artikel über Åke. Anja schien also keineswegs übertrieben zu haben. Åke musste wirklich in seinem Leben schon viel gemacht haben, denn es waren Zeitungen der letzten zwanzig Jahre, und manchmal war er sogar auf dem Titelblatt zu sehen. Ich hatte also Teile von Åkes Erinnerungen verbrannt. Das war mir ziemlich peinlich, auch wenn das meiste unbeschadet von Dorit gerettet werden konnte. Zu meiner Entschuldigung muss ich sagen, dass ich das nicht absichtlich gemacht habe. Tierisch peinlich war es mir trotzdem.
Der Kamin brannte jedenfalls.
Letztlich haben wir dieses Objekt, auch wenn es wirklich für unsere Pläne optimal gewesen war, nicht kaufen können. Es war uns am Ende trotz langer Preisverhandlungen leider doch zu teuer.
2
Alles in allem waren wir danach noch neun Mal in Schweden zu Hausbesichtigungen gewesen und haben uns insgesamt einundzwanzig Häuser angeschaut. In diesem Zusammenhang hatten wir zwangsläufig auch Kontakt zu den verschiedensten Maklern. Es gab gute und schlechte, aber es gab auch Rolf aus einem Maklerbüro in Småland.
Ich könnte nun versuchen, eine adäquate und literarisch subtile Umschreibung für den Begriff „unverschämter Bauernfänger“ zu finden, aber Rolf ist diese Mühe nicht wert. Rolf war Deutscher. Er hatte eine schwedische Maklerzulassung. Am Telefon erzählte er uns von seinen fantastischen Objekten. Als wir ihn dann trafen, behandelte er uns maßlos herablassend und schickte uns durch halb Schweden zu seinen Immobilien. Verwundert über so viel Kundendienst, stiegen wir ins Auto und fuhren los. Er selbst hatte angeblich keine Zeit, um uns zu begleiten. Das war sein Glück, denn wäre er dabei gewesen, hätte er uns näher kennen gelernt.
Wir fuhren zu einem wirklich beeindruckenden Gebäudekomplex mit etwa sechs Hektar Land. Der Hof selbst und die Stallungen befanden sich in einem atemberaubend guten Zustand und waren unlängst erst top saniert worden. Dorit betrat sofort völlig aufgeregt das Haus. Ich stand noch kurz davor und fragte mich, wo denn hier der Haken sei, da mir der Preis ungewöhnlich günstig erschien. Noch während ich so nachdachte, fuhr ich zusammen.
Ein ohrenbetäubendes Dröhnen erschreckte mich.
Die Erde bebte. Ich rieb mir die Augen. War da eben wirklich ein Schwerlasttransport durch unseren zukünftigen Garten gefahren? Leider hatte ich nicht geträumt. Die Landstraße führte direkt durch das Grundstück und teilte es in zwei Hälften. Zwei Hektar auf dieser Seite und vier auf der anderen der Straße. Rolf hatte wohl in der Hektik des Alltags lediglich vergessen, diese Marginalität zu erwähnen. Ich rief Dorit aus dem Haus, erklärte ihr die Sachlage, und wir fuhren umgehend und wutentbrannt zurück.
Leider haben wir Rolf nicht mehr persönlich angetroffen und haben den Schlüssel, zusammen mit einem Zettel, der mit passenden Worten beschrieben war, in den Briefkasten seines Maklerbüros eingeworfen. Telefonisch war er danach auch nicht mehr für uns erreichbar und hat sich nie wieder gemeldet. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Letztlich wurden wir aber fündig und kauften uns über einen dieses Mal wirklich exzellenten, schwedischen Makler, Gunnar aus Ulricehamn, einen kleinen Pferdehof im Västra Götaland, der etwa einhundert Kilometer nordöstlich von Göteborg gelegen war.
