Valuta Tomas

Final Game


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Eingriff überstanden hat. Das was dann noch auf alle Beteiligten zukommen wird, ist nicht annähernd so grauenvoll und Kräftezerrend wie die vergangenen Wochen.

      Jessica dreht sich um und schaut auf einen der Monitore die Neves Herzschlag und Puls anzeigen.

      »Das sieht gut aus. Das Herz scheint stark zu sein«, murmelt sie ziellos in den Raum hinein.

      »Ein anderes Herz hat Neve auch gar nicht verdient«, schmunzelt Sam. Sie umgreift Neves Hand mit beiden Händen, kniet sich neben das Bett und haucht mehrere Küsse auf die Hand ihrer Frau.

      »Das Schlimmste hast du überstanden«, flüstert sie und blickt zuversichtlich in Neves Gesicht.

      »Ich werde es Laura sagen. Wirst du es Neve sagen, oder soll ich das machen?« Diese Frage von Jessica erreicht Sam wie eine Abrissbirne. Sie zuckt. Erschrocken schaut sie zu ihrer Freundin hinüber. Sie kann die Unsicherheit und Verlegenheit von Jessica spüren und weiß, dass es für beide kein leichter Weg werden wird. Aber das sind sie ihren Frauen schuldig.

      Sam schluckt, als sie den Kopf senkt und Neves Hand gegen ihre Stirn presst.

      »Ich werde es ihr sagen sobald sie voll und ganz bei Bewusstsein ist und versteht was ich getan habe. Du wirst mit Laura genug zu tun haben. Sie wird uns beide umbringen. Zuerst dich und dann mich.«

      »Ja, das wird sie.« Sam kann Jessica schlucken hören.

      »Ich werde aber noch warten bis wieder etwas Alltag eingekehrt ist, damit wir uns alle von den vergangenen Monaten erholen können. Du wirst es also spätestens dann wissen, dass ich es ihr gesagt habe, wenn Laura ausholt und dich windelweich prügelt.«

      »Ich habe auch nichts anderes verdient«, murmelt Sam in Neves Hand und küsst diese ein weiteres Mal.

      Round 17

      Seit sechszehn Jahren verliert Sam nicht eine Träne.

      Seit sechszehn Jahren hat Sam nicht einmal um ihre Frau geweint.

      Seit sechszehn Jahren hängt alles in Sams Umgebung am seidenen Faden.

      Seit sechszehn Jahren hofft Sam sich erlösen zu dürfen.

      Seit sechszehn Jahren wartet Neves geladene Waffe darauf, eingesetzt zu werden.

      Seit sechszehn Jahren wartet Sam darauf, dass Jean volljährig ist, nur um ihrer Frau zu folgen.

      Seit sechszehn Jahren geht Sam jährlich diesen Weg.

      Seit sechszehn Jahren verdrängt sie jeglichen Gedanken an ihre Frau, nur um einmal im Jahr in das tiefste und schwärzeste Loch zu fallen, welches ihre Seele hergibt.

      Sam hat Neve versprochen, dass sie sich um die Kinder kümmern wird, sollte sie diesen Weg nicht mehr mit ihr zusammen gehen können. Auch wenn es gegen Sams Natur war, hielt sie ihr Versprechen. Bis heute bereut sie jeden Tag, an dem sie morgens die Augen öffnet. Jeden Tag wünscht sie sich, dass sie am Abend zuvor einschläft und am nächsten Morgen einfach nicht mehr aufwacht. So wie Neve … .

      Am Abend der Transplantation berichtete Sam Precious ganz stolz von der geglückten OP und versprach ihr, sie am nächsten Tag mit ins Krankenhaus zu nehmen. Die Maus durfte zu ihrer Mutter. Sie durfte Hoffnung haben, dass Neve die Augen öffnete und sie ansah.

      Das klingelnde Telefon in der Nacht hatte aber einen anderen Plan. Nur schwer konnte Sam in ihrem verschlafenen Zustand etwas verstehen. Sie hörte Laura im Hintergrund heulen und brüllen. Alleine das zu hören zerfetzte Sams Herz. Als sie Jessicas weinende Stimme aber vernahm, wusste sie, dass ihre Freundin keine guten Nachrichten für sie hatte.

      »Ihr Körper hat das Herz abgestoßen. Sie ist kollabiert. Ich habe sie gehen lassen.« Das war das Letzte was Sam von Jessica gehört hat. Lauras weinen und schreien war das Letzte was sie von ihrer besten Freundin gehört hat. Von Matt und Jill hat sie danach nie wieder etwas gehört.

      In dieser Nacht verlor Sam nicht eine Träne.

      In dieser Nacht packte Sam nur das Nötigste für die Kinder und sich ein, schnappte sich die Mädchen und fuhr weg. Sie fuhr, ohne ein Ziel zu haben. Sie fuhr und hielt nur alle paar hundert Meilen, um sich um die Kinder zu kümmern. Sie fuhr Tagelang, bis sie Precious nicht mehr anlügen konnte. Die kleine Maus fragte wovor sie wegfahren würden. Instinktiv wusste sie, dass Sam floh. Nur wovor wusste sie nicht.

