Josef Hahn

Blutland


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viele Kinder schenken! Deine Deborah hat ja ein gebärfreudiges Becken und bald werden ihre Brüste hoffentlich vor Milch strotzen! Gott gebe es.“

      Deborah war bei den Worten des Rabbi knallrot geworden, sagte aber nichts dazu. Sie aßen weiter.

      Vroni, die junge und einfältige Magd trat ein und meldete, dass vor der Tür ein Bote seiner Durchlaucht, des Herzogs, mit einem wichtigen Brief warte.

      „Gerade heute“, murrte Moses. „Na, dann lass ihn halt eintreten.“

      Vroni knickste, ging hinaus, kam aber gleich wieder zurück. „Er sagt, er betritt das Haus eines Juden nicht. Der Hausherr möge gefälligst herauskommen. Es wäre wichtig.“

      Moses schüttelte den Kopf ob der Unverfrorenheit des Boten, stand aber auf und ging hinaus.

      Der Bote des Herzogs, fast noch ein Knabe, sah den Juden, schlug schnell ein Kreuz und überreichte ihm mit ausgestreckter Hand das Schreiben. Offenbar wollte er einem Juden nicht zu nahe kommen. „Seine Durchlaucht erwartet eine umgehende Antwort“, schnarrte er.

      Moses nahm das Schreiben schweigend entgegen. Er ahnte schon, was der Herzog von ihm wollte. „Sag deinem Herrn, er wird bald Antwort erhalten!“

      Dann ging er wieder hinein, erbrach das Siegel auf dem Brief und las. Schon nach den ersten Zeilen warf er das Schreiben wütend auf den Boden. „Er fordert schon wieder Geld, der habsburgische Lasterbalc17. Meint er denn, unsere Truhen füllten sich von selber? Schwer genug tragen wir schon an den Kontributionen, die er uns auferlegt hat. Von mir kriegt er nichts mehr!“

      In der Tat: Die Kassen des Herzogs standen immer leer, sein glänzender Hofstaat aber erforderte immer mehr Gelder, der Bau des Stephansdomes, der in seinen Zeiten zu Ende geführt wurde, verschlang riesige Summen, und am Horizont drohte der Krieg gegen die Hussiten. Die katholische Kirche war gerade dabei, den Acker dafür zu bereiten. So trieb er ab 1415 eine außerordentliche Judensteuer ein, als billige Dankbarkeit für die erwiesene Freundlichkeit des Herzogs gegenüber den Israeliten.

      Welche?

      Das sagt das Dokument nicht aus.

      1417 kam neuerlich eine unvorhergesehene Abgabe auf die Juden zu: Wenige reiche Juden sollten für den Herzog einen Betrag von 6.000 Gulden aufbringen. Der Herzog verfügte zwar, dass dieses Zwangsdarlehen auf die Gemeinschaft seiner Juden in Österreich unter und ob der Enns umgelegt werden sollte: eine pure Augenauswischerei. Es gab gar nicht so viele reiche Juden in Österreich. Moses Wassermann aber war einer von ihnen.

      Die echt reichen Juden aber nahmen ihre Pflichten zur Wohltätigkeit – wie im Talmud vorgeschrieben - sehr ernst. Sobald sie Zinsen aus ihrem verborgten Kapital oder sonst einen Gewinn erhielten, unterstützten mit einem Zehntel davon ihre armen Glaubensbrüder. Die Verteilung der Spenden nahm der Rabbi in der Synagoge vor.

      Warum sie aber für den Regenten, der keiner der ihren war und von dem sie sich ohnehin zu Recht geschröpft fühlten, immer wieder Gelder auftreiben sollten, kapierten sie nicht! Unmut machte sich bei breit! Versteckt, aber doch!

      „Sehr zur Vorsicht rate ich dir! Sehr zur Vorsicht“, wandte der Rabbi ein. „Nie weiß man, was diesem Goj noch einfällt um uns neuerlich zu quälen! Vielleicht lässt er wieder Feuer im Haus Gottes legen oder plant noch ärgeres?18

      Moses nickte gedankenverloren. „Ich hoffe nicht, dass sich so etwas wiederholen wird! Sehr schmerzhaft waren meine Verluste in diesem Jahr. Lange hat es gedauert, bis wir uns davon erholen konnten. Freilich, jetzt sind meine Truhen wieder gut gefüllt, aber nicht für den Herzog! Sehr höflich werde ich ihm meine Antwort schicken. Auch wenn sie seiner Erwartung nicht entsprechen wird“.

      Seit den Tagen der Babenberger hielt man in der Stadt alle Juden für äußerst wohlhabend. Sie lebten seit 1194 in Wien. Der erste namentlich bekannte Jude war Schlom19, der Münzmeister20 der Herzöge Leopold V. und Friedrich I. war. Schlom verwaltete und unter anderem das Lösegeld für den gefangenen englischen König Richard Löwenherz.

      Übrigens hat sich die Sache mit dem englischen König ganz anders abgespielt, als man es den meisten von uns in der Schule beigebracht hat. Sie ist durchaus einer besonderen Erwähnung wert.

      Löwenherz & die Münze

      Am 21. oder 22. Dezember 1192 nahmen die Schergen des Babenberger-Herzogs Leopold V. in Erdberg bei Wien den englischen König Richard I. (Löwenherz) gefangen, der sich auf der Rückreise vom Dritten Kreuzzug nach England befand. Sie lösten damit ein politisches Erdbeben aus, das die damalige Welt von London über Paris bis Rom und Sizilien, und von der Normandie über das römisch-deutsche Reich bis in das Heilige Land zutiefst erschütterte.

      Das Ereignis wird, vor allem in Österreich, meist stark vereinfachend als Ehrenhandel zweier ritterlicher Streithähne dargestellt. Das ist insofern wenigstens zum Teil richtig, als es im Juli 1191 in oder vor Akkon im Heiligen Land zu einem handfesten Eklat zwischen Herzog Leopold und König Richard um Beuteansprüche in der eroberten Seefestung gekommen war.

      Doch ging es bei der >Causa Löwenherz< um weit mehr: Ihr politisches Substrat bildeten einmal die massiven Interessengegensätze, die zwischen König Philipp II. von Frankreich und seinem königlichen Bruder und zugleich Lehnsmann, dem englischen König, im Hinblick auf dessen französische Besitzungen, bestanden. Andererseits gab es die Probleme, die der römisch-deutsche Kaiser Heinrich VI. mit einer mächtigen Fürstenopposition im Reich hatte, allen voran mit den Welfen, den Erzfeinden der Staufer.

      Der Herzog von Österreich stand in dieser geschichtsträchtigen Auseinandersetzung treu und loyal auf der Seite des Kaisers. Insofern erscheint die Gefangennahme des englischen Königs keineswegs als Alleingang eines in seiner Ehre verletzten Ritters, sondern als konsequenter Höhepunkt eines gegen Löwenherz inszenierten Kesseltreibens. Dessen Ziel war es, Richard als Erzfeind des Reiches zu brandmarken, nach Möglichkeit gefangen zu nehmen, vor des Kaisers Gericht zu stellen und - ganz im Stile der Zeit - politisch und finanziell auszupressen wie eine Zitrone. Die Grundlage dazu dürfte auf einem Gipfeltreffen in Mailand im Spätherbst 1191 gelegt worden sein, auf dem eine konzertierte Aktion gegen den König von England beschlossen wurde.

      Von Erdberg aus ließ Leopold seinen prominenten Gefangenen auf den Dürren Stein21 an der Donau bringen. Ohne Verzug sandte er Botschaft an den Kaiser nach Regensburg. Prompt und energisch forderte der seinerseits den Babenberger auf, ihm das unschätzbare Faustpfand so bald wie möglich zu übergeben. Notgedrungen kam der Herzog diesem Auftrag nach und präsentierte den >Englischen Goldfasan< 1193 auf dem Reichstag zu Regensburg. Zur Übergabe kam es allerdings nicht, da Kaiser und Herzog sich vorerst nicht über die Bedingungen der Auslieferung Richards einigen konnten. Um einem Handstreich des Kaisers zuvorzukommen, der seinen englischen Widerpart nur allzu gerne und so schnell wie möglich in seine Gewalt gebracht hätte, eskortierte Leopold den gefangenen König zurück nach Dürnstein. Erst nach intensiven Verhandlungen fanden Kaiser und Herzog am 14. Februar 1193 in Würzburg zu einer Einigung. Deren wichtigster Punkt lautete: Das Lösegeld beträgt 100.000 Mark Silber in Kölner Gewicht22 und wird zwischen Kaiser und Herzog fifty-fifty geteilt. Die Erpressung von Lösegeld gehörte zu den üblichen Kriegszielen und galt als legitimes Mittel, den Gegner wirtschaftlich und militärisch zu schwächen.

      Auf der Grundlage dieser Vereinbarung brachte Leopold den englischen König nach Speyer, wo er ihn dem Kaiser übergab. Der gefangene Richard wurde in der Folge nacheinander in Speyer, dann in Hagenau, Koblenz, Worms und zuletzt in Mainz inhaftiert.

      Und Leopold? Er befand sich tatsächlich, was von der österreichischen Geistlichkeit vertuscht worden war, wegen Gefangennahme eines Kreuzfahrer-Pilgers im Kirchenbann und hätte nach seinem Tode in ungeweihter Erde verscharrt werden müssen. Um sich ein christliches Begräbnis neben seinen Vorfahren im Stift Heiligenkreuz