außerhalb des Lagers betriebenen Ziegelei eingesetzt wurden. Ein schwarzer runder Flicken auf den Sträflingsjacken war das Hoheitsabzeichen der Sträflinge. Der Marsch vom Lager zur Fabrik und zurück musste grundsätzlich im Laufschritt bewältigt werden. Arbeit, Misshandlungen, die Gewaltläufe und dazu die miserable Verpflegung überstanden hauptsächlich nur die psychisch Stabilsten. Manch anderer fiel in sich zusammen wie ein morsches Holzgestell und wurde dann, von aller Pein erlöst, aufgehoben und an einer bestimmten Stelle abgelegt. Nach Arbeitsende wurden die Toten dann abtransportiert. Ein Mangel an Arbeitskräften trat nie ein. An manchen Tagen war das KZ Endstation von Häftlingstransporten, entsandt von anderen, überlasteten Lagern. Es waren jeweils mehr als zweihundert Männer, oft dabei bereits von der schnell vorstoßenden Wehrmacht gefangene Sowjetsoldaten, deren Mission gleich nach Kriegsbeginn beendet war; im KZ traten sie eine neue an, in der Regel nun mit Sicherheit tödliche. Nach ihrer Ankunft sortierten sie SS-Aufseher die arbeitsfähigen Männer sofort aus, alle übrigen brachten sie so schnell wie möglich um.
(Im Konzentrationslager Neuengamme ermordeten die Nazis rund 55.000 Menschen.)
Hasso befreundete sich während seiner Lagerzeit mit zwei Leidensgenossen an. Wollten sie sich nahe sein, dann versuchten sie, beim Latrinengang beieinanderzusitzen, um sich dies und jenes zuflüstern zu können. In der Nähe sich aufhaltende Aufseher unterbanden das Geflüster der Gefangenen oft, denn das Reden war nicht nur während der Arbeit verboten, sondern auch im Latrinenbereich oder sonstwo. Hassos neue Bekannte waren unwesentlich älter als er. Ferdinand Georg hatte sich nach nazifeindlichen Äußerungen ins KZ gebracht; der zweite hieß Georg Mohr. Er fiel erst auf, als er nach Empfang seines Einberufungsbefehls in die Wehrmacht die staatliche Einladung missachtete und sich auf die Flucht begab. Vor der Grenze zur Schweiz fing ihn die deutsche Polizei ab. Georg Mohr war überzeugter Anhänger der islamischen Religion, was er immer zu verbergen wusste. Seine Gebete, in angenommener Richtung Mekka, verrichtete er, wenn er sich vollkommen sicher war, nicht beobachtet zu werden.
Beide Leidensbrüder Hassos, von etwas kleinerer Statur, aber dunkelhaarig wie er, sind hier vorerst erwähnt worden. Sie beiden, deren Schicksal bald ununterbrochen mit dem Hassos verbunden, werden als weitere Protagonisten Hasso auf seinem Weg begleiten und eine von ihrem Schicksal zugeordnete Rolle spielen.
Hasso hatte seine Strafe abgesessen, Georg Mohr und Ferdinand Georg mussten anscheinend bleiben. In seinen ihm ausgehändigten Zivilsachen fuhr Hasso in die väterliche Wohnung (den Schlüssel fand er bei Bekannten nebenan), die Vater Eugen, der in Berlin nach wie vor die Truppenbetreuung mitorganisierte, nicht aufgegeben hatte. Nun standen Vater und Sohn endlich wieder, wenn auch nur telefonisch, in Kontakt. Gleich zu Beginn seiner neuen Freiheit ließ Hasso zwei Fotos von sich anfertigen, eins sollte er für seinen Vater sein, eins behielt er für sich. Dass dieses Foto ihm später einmal das Leben retten, aber auch den Tod bringen könnte, war von ihm natürlich nicht zu ahnen.
3. Strafeinheiten für die Fronten
Es vergingen nur wenige Tage in Freiheit, als Hasso von zwei Männern in Zivil abgeholt und in die Kaserne nach Hamburg-Fischbek gebracht wurde. Seinen Vater in Kenntnis
zu setzen, war ihm verwehrt worden. Nun kurz gesagt: In Hasso, gerade aus dem KZ entlassen und endlich wieder freie Luft atmend, überschlugen sich düstere Ahnungen, die ihm die Brust eng werden ließen; und sie sollten sich bewahrheiten: denn von der Gestapo wurde er nach wie vor als ein sich entwickelnder Feind des Systems eingestuft.
In der Kaserne wurde Hasso mit vielen anderen frei und nicht frei gelassenen Häftlingen kurzerhand in schlichtes Feldgrau gesteckt, aber nicht bewaffnet. Hier traf Hasso auch wieder auf Georg Mohr. Ferdinand Georg hingegen war nicht unter den Ausgesonderten des KZ's (die genaue Zahl ist uns nicht bekannt), die hier zu einer uniformierten, aber wohl kaum zu nennenden militärischen Einheit zusammengefasst und gleich darauf der Strafdivision 500 unterstellt wurden. Strafeinheiten, Strafbataillone! ... Das waren Einheiten für besondere Einsätze. Sie bekämpften – dann selbstverständlich bewaffnet – beispielsweise Partisanen, gingen vor als Stoßtrupps, mussten – dann wieder ohne Waffen – Stellungen und Bunker bauen, Minen verlegen und verminte Gebiete räumen, Leichen von den Schlachtfeldern bergen und vieles mehr. Es waren Einsätze sehr oft unter Feindbeschuss, den sie, einen Gefallenen auf der Trage, selbst nicht überlebten.
