Josef Naef

Plädoyer für eine neue Wirtschaftspolitik


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Unternehmen, konnten sich mit der zunehmenden Deregulierung und Liberalisierung nach den bestmöglichen Bedingungen hinsichtlich ihrer Gewinnmöglichkeiten ausrichten und vermochten dadurch den nationalen Standortwettbewerb in einer bislang unbekannten Dimension zu befeuern. Das führte zur Konsequenz, dass in der Folge alle ökonomisch entwickelten Volkswirtschaften die Dynamik der Liberalisierung und Deregulierung mitmachen mussten. Die Daten einer Studie des Max-Planck-Instituts zu 21-OECD-Ländern im Zeitraum zwischen 1980 und 2005 widerspiegeln diese Situation. Die Autoren schreiben:

      «Die für beide Zeitpunkte angegebenen länderbezogenen Mittelwerte zeigen an, dass es über den Untersuchungszeitraum hinweg insgesamt einen deutlichen Liberalisierungstrend gegeben hat, von dem ausnahmslos alle Länder betroffen waren. Das gilt auch für die USA, wo trotz des hohen Ausgangsniveaus an Marktliberalität im betrachteten Zeitraum weiter Liberalisierungspolitik zur Anwendung kam.»{11}

      Sehr deutlich zeigt sich die Liberalisierungsdynamik anhand der Entwicklung der Unternehmenssteuern. Der durchschnittliche Steuersatz für Unternehmen der 28 EU-Mitgliedstaaten ist zwischen 1996 und 2018 von 38 auf 21.3 Prozent gesunken.{12} Eine weitere Konsequenz der neoliberalen Wirtschaftspolitik sind die bis heute andauernden Megafusionen. ETH-Forscher haben im Jahre 2011 in einer Studie über die Verflechtungen der globalen Unternehmen festgestellt, dass 147 Konzerne 40 Prozent des weltweiten Wirtschaftsumsatzes erzielen und dabei sich mit ihren Beteiligungen gegenseitig beinahe vollständig kontrollieren.{13} Wir können mit Sicherheit annehmen, dass diese Konzentration inzwischen noch weiter fortgeschritten ist. Die wichtigste, jedoch wenig bemerkte Veränderung mit dem Aufkommen des Neoliberalismus ist allerdings die Tatsache, dass eine ökonomische Lehre, die nicht auf empirisch gehaltvollen Theorien, sondern auf mathematischen Modellen basiert, die heutige Wirtschaftspolitik prägt. Der frühere ETH-Professor und Leiter der Konjunkturforschungsstelle Bernd Schips hat in seiner Abschiedsrede den Mut gefasst, diese Situation offenzulegen. Er schreibt:

      «Die quasi dogmatische Fixierung auf den neoklassischen Gleichgewichtsautomatismus bestimmt gegenwärtig die Problemwahrnehmung, die Lageanalyse und die daraus resultierenden wirtschaftspolitischen Empfehlungen.»{14}

      Neoliberalismus ist der Status quo

      Ein grosser Unterschied zum Wirtschaftsliberalismus bzw. zur Wirtschaftspolitik früherer Zeiten besteht in der enorm gewachsenen wirtschaftspolitischen Bedeutung der multinationalen Konzerne. Der US-amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith schreibt dazu:

      «Die beherrschende Marktstellung der modernen Konzerