Josef Hahn

Blutland


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ging viel lieber auf die Jagd, anstatt zu lernen.

      Die adelige Kultur war ohnehin nur mündlich ausgelegt. Man stand der Schriftkultur sogar ablehnend gegenüber. Nur adelige Frauen oder Adelige, die dem geistlichen Stand beitreten sollten, eigneten sich diese Fähigkeit an. Vermutlich konnte auch König Rudolf von Habsburg (1218 – 1291) weder lesen noch schreiben.

      Leonhard, der fromme Mann aus Gaming, ein noch jüngerer Mann, katzbuckelte in Albrechts Kemenate, nahm die Nachricht und las sie dem Herzog laut vor:

       Eure Durchlaucht! Ich habe ihren Wunsch nach Geld erhalten, bedaure aber, ihnen mitteilen zu müssen, dass ich diesem leider derzeit nicht nachkommen kann. Wenn sie sich gütigst erinnern mögen, dann habe ich die letzten drei Zahlungen ihres alten Kredits noch nicht erhalten. Verträge haben nur dann Sinn, wenn sie auch von beiden Seiten eingehalten werden. Demütig grüßt Jakob Fugger sie.

      „Verflucht und verdammt“, brüllte Albrecht. Vor Wut ganz rot im Gesicht. „Verdammter Muzzenson10!“

      Ob des Gefluches schlug der Prior schnell dreimal ein Kreuz. „Durchlaucht, benötigt ihr mich noch?“

      „Ach, scher er sich doch zum Teufel, verdammter Zungenklaffer11!“, legte Albrecht noch einen unfrommen Wunsch drauf. „Geh und hol er mir den Musterer12 her! Wenn nötig schleif ihn an Haaren zu mir!“ Dem Herzog blieb nichts anderes über, als den unsympathischen Kerl – sie konnten sich gegenseitig nicht leiden – anzuweisen, aus den Bürgern der Stadt noch mehr Geld herauszupressen. Ein Vorhaben, dem sich der Bürgermeister sicher widersetzen würde, wusste der Herzog.

      Genauso war es dann auch!

      „Durchlaucht! Ich glaube nicht, dass die Bürger der Stadt noch über ausreichende Mittel verfügen, um eurem Wunsch nachzukommen“, salbaderte der Bürgermeister und verbeugte sich.

      „Das ist kein Wunsch! Das ist ein Befehl“, schnauzte Albrecht zurück.

      „Gewiss, gewiss, Durchlaucht! Wie ihr aber sicher auch wisst, haben wir zurzeit ernsthafte Probleme mit dem Handel und dem Stapelrecht. Wenn sich die Lage bessert, dann könnten wir…“

      „Das wagst du mir zu sagen, elender Hund?“

      Musterer verharrte gebückt und schwieg.

      Albrecht war die derzeitige Krise wohl bekannt: Vor dem Hintergrund zahlreicher politischer Umbrüche in Österreich und Wien selbst, wie auch in den Nachbarländern, entstanden in der Stadt immer wieder Spannungen und miteinander im Widerstreit liegende Gruppierungen.

      All dies hatte ausgesprochen negative Auswirkungen auf die Wiener Wirtschaft und deren Träger die um diese Zeit durchaus überregionales Profil und Bedeutung besaßen. Das meist exportierte Gut der Stadt war damals der Wein.

      Die Schwerpunkte des Handelsgeschehens verlagerten sich noch dazu immer mehr vom Mittelmeer nach Westeuropa und das Stapelrecht Wiens13 erwies sich als immer weniger wirkungsvoll.

      „Durchlaucht! Habt ihr sonst noch irgendwelche Wünsche, die ich euch erfüllen darf?“, fragte Musterer.

      „Ha! Wünsche? Oh ja! Scher dich auch zum Teufel, du stingender Hunt14! Und komm‘ mir demnächst nicht mehr unter die Augen! Raus mit dir!“

      Musterer ging unter vielen Verbeugungen hinaus. Albrecht blieb allein. Er stützte seinen Kopf in die Hände und begann bitterlich zu weinen. Tränen der Wut und der Enttäuschung!

      Moses Wassermann

      Die jüdische Familie Wassermann feierte gerade das alljährliche Passahfest. Es erinnert die Juden weltweit an ihre Befreiung aus der ägyptischen Sklaverei, von der das 2. Buch Moses im Tanach berichtet.

      Dieses Fest wird in der Woche vom 15. bis 22. Nisan15 gefeiert. Man nennt es auch Fest der ungesäuerten Brote. An diesem Tag dürfen gläubige Juden nur Mazzes essen; ungesäuerte Brotfladen.

      Familie Wassermann bestand aus sechs Personen: Moses, der Vater; Rahel, seine Frau und die vier Kinder Deborah, Aaron, Rahel und Moses. Dazu kamen noch zwei Hausangestellte christlichen Glaubens.

      Christlich deshalb, weil den gläubigen Juden jedwede Tätigkeit am Sabbat verboten war. Man wollte aber auch am Sabbat essen und die normalen Verrichtungen des Lebens ausführen. Also beschäftigte man, wenn man es sich leisten konnte, vorwiegend Christen. Die brauchten sich um den Sabbat nicht zu kümmern.

      Moses Wassermann behandelte seine Angestellten gut und diese wiederum waren mit ihrer Stellung bei dem wohlhabenden und angesehenen jüdischen Geldverleiher und Kaufmann zufrieden.

      Die Familie bewohnte am Wiener Judenplatz ein zweistöckiges Haus; gleich neben der Synagoge. Moses Wassermann zählte zum Zeitpunkt unserer Geschichte etwa 45 Jahre, ein bereits ergrauter Vollbart umrahmte sein Gesicht. Rahel, seine Frau war um die 40 herum und die vier Kinder zwischen 16 und 11 Jahren.

      „Rabbi! Wenn am Sabbat das Haus zu brennen beginnt, darf man es löschen oder ist das gegen das Gesetz Gottes?“. Moses Wassermann stellte diese wichtige Frage dem hochangesehenen Wiener Gemeinderabbiner Barukh ha-Levi, der bei ihm zu Tisch saß.

      Der Rabbi verschluckte sich ob dieser Frage fast an einem Stück Mazzes und bekam einen ganz unehrwürdigen Hustenanfall dem ein lautes und übelriechendes Darmgas folgte. Die jüngeren Kinder kicherten verstohlen.

      Der Rabbi maß sie dafür mit einem bösen Blick, obwohl es durchaus üblich war, Geräusche aus verschiedenen Körperöffnungen nicht zu unterdrücken. Die Menschen furzten und rülpsten laut und ungeniert zu allen möglichen Gelegenheiten

      „Jaa…“, erwiderte der weise Rabbi langgedehnt. „Eine durchaus überlegenswerte Frage.“ Er schwieg und überlegte. „Also, wenn das Haus eines Goj16 am Sabbat in Flammen aufgeht und diese Flammen nicht über unsere Häuser kommen, dann ist es, meine ich, verboten! Wenn allerdings eines unserer Häuser brennen sollte, dann darf man es löschen. Unser Gott ist groß und liebt uns. So einen Frevel verzeiht er uns! Allerdings verzeiht er Respektlosigkeit nicht!“ Dies galt den beiden jüngeren Kindern, die vorher gekichert hatten.

      Moses nickte zustimmend dazu und alle bewunderten den klugen Rabbiner, wie schnell und einfach er diese komplizierte Frage beantwortet hatte.

      „Ich werde den beiden Bengeln später das Frevelhafte ihres Verhaltens begreiflich machen“, meinte Moses zum Rabbiner.

      Der nickte wohlwollend.

      Schweigend quälten sie sich dann weiter mit ihren Brotfladen ab; zur Ehre Gottes, dem dies aber vermutlich scheißegal war und ist: damals wie heute.

      Der Rabbi musterte nun die sechszehnjährige Deborah. „Eine vollerblühte Frau sehe ich vor mir. Es ist Zeit, dass du ihr einen guten Mann aussuchst, Moses. Sonst wird aus der Knospe bald eine vertrocknete Blüte, he! Ein Mann ohne Frau lebt ohne Freude, ohne Segen, ohne Güte“, zitierte er aus dem Talmud. „Mann und Frau haben Gottes Auftrag, den Fortbestand unseres Volkes zu sichern“.

      Moses nickte zustimmend. „Ich habe sie schon Ignaz dem Seifensieder versprochen. Er ist Witwer im besten Alter und hat drei mutterlose Kinder. Deborah freut sich schon auf ihre Hochzeit! Sie wird demnächst stattfinden.“

      Deborahs Gesichtsausdruck spiegelte - im Gegensatz zu den Worten ihres Vaters - alles andere als Freude und Erwartung wider. Ignaz, der Seifensieder war Mitte Vierzig, dick wie eine Tonne und roch übel. Aber der Entscheidung des Vaters musste man sich fügen. Alles andere wäre für eine jüdische Tochter ein schweres Vergehen gewesen.

      Das einzige, worauf Deborah sich freute, waren die kostbaren und hübschen Kleider, die jüdische Mädchen bei der Hochzeit erhielten. Die Hochzeit selbst gestaltete sich zu einem großen Fest; die Kosten bestritt aber nicht der Vater der Braut, sondern der Bräutigam.