Es mag niemanden verwundern, dass mancher Gruppen- oder Zugführer einer Strafkompanie von Untergebenen erschossen oder erschlagen worden ist, wenn beispielsweise Schikanen überhand nahmen.
Die Strafeinheiten wurden nach einem Führererlass aufgestellt, der besagte, dass verurteilte Zivilisten – viele von ihnen glaubten, mit Straftaten dem Kriegsdienst zu entgehen –, von Wehrmachtsgerichten verurteilte Soldaten sowie KZ-Insassen in Sondereinheiten zusammengefasst werden sollten. Der erste Verband wurde Mitte 1941 aufgestellt: die Strafdivision 500, der nun auch Hasso angehörte. Später beschickte die deutsche Militärjustiz zusätzlich sogenannte Feldstrafgefangenen-Abteilungen. Als berüchtigste Einheit im Verband tat sich das Bewährungsbataillon 999 hervor.
Die Personalstärke der Bewährungstruppen lässt sich auf 29.700 Männer nachweisen, wovon 5.400 zum Stammpersonal gehörten. Es ist aber davon auszugehen, dass insgesamt über 33.000 Männer diesen Einheiten angehörten und starben, auch unter ihnen zuvor zum Tode Verurteilte. Manch ein Vorgesetzter in derlei Einheiten hatten sich ebenfalls zu bewähren. Homosexuelle kamen als Wehrunwürdige jedenfalls vorerst nicht an die Fronten, sie litten und starben, wie auch Zigeuner, weiterhin in Konzentrationslagern.
Bei den nicht vorbestraften Angehörigen der Stammgruppen handelte es sich um ausgesuchte, oft schlichtdenkende, auf nichts Rücksicht nehmende niedere Dienstgrade, entschlossen, für ihren Führer Adolf Hitler durch die Hölle zu gehen. Sie drillten ihre Untergebenen oft unmenschlich, schonten sich selbst aber auch nicht. Mancher Offiziers- oder Unteroffiziersdienstgrad, wegen Feigheit vor dem Feind verurteilt und degradiert, bewies, um wieder freizukommen, als Vorgesetzter in einer Strafeinheit das Gegenteil. Es ist nicht verwunderlich, dass der eine oder andere Peiniger von seinen Untergebenen umgebracht worden, dass andrerseits eine große Zahl von Sträflingen zu den Sowjets übergelaufen ist. Auch in Bewährungs- oder Strafeinheiten waren, wie in den regulären Truppenteilen, Standgerichte integriert. Verhängten sie Todesurteile, dann wurden sie sofort vollstreckt. Diese Gerichte fällten in den Einheiten der Bewährungsdivision 500 nachweisbar 136 vollstreckte Todesurteile. Nach allen Erkenntnissen waren es insgesamt weit über 300. Die Soldaten wurden nicht nur durch gefahrvolle Einsätze belastet, sondern gleichermaßen durch verschärfte Bedingungen in normalen Tagesdiensten. Reguläre Einheiten, die nach verlustreichen Kampfhandlungen frischer Soldaten bedurften, wurden zwecks Erholung und Neuaufstellung oft in kampffreie Rückräume verlegt, nicht so Überlebende von Strafeinheiten.
Zurück zu den ehemaligen KZ-Insassen in der Pionierkaserne in Fischbek. Hasso und seine Kameraden hofften, dass sie jetzt, vor ihrer Verlegung nach sonstwo, ihre Familien von ihrer Situation in Kenntnis setzen durften. Doch die SS-Schinder lachten nur. Für irgendwelche Benachrichtigungen wäre ihre neue Einheit zuständig, nämlich dann, wenn sie es für notwendig erachte ... das sei dann immer noch früh genug. Was sie damit sagen wollten, war nicht schwer zu verstehen. Hassos Trostspender war Georg Mohr, Anhänger islamischen Glaubens und ohne Angehörige. Beide wollten unter allen Umständen darauf achten, nicht getrennt zu werden.
Es war ein ziemlich langer Transport mit rund achthundert verurteilten Soldaten, wenn man Kz'ler und Kriminelle aller Art als Soldaten bezeichnen kann. Die Güterwaggons waren überbelegt, sodass auch Hasso und Georg Mohr sich mühten, ausreichend Platz zum Liegen zu gewinnen. Die Vorgesetzten dieses Sträflings- und KZ-Bataillons belegten für sich einen Personenwagen, angekoppelt etwa in der Mitte des Zuges. In den beiden letzten Waggons lagerten Karabiner, Munition, Handgranaten und Seitengewehre, im drittletzten Waggon waren vier Reitpferde untergebracht. Hielt der Zug, wurde die Zeit genutzt, um die Pferde zu versorgen und ihren Waggon auszumisten. Verpflegung, für die ein Waggon an die Personenwagen gehängt worden war, wurde seltener ausgeteilt, die Trinkwasserversorgung hingegen war vordringlicher.
In jedem Mannschaftswaggon stand