Stefan Berg

Mücken bei 30 Grad minus


Скачать книгу

in allen Punkten daneben.

      Eigens zur Überbrückung ebendieser Sprachbarriere hatten wir uns – in freudiger Erwartung auf neues Wissen und Können und zur optimalen Vorbereitung auf unseren neuen Lebensabschnitt – auf ebay bereits einen zwar etwas antiquierten, aber dafür umso preisgünstigeren Sprachkurs (noch auf Kassette! Die Älteren unter den Lesern werden sich erinnern …) ersteigert.

      Das Angebot las sich gut, das ersteigerte Produkt entpuppte sich allerdings als Katastrophe. In diesem Kurs, der bestenfalls auf B-Movie-Niveau als eine Art Hörbuch produziert worden war, torkelte ein völlig debiler Clown durch Stockholm, um Leute zu belästigen, indem er zum Beispiel wahllos diverse Blumensorten von hilflosen Verkäuferinnen erwarb oder auf Teufel komm’ raus belegte Semmeln mit verschiedensten Belägen bestellte. Und das alles auf Schwedisch.

      Diese kleinen Geschichten hatten allesamt etwas grausam Psychedelisches und wurden zudem noch von dermaßen furchtbaren Klängen und einer einschläfernden Sprecherin begleitet, dass ich es letztlich vorzog, lieber gänzlich ohne Sprachkenntnisse nach Schweden zu ziehen, als mir meine Sprachbasis mithilfe eines Wahnsinnigen anzueignen, der sein verkleidetes Unwesen in Schwedens Metropole trieb. Der Clown machte mir Angst. Dorit zwar nicht, aber sie fand ihn genau so dämlich wie ich, weshalb er schließlich im Handschuhfach meines damaligen Volvos verschwand.

      Den Volvo hatte ich mir übrigens im Affekt zugelegt, um mich schon vor der Einwanderung auf Schweden einzustimmen. Es war das schlechteste Auto, das ich jemals besessen habe. Vielleicht konnte man für neunhundert Euro aber auch nicht mehr erwarten. Ich habe ihn, da er die Reise nie und nimmer heil überstanden hätte, noch vor unserer Auswanderung verkauft und den Clown gleich mit. Wahrscheinlich wohnt er noch immer im Handschuhfach und plappert vor sich hin.

      Goodbye Deutschland!

       Der ganz normale Wahnsinn eines länderübergreifenden Umzugs, warum man immer eine Rolle Toilettenpapier dabeihaben sollte und wie man neue Nachbarn für Sachen haftbar macht, die sie nicht zu verantworten haben.

       4

      Die Entscheidung war getroffen. Der Umzug sollte zum ersten Oktober geschehen. Nun war es also an uns, eine Spedition zu kontaktieren, die einen länderübergreifenden Umzug seriös und zu einem akzeptablen Festpreis durchführen konnte. Ich bin ein systematischer Ordnungsfanatiker, der schon bei weitaus geringeren Anlässen – wie etwa einfachen Geburtstagspartys – irgendwelche Listen und Pläne verfasst und deshalb oft verlacht wird. Hier aber schien mir das äußerst angebracht. Ich zählte also Möbelstücke, schätzte Volumina und erstellte Packlisten. Ich wollte optimal auf die Gespräche und Verhandlungen mit den Spediteuren vorbereitet sein. Ich habe vier Angebote eingeholt, denen der Hausbesuch des jeweiligen Speditionsvertreters vorausging.

      Das Auftreten, die Vorgehensweise, aber auch die Ergebnisse der Besprechungen waren sehr unterschiedlich. Sie reichten von konkreten, schriftlichen und sehr ausführlichen (was mich angesprochen hat) Aussagen bis hin zu Kommentaren wie „Das kriegen wir da schon rein!“ Wenn man mit zwei kompletten Haushalten, einem Kind, einem Hund und einer Katze ins Ausland ziehen will, gibt einem eine solche Aussage ein absolut sicheres Gefühl, nämlich dafür, genau diesen Spediteur nicht zu nehmen. Die Preisspanne erstreckte sich zudem von 5.000,00 bis hin zu sage und schreibe 11.000,00 EUR.

      Wir haben uns schließlich für den Kompromiss aus günstigem Preis und einigermaßen gutem Gefühl geeinigt. Letztlich hat der Umzug durch die Spedition rund 6.500,00 EUR gekostet, und es ist trotzdem nicht alles glatt gelaufen, da der Spediteur in seinem Angebot – das habe ich dummerweise unterschrieben, ohne nochmals genau Position für Position zu prüfen – nur neunzig statt der mehrfach besprochenen einhundert Kubikmeter Transportgut kalkuliert hatte. „Das wird schon reichen“, redete ich mir trotz meiner professionellen Raumkalkulationen ein, nur weil ich mich nicht ärgern wollte.

      Nach unserer sehr gelungenen Abschiedsparty, die von teilweise rührenden Darbietungen unserer Freunde begleitet worden war, war es Ende September endlich soweit. Der zuvor bei der beauftragten Spedition bestellte Lkw rollte mit zwei Packern – einem schweigsamen, sehnigen Deutschrussen und einem stämmigen, ganzkörpertätowierten Brandenburger – vor und wurde beladen. Dass die beiden von einer völlig anderen Firma kamen, als derjenigen, die ich beauftragt hatte, verwirrte mich zuerst.

      Ich dachte sofort an die alte Sendung „Die Kriminalpolizei rät“ und Eduard Zimmermann oder „Aktenzeichen XY ungelöst“. Ich sah vor meinem geistigen Auge schon zwei Gauner in Blaumännern, wie sie unsere Sachen über eine östliche Landesgrenze Grenze schaffen und sich dabei halb totlachen, weil ich so einfältig gewesen war, obwohl ich beide, Eduard Zimmermann und Rudi Cerne, kannte.

      Meine Befragung der beiden ergab, dass sie als Subunternehmer für diejenige Spedition arbeiteten, die ich eigentlich beauftragt hatte. Sie konnten das schriftlich belegen, weshalb mein Argwohn ihnen gegenüber verflog. Meine Verärgerung gegenüber dem Spediteur jedoch nicht. Ich rief ihn umgehend an und sagte, dass ich zumindest erwartet hätte, dass er mir das eventuell und freundlicherweise mitteilen würde. Er entgegnete nur, das sei sein gutes Recht und das stünde ja auch im Vertrag. Es stand tatsächlich im Vertrag, wenn auch in klitzekleinen Lettern auf der Rückseite des Angebots. „Vielen Dank für das Gespräch, Herr Spediteur!“ Ich legte auf.

      Die beiden unverschämt unterbezahlten Möbelpacker machten hingegen einen professionellen Job und nutzten jede Lücke des Stauraums optimal aus, aber leider waren die neunzig Kubikmeter natürlich erreicht, bevor mein Büroinventar und zahlreiche Blumentöpfe dazugeladen werden konnten. Es waren genau die fehlenden zehn Kubikmeter, die ich mir schöngeredet hatte. Meine Berechnungen hatten gestimmt. Ich fragte also meinen Freund und Nachbarn Peter, ob er morgen schon etwas Bestimmtes geplant hätte oder ob er und seine Frau Hertha mich mit einem weiteren Fahrzeug nicht nach Schweden begleiten wollten. Die beiden willigten spontan ein. Ich musste jetzt nur noch einen Miettransporter organisieren. Gesagt, getan. Am nächsten Tag beluden wir den überteuert und hastig gemieteten Mercedes Vito und fuhren ab.

      Goodbye Deutschland!

       5

      So zog die Karawane los. Sie bestand aus meinem Wagen, der von Frank, dem Ex-Mann meiner Freundin Dorit und damit Lisas Vater, gelenkt wurde und neben den Dreien eine schreiende Katze (Lou) und einen unter homöopathische Drogen gesetzten Hund (Pepper) an Bord hatte. Gefolgt von dem Speditions-Lkw mit Anhänger und schließlich unserem Transporter mit meinen Büromöbeln, Blumentöpfen, allerlei Krimskrams, Peter, Hertha und mir an Bord. Die Kolonne war als solche nicht sofort erkennbar, denn zwischen den Fahrzeugen lagen zum Teil mehrere hundert Kilometer Abstand, aber unsere Handys gaukelten uns Nähe vor.

      Dorit, Lisa und Frank erreichten das Ziel in Schweden als erste. Der Lkw hingegen musste die gesetzlichen Zwangspausen einhalten. So kam es, dass unser Vito den Lkw überholte und sich schließlich gegen drei Uhr nachts, nach vierzehn unerholsamen Stunden, in der Nähe des Zielorts befand.

      Bereits einige Kilometer vorher fiel mir Peters gequältes Gesicht auf, doch ich dachte mir nichts dabei. Was soll ich sagen? Wir fanden unser Haus nicht. Es war dunkel (hatten die Leute am Ende doch Recht?) und ich war erst ein einziges Mal dort gewesen, nämlich zur Besichtigung vor dem Kauf. Also rief ich Dorit auf ihrem Handy an, die zwar noch recht genau wusste, wie sie zum Haus gekommen waren, ich aber konnte ihr leider nicht erklären, wo wir uns befanden.

      Deshalb musste uns jetzt also unser Makler Gunnar weiterhelfen. Ein netter Kerl. Er hatte mir angeboten, dass ich ihn jederzeit kontaktieren könne. Ich war mir zwar nicht ganz sicher, ob jederzeit auch die Zeit zwischen drei und vier Uhr morgens beinhaltete, aber ich war verzweifelt genug, es herausfinden zu wollen.

      Nach langem Klingeln hob Gunnar ab. Sein total verschlafenes und akzentbehaftetes Englisch war nur teilweise verständlich, aber ich glaubte etwas mit „Ö“ herausgehört zu haben. Peters Gesichtsausdruck wurde indes nicht besser. Wir fuhren weiter. Da, ein schwedisches Schild! Man konnte die Orte „Börstig“ und „Möne“ in reflektierenden Lettern auf blauem Grund