Wolfgang Fabian

HASSO - Legende von Mallorca


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für einen neuen Wohlstand in der Familie. Als der Mann alt gewor­den und gestorben war, musste seine Witwe das Unternehmen in fremde Hände legen, obwohl sie auf sieben er­wachsene Söh­ne hätte zurückgreifen können. Doch jeder von ihnen hatte seinen eige­nen Kopf, seine eigenen beruf­lichen Vorstellun­gen. Immerhin hatte der älteste der Brü­der, als der Verkauf bereits abgemachte Sache war, sich um die abschließenden Geschäfte gekümmert, aber vollkommen interesselos; er verkehrte lieber und häufig in verrufenen Schenken und auch Freudenhäusern im Lande. Unter vorgehaltener Hand hatte es obendrein geheißen, er habe sich mit zweifelhaften Geschäften abgegeben, wo­für er mit Ge­fängnis bestraft worden sei. Dieser Mann war die anfangs an­gesprochene Ausnahme unter den Schützendorfs, nun ja, bis vie­le Jahre später Hasso das Treiben seines aus der Art geschlagenen Onkels weit in den Schatten stellen sollte.

      Ein weiteres Beispiel ist eine Komödie und nicht min­der be­zeichnend: Es war im Jahr 1886. Nach der Geburt des Jüngsten der sieben Brüder ließ der eigenwillige Vater auch die letzte kirchliche Aufforderung, den neuen Erdenbürger endlich taufen zu lassen, absichtlich außer Acht. Er hatte dem Säugling den Namen Leo gegeben, worin an sich kein Problem zu erkennen gewesen wäre. Dass er aber öffentlich verlangte, nur den Papst, nämlich den damaligen Papst Leo XIII., als Taufpaten anzuer­kennen, ging dem örtlichen Kle­rus zu weit. Also wurde der Heilige Vater von dem höchst ungebührlichen und verwerfli­chen Verhalten eines seiner Schäfchen unterrichtet, mit der Bit­te, anzuordnen, diesen anmaßenden Menschen aus der Gemein­schaft der Gläubigen auszuschließen, falls er sein unverschäm­tes Verhalten nicht widerrufe und be­reue. Nun, der Heilige Va­ter wohnte der bald anberaum­ten Taufe nicht persönlich bei, ließ aber eine Urkunde prä­sentieren, selbstverständlich mit Sie­gel und Unterschrift, aus der hervorging, dass man ihn, Papst Leo XIII., als Taufpaten des Knaben Leo anzuerkennen und dieses auch zu dokumentieren habe.

      Nun endlich konnte der kleine Leo die Taufe über sich erge­hen lassen, und zwar in einem nachempfundenen Papstgewand, was den Pfarrer erneut bedenklich stimm­te. Doch mit einer Bekleidungsvorschrift für Täuflinge konnte er nicht aufwarten.

      Sagen wir noch etwas zu den sieben Brüdern Schüt­zendorf. Der ungewisse Verbleib des Ältesten ist ange­sprochen worden. Und auch keiner der anderen Brüder ist, wie gesagt, bereit ge­wesen, den guten Magenbitter weiterhin zu produzieren und zu vertreiben. Dennoch sollte zukünftig der Name Schützen­dorf in vieler Munde und vor allem Ohren sein und blei­ben und für Qualität bürgen. Denn für fünf der Brüder führte ihr ererbtes musikalisches Talent zur Berufung. Al­fons, Gustav, Guido und Leo stiegen als Baritons und Bass-Baritons zu gefragten Opern- und Konzertsängern auf und wirkten in vielen bedeu­tenden Opernhäusern der Welt. Leo erlangte von ihnen den höchsten Ruhm; aber er starb früh, 1931, nicht einmal sechsund­vierzig Jahre alt. Hassos Vater Eugen, gleichfalls gesegnet mit einer entwicklungsfähigen Stimme, gesundheitlich aber oft an­geschlagen, brachte nicht die physische Kraft auf, sich sin­gend sein Brot zu verdienen. Doch die Musik sollte auch für ihn an­sehnlicher Broterwerb werden. Als Klaviervir­tuose und -lehrer begleitete er, wenngleich sehr selten, den einen oder anderen seiner singenden Brüder, wenn Konzertabende angesagt waren. Ein einmaliges Ereignis war es, als die vier Brüder 1915 im Stadttheater Bremen gemeinsam auf der Opernbühne wirkten; einmalig, denn einzuhaltende Verträge gestatteten sehr selten Besonderheiten; familiäre Zusammenkünfte zählten dazu.

      Hassos Vater tat sich neben seinen musikalischen Aufgaben auch als Buchautor hervor, womit er den Namen Schüt­zendorf noch bekannter machte. Etwa Mitte des Zweiten Weltkrieges war sogar die Umgebung des Füh­rers auf ihn aufmerksam geworden: Er wurde in die Reichskanzlei berufen, um als Mitverantwortlicher den Führungsstab der Truppenbetreuung zu bereichern. Und was war aus dem Letzten (nicht nach der Ge­burtsfolge) der sieben Brüder geworden? Auch er war bei guter Stim­me, zog es aber vor, als Spirituosenvertreter durch die Lande zu ziehen. Es hieß, auch er hät­te die Magenbittertradition seiner Familie auferstehen und erneut ge­winnbringend sich entwickeln lassen können (alko­holische Getränke wurden und werden schließlich zu allen Zeiten verkauft). Aber auch er war nicht bereit, das Kräuterschnaps-Unternehmen mit frischer Ver­antwortung in die Zukunft zu führen.