      Ohne auch nur eine Träne zu verlieren, erzählte Sam ihrer Tochter schweren Herzens was geschehen ist. Dass Precious‘ Mutter nicht mehr lebt. Dass die OP doch nicht so gut verlaufen ist, wie alle annahmen.

      Precious sah Sam mit großen Augen geschockt an. Auch sie verlor keine Träne. Stattdessen ging sie auf Toilette. Sam wusste, dass die kleine Maus ihre Zeit brauchte. Dass sie Ruhe für sich brauchte. Sie hatte keine Ahnung, als sie Precious im Diner hinterher blickte, dass es das Letzte war, was Sam von ihr sah. Vor sechszehn Jahren stahl sich Precious heimlich von Sam weg und ließ sie mit Jean alleine. Sam suchte Tagelang und bat auch die Polizei um Hilfe. Als diese aber nach einigen Tagen mit einem Schuh von Precious zurückkehrte, der an einem Highway gefunden wurde, wusste Sam, dass sie nun auch dieses letzte Stück von Neve verloren hatte. Also fuhr sie weiter. Sie fuhr mit Jean so weit, bis das Land aufhörte. Sie fuhr so weit, bis sie die südlichste Stadt der Welt erreichte. Puerto Williams. Eine chilenische Stadt mit nicht einmal zweitausenddreihundert Einwohnern. Einer Stadt, die nur teilweise feste Straßen besaß. Eine Stadt, die einheimischer nicht sein konnte. Sam lernte spanisch und zog ihre Tochter mit dieser Sprache auf.

      Bis heute weiß Jean nichts von Neve. Bis heute weiß Jean nichts von ihrem Vater. Bis heute weiß Jean nicht, dass es Precious gab und sie ihre Schwester war. Sie weiß nur, dass ihre Mutter einmal im Jahr nach San Francisco fliegt, dort für ein paar Minuten an einem Grab steht, auf dem der Name Eden Stewart-Sanchez geschrieben steht und dann wieder nach Hause zurückkehrt. Bis heute fragt sie immer wieder wer diese Stewart-Sanchez war. Sie musste ihrer Mutter viel bedeutet haben, wenn sie jedes Jahr diesen Weg auf sich nimmt. Sam schweigt aber. Sie schweigt und taucht nach dem Besuch am Grab wieder in ihre eigene Welt und in ihre neue Identität ab. Jean blieb Jean, aber Sam wurde zu Asella Molina. Asella das kleine Eselchen. Das kleine Eselchen das nie etwas richtig machte.

      Als Bedienung in einem Restaurant in Puerto Williams sichert Sam ihrer Tochter und sich das Überleben. Auf ihrer Flucht hob sie nur ein einziges Mal eine beachtliche Summe von ihrem Konto ab. Es sollte ihr lediglich den Start in ein neues Leben vereinfachen. Sonst verlor sich ihre Spur und ihr altes Leben. Niemals nahm sie je Kontakt mit einem der anderen Hunde auf. Niemals! Niemand sollte wissen wo sie war, wer sie war und warum sie war … . Warum sie überhaupt noch lebte. Diese Frage stellt sie sich jeden Tag selbst, bis sie Jean sieht. Bis sie Jeans Augen und Lippen sieht. Bis sie Jeans Duft riecht. Alles Dinge die Neve so sehr … .

      Nachdem die Flucht vor ihrem eigenen Leben ein Ende fand und sie ihrem Versprechen nachging, beruhigte sich alles etwas. Sam fand Zeit sich um sich selbst zu kümmern. Sie sah sich im Spiegel an und sah eine Frau, die nur einen Grund hatte noch zu existieren. Jean. Aber sobald ihre Tochter die Volljährigkeit erreicht hat, müsste Jean ohne ihre Mutter auskommen. Sam weiß, dass Jean stark genug dafür ist. Diese Stärke hat sie von ihr. Aber sie selbst verlor auf der Flucht ihre Stärke. Es war nichts mehr von Samantha Rodriguez übrig. Diese Frau ist gestorben … ist zusammen mit Neve gestorben. Samantha Rodriguez ist gestorben, es existiert nur noch Asella Molina. Und Asella Molina sah sich im Spiegel und ekelte sich vor sich selbst. Das was sie sah, widerte sie bis ins Mark an. Diese Frau im Spiegel sollte nicht mehr sein – nicht mehr so sein, wie sie hier ankam.

      Sam wusste, dass es ein Klischee war, aber sie wusste auch, dass sie einen neuen Anfang benötigte. Denn das was sie im Spiegel sah, war ihr altes Leben. Ein Leben das nicht mehr existierte. Ein Leben das sie nicht mehr wollte und von sich streifte. Denn dieses Leben ohne Neve war in ihren Augen nicht mehr lebenswert. Also schnitt sie sich kurzerhand die Haare ab. Jean war damals noch zu klein, um ihre Meinung zu dem umstylen abzugeben und gab sich bei ihrer Mutter mit einem Frisch-aus-dem-Bett-gestürzt Lock voll und ganz zufrieden. Ihr war es gleichgültig.