Samantha Prentiss

Endstation Tod


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zugespielt worden waren.

      Clairé hatte inzwischen die Maske abgelegt und sah wieder so aus, wie ihre Freunde sie kannten: mit blauschwarzem, schulterlangem Haar, modisch gekleidet und mit tiefdunklen Kohleaugen, die im Moment von einer gewissen Niedergeschlagenheit umwölkt waren. Auch als sie noch nicht von Edwards eingespannt worden war, war ihr der Tod von Menschen gleichgültig gewesen – und dabei war es für sie unbedeutend, ob es jemand aus dem eigenen oder dem gegnerischen Lager war.

      Die Flash-Speicher waren längst von ›Fatsos‹ IT-Spezialisten gesichtet worden.

      »Einfach nicht auszumalen …«, setzte Edwards noch einmal an und schüttelte den Kopf. »Aber wir haben es verhindert, und … ja, darauf können wir mit Recht stolz sein, Miss Beauvais.«

      Clairé nickte müde. »Wenn Sie das sagen, Sir.«

      »Mir scheint, Sie sind nicht sehr glücklich darüber«, erwiderte Edwards. Er musterte sie eindringlich. »Sie machen auf mich den Eindruck, als würden Sie sich nicht wohl fühlen.«

      »Vielleicht brauche ich einfach nur eine gewisse Auszeit«, stöhnte Clairé auf. »Es war in letzter Zeit ein bisschen viel, wissen Sie, Sir. Erst der Einsatz in Teheran und jetzt … dieser Vorfall … all die Toten! Das hätte nicht passieren dürfen …«

      Edwards Lippen wurden schmal. »Ja«, nickte er bedächtig, »und das geht auch mir sehr nahe, glauben Sie mir. Aber wie hätten wir das vorhersehen können … Der Iran macht uns augenblicklich sehr zu schaffen, wie Sie wissen, und ja … die halten uns ganz schön auf Trab!«

      Clairé schaute ihn offen an. »Ich denke, ich sollte für ein paar Tage in die Highlands fahren, um mich zu erholen …«

      Edwards hob seine fleischigen Schultern und beugte sich ihr entgegen. »So sehr ich Ihnen das gönnen würde, Miss Beauvais … Aber ich kann Sie augenblicklich nicht entbehren.«

      »Sie vergessen, dass ich meinen Unterhalt auf andere Weise bestreite«, entgegnete Clairé mit einem müden Lächeln. »Ich kann meine Kunden nicht laufend vertrösten und Termine aus an den Haaren herbeigezogenen Gründen absagen … Außerdem ...«, sie wies auf die Flash-Speicher, die vor Edwards auf dem Schreibtisch lagen, »... ist der Fall doch abgeschlossen.«

      Leonard Edwards nickte. »Dieser Fall ja. Aber das ist leider nicht der Einzige, der uns Kummer macht. Glauben Sie mir, ich bin der Letzte, der Ihnen eine Auszeit missgönnt. Niemand weiß besser als ich über Ihre zahlreichen Einsätze in der jüngsten Vergangenheit Bescheid … und ich verstehe vollkommen, dass Sie Ihren Kundenstamm nicht verlieren möchten, Miss Beauvais, aber …«

      »Ich bin kein Roboter, Sir«, seufzte Clairé. »und es ist schön, dass Sie das mit meinem Kundenstamm ebenso sehen … Ich habe ihn schon sträflich vernachlässigt. Was meinen Sie, wie schnell ich aus dem Geschäft bin, wenn das so weiter geht? … Der Geheimdienst wird meine entgangenen Einnahmen wohl kaum übernehmen wollen, nicht wahr?«

      »Das werde ich kaum durchsetzen können«, lächelte Edwards. »Ja, Sie müssen mal rasten, und ja, ihre Kunden … Sie brauchen Zeit, um sich zu erholen, um zu neuen Kräften zu kommen und ihrem Gewerbe nachzugehen … Ich weiß das alles, aber … tun Sie mir das nicht an, Miss Beauvais. Ich bitte Sie händeringend darum. Bestehen Sie jetzt nicht darauf. Ich verspreche Ihnen, Sie so bald wie möglich zu entlasten. Aber aktuell ist das einfach nicht machbar.«

      »Also gut, … es scheint mir wohl nichts anderes übrig zu bleiben, nicht wahr?«, reagierte Clairé gequält. »Aber es ist mir wohl erlaubt, Sie als einen ganz durchtriebenen Gauner zu bezeichnen, Sir.«

      »Aber, Miss Beauvais!«

      »Sie wissen genau, wann Sie mir mit der Mitleidstour kommen müssen ... Und wenn Sie mich dann auch noch händeringend um etwas bitten, steht für Sie doch schon von vornherein fest, dass ich Ihre Bitte nicht abschlagen werde.«

      ›Fatso‹ schmunzelte. Für einen kurzen Moment blitzte es in seinen Augen schlau auf. »Sie sind ein wahrer Schatz. Manchmal wüsste ich nicht, was ich ohne Sie machen würde, Miss Beauvais.«

      »Kommen Sie mir nicht so, Mr. Edwards«, lächelte Clairé süffisant. »Ich bin sicher, dass Sie dann ein anderes Mädchen an meiner Stelle hier sitzen hätten, dem Sie ihren Honig um den Mund schmieren, nicht wahr?«

      »Bin ich denn tatsächlich so leicht zu durchschauen?«, amüsierte sich Edwards.