       Eugen Schützendorf heiratete um die Jahreswende 1923/24 in Düsseldorf die Tochter eines ehemaligen preußischen Generals, mit der er bereits ein Kind gezeugt hatte (Roswitha). Die junge Ehefrau entwickelte eine bemerkens­werte Energie, wenn es ihr darum ging, sich auf Bällen und Empfängen vor den anwesenden Herren in Szene zu setzen, Lebenslust zu ver­sprühen. Doch als sie dann zum zweiten Mal schwanger ging, sah sie ihre Jugend schwinden und unterließ nichts, sich ihrer Lei­besfrucht zu entledigen. Sie mutete sich überhitzte Sei­fenbäder zu, sprang, natürlich immer nur dann, wenn ihr Mann außer Haus war, vom Küchentisch auf den Steinfußboden oder unternahm sonst was, wobei sich das Dienstmädchen als eine heimliche Beobachterin bewies. Das Kind im Bauch Frau Schützendorfs wuchs trotzdem, strotzte jeder Gefahr und wurde im November des Jahres 1924 geboren und auf den Namen Hasso getauft. Der kleine Kerl aber hatte wei­terhin unter dem Hass seiner Mutter zu leiden. So legte sie ihn, zwei Monate nach seiner Geburt, auf den vereisten Balkon ihrer Wohnung, in der Hoffnung, dass seine Lun­ge die Kälte nicht überstehen werde. Doch Vater Eugen war frühzeitiger nach Hause gekom­men und hatte seines kleinen Sohnes Lebensgeister wieder auf Touren ge­bracht. Hassos aber unvermindert lebenshungrige Mutter war weiterhin unterwegs, nahm Einladungen wahr und versäumte keine Lustbarkeit in den Villen der vornehmen Gesellschaft. Bei diesen Gelegenheiten blieb es ihr natür­lich nicht verborgen, dass mancher vorwurfsvolle Blick ihr zu- und nach­geworfen wurde. Sie ließ keine Gelegen­heit aus, mit dem einen oder anderen freien Galan anzu­bandeln. Doch ausgerechnet der Fahrer ihres Mannes stieg auf zu ihrem Favoriten, und der war es dann auch, mit dem sie, ohne lange zu zögern, durchbrannte. Und Eugen – soll man sagen, der Gehörnte? – ist die Zeit hin­durch über das, was sich seine Frau leistete, nicht ahnungslos gewesen. Warum er trotzdem lange an seiner Ehe festhielt? Auch er war – wie alle Schützendorfs zu al­len Zeiten – den heimlichen, intimen Freuden des Lebens nicht abgeneigt und übersah nicht das andere Geschlecht. Erst dann, als ihn die Sa­che seiner Frau mit seinem Chauffeur zutiefst be­leidigte, übergab er seine Ehe dem Scheidungsrichter. Danach blieb er unverheiratet.

      Zu jener Zeit befand sich Hasso im vierten Le­bensjahr. Für den bei seinem Vater heranwachsen­den Jungen war Bodenstän­digkeit nicht die Normalität, denn sein Vater musste berufsbe­dingt einige Male Ortswechsel vornehmen. So verbrachte Hasso Kindheit und frühe Jugend in Weißensee bei Berlin, in Hamburg, auf Rügen und wieder in Hamburg. Er besuchte Schulen, die dem Nachwuchs der gehobenen Gesellschaftsschicht vorbehalten waren. Dennoch landete er einmal für etliche Wochen in einer Schule für Schwererziehbare – ja, er war schwer erziehbar –, in einer Institution, die einer sich entwickelnden Persönlichkeit durchaus auf Dauer negative Impulse für be­denkliche Verhaltensweisen vermitteln und erhalten kann. Besonders diese Zeit verstärkte eine sich in Hasso entwickelnde Introvertiertheit; und er wurde im Älterwerden ein Meister darin, sie mit gegen­teiligem Verhalten zu überspielen – falls er es für notwendig hielt.

       Hassos ältere Schwester Roswitha wuchs bei ihrer Mutter auf. Im Gegensatz zu ihr, die in Düsseldorf lebte und in hohem Al­ter dort auch starb, verschrieb sich die erwachsen gewordene Roswitha der noch jungen DDR in Ostberlin, wo sie Pädagogik studierte und danach als Lehrerin tätig war. Sie zeichnete sich als ein besonders wertvolles Mitglied der SED aus. Persönliche Entfaltungsbestrebungen wie in Westdeutschland waren in ih­ren Augen faschistische Verhaltensweisen, abträglich den Ideo­logien ihrer sozialistischen Volksgemeinschaft, eine diktierte und beaufsichtigte Gemeinschaft, die bekanntermaßen aber nie eine Gemeinschaft, wie wir sie verstehen, war. Ihre Einstellung, westlichen Fortschritt und Wohlstand einmal zu überse­hen, änderte sich auch nicht, nachdem ihr von ihrem Bruder (noch in der DDR-Zeit) ein Auto aus westlicher Produktion zur Verfügung gestellt worden war. Geschwisterliebe? Davon konnte nie die Rede sein. Bruder und Schwester hassten sich geradezu, was nicht nur den zwei verschiedenen Systemen, in denen sie lebten und sich somit auch völlig verschieden entwi­ckelten, zuzuschreiben war. Roswitha wurde von einem starken Herzschmerz heimgesucht, als ab November 1989 nacheinan­der Mauer, Tötungsanlagen und lukrative Regimeposten fielen. Und es verging eine lan­ge Zeit, ehe sie der ersten Einladung ihres Bruders nach Mal­lorca nachkam. Zu der Zeit befand sie sich längst im Ruhe­stand, war ungewöhnlich