Als wir uns mit dem Verkäufer über den Preis und die Übergabemodalitäten einig geworden waren, leistete ich die in Schweden übliche Anzahlung in Höhe von zehn Prozent des Kaufpreises. Diese Anzahlung heißt lustigerweise „Handpenning“, hat aber mit Bestechung oder Barzahlung nichts zu tun. Die Herkunft dieses Begriffes scheint mir historische Wurzeln zu haben. Ich stelle mir gerade vor, wie in den nebeldurchzogenen Wäldern des 18. Jahrhunderts der Bauer Lasse dem kränkelnden Bauer Gillis den Hof abschwatzt und ihm schnell den Zehnten des Kaufpreises in die Hand schlägt, damit er es sich nicht doch noch anders überlegt. Vielleicht kommt die Bezeichnung daher?
Den Rest der Summe zahlte ich vereinbarungsgemäß zum Stichtag via Internetbanking. Da der Preis für das Haus unser geplantes Budget leider überstieg, um mit dem verbliebenen Rest noch Ferienhäuser dazu bauen oder kaufen zu können, beschloss ich kurzerhand, mich erst einmal als Handwerker in Schweden selbständig zu machen. Das hatte ich in Deutschland schließlich auch schon einige Jahre gemacht. Man muss flexibel sein, wenn man auswandern will, sagte ich mir. Ich hoffte, dass das gut gehen würde, war aber frohen Mutes und sicher auch etwas naiv.
3
Wir hatten jetzt also unser Haus in Schweden, und es gab kein Zurück mehr. Als dies und unsere nicht mehr wegzudiskutierenden Fluchtgedanken bekannt wurden, wussten selbstverständlich fast alle zuhause in Deutschland etwas dazu zu sagen. Und ich muss nicht erwähnen, dass die Mehrzahl dieser Personen sehr viele Gründe dafür vorweisen konnte, dass das eine schlechte Idee war. Der Satz von Kurt Tucholsky „Und wenn der Mensch auch nichts mehr hat, Bedenken hat er immer“, ist mir seither zu einem festen Eckpfeiler meiner zwischenmenschlichen Bewertungen geworden.
Keiner dieser Bedenkenträger (mit einer einzigen Ausnahme) war jemals selbst in Schweden gewesen, aber ein jeder wusste zumindest ganz sicher, was für schlechtes Wetter dort oben vorherrscht, und das vor allem ständig. Dort regne es selbstverständlich immer und unaufhörlich, es sei denn, es wäre zu kalt. Dann würde es konsequenterweise schneien.
Fest stand zumindest, dass es in Schweden keine Sonne gibt und wenn, dann würde man sie nicht sehen können, denn stockdunkel sei es dort ja auch ganzjährig. Später haben wir herausgefunden, dass das gar nicht stimmt. Es gibt sehr wohl eine Sonne in Schweden (wir haben sie selbst gesehen und Fotos von ihr gemacht!). Diejenigen, die bemerkten, dass uns auch beständige, sonnenlose Minusgrade nicht davon abhalten würden, diesen Schritt zu gehen, brachten die parasitäre Kleinfauna als Gegenargument ins Spiel. Ach, was es dort für Mücken gäbe! Kleine, große, dicke und dünne, aber vor allem extrem viele.
Und trotz meines spitzfindigen Einwandes, dass ebendiese Mücken wohl nicht so zahlreich sein könnten, bei diesen dermaßen tiefen, schwedischen Durchschnittstemperaturen, wurde stur weiter darauf beharrt. Es musste sich folglich um Myriaden von Eisinsekten handeln. Mücken, die sich bei völliger Dunkelheit und dreißig Minusgraden spielend zurechtfinden und ihren Opfern literweise Blut für eigene Zwecke abzapften.
Verdammt!
Als aber auch diese düsteren Prophezeiungen uns nicht abhalten konnten, mussten die Lebenshaltungskosten herhalten. Schweden sei teuer! Dass man in Schweden jedoch zum Beispiel nur minimale Eigenbeiträge zur Kranken-, Renten- oder Arbeitslosenversicherung bezahlt und dass auch vieles andere erheblich billiger ist, das war keinem bekannt, und geglaubt wurde es auch nicht. Wir wurden als verträumte Spinner abgetan, die sich ihren wahnwitzigen Plan schönreden wollten. Komischerweise