      »Wenn Sie wüssten, welche Menschenkenntnis man in meiner Branche entwickelt«, lächelte Clairé ihn vielsagend an. »Es wäre schlecht um mich bestellt, wenn ich das nicht könnte … Und für mich sind sie schon lange ein offenes Buch.« Sie gab ihm eine Sekunde, ehe sie fortfuhr: »Da es ja unvermeidlich ist: Lassen Sie uns über das sprechen, was Sie auf dem Herzen haben.«

      »Was würden Sie davon halten, wenn ich Sie zum Essen einlade, Miss Beauvais?«

      »Übernehmen Sie sich bei ihrer schwindsüchtigen Geldbörse da nicht ein wenig, Sir?« In Clairés Mundwinkeln lag ein freches Grinsen. »Aber ich komme auf Ihr ehrendes Angebot gern ein andermal zurück … Im Augenblick bin ich mehr daran interessiert, zu erfahren, womit Sie mich als nächstes zu überfordern gedenken.« Damenhaft legte sie ihre aufregend schlanken Beine übereinander und schaute ihn auffordernd an. »Anschließend möchte ich dann nach Hause fahren, ausgiebig baden und mich ein wenig hinlegen.«

      Edwards nickte und wurde dienstlich. Er entnahm einer der Schubladen des Schreibtischs eine Mappe und legte sie vor sich hin. Seine Finger knetend, schaute er sie an. »Im aktuellen Fall muss ich etwas ausholen«, begann er darauf. »In letzter Zeit sind uns aus allen Teilen der Welt Berichte zu Ohren gekommen, die uns fast ebenso ängstigen, wie die Bemühungen der Mullahs an die Atombombe zu kommen.«

      Clairé blickte ihn fragend an.

      »Nun, ich will es abkürzen, Miss Beauvais«, sagte er seufzend. »Agenten verschiedenster Geheimdienste haben sich zu einem international agierenden Ring zusammengeschlossen …«

      »Wie bitte?«, entfuhr es Clairé erschrocken. Unwillkürlich dachte sie dabei an die Terrororganisation ›Spectre‹ aus den James-Bond-Filmen.

      »Sie haben richtig gehört«, bestätigte Edwards ihren unausgesprochenen Gedankengang. »Nur nennt sich dieser Zusammenschluss nicht ›SPECTRE‹, sondern ›SMART‹.«

      »Gewandt, gewitzt, geschäftstüchtig«, definierte Clairé wie aus der Pistole geschossen, »wie sinnig …«

      »Nun, Miss Beauvais, in diesem Fall steht es für: Special Executive of Murder, Assault, Revenge and Terrorism«, korrigierte er sie, »wenngleich ich gestehen muss, dass die Doppeldeutigkeit gut gewählt wurde … Wie auch immer … Jedenfalls besteht dieser Ring aus lauter hochprofessionellen, sehr gut ausgebildeten Agenten, die einem cleveren Doppelspiel nachgehen. Etwas, dass keine Regierung gern sieht.«

      Clairé nickte schweigend.

      »Leider besteht durchaus die Möglichkeit, dass auch ein oder zwei unserer eigenen Leute auf ›SMARTs‹ Lohnliste stehen.«

      »Meine Aufgabe wird es also sein, diese Doppelagenten zu entlarven, nicht wahr, Sir?«, griff Clairé voraus.

      »Sie haben eine schnelle Auffassungsgabe«, lächelte Edwards.

      »Haben Sie mich deswegen in Ihr Boot geholt?«, frotzelte Clairé.

      »Wenn Sie sich Fleißkärtchen verdienen wollen, dann sprengen Sie ›SMART‹«, erwiderte Edwards, nicht auf ihre spöttische Bemerkung eingehend.

      »Aber sicher, Sir …« Sie schnippte mit zwei Fingern. »Das macht die süße Clairé ja auch einfach mal so im Vorbeigang, oder wie haben Sie sich das vorgestellt?!«

      Auch jetzt ging Leonard Edwards nicht auf sie ein. »›SMART‹ bereitet irgendetwas Großes vor«, fuhr er fort. »Aus den Berichten geht eindeutig hervor, dass sich die Organisation zum Ziel gesetzt hat, auf schnelle Weise richtig reich zu werden, … und wenn ich mich nicht allzu sehr täusche, dann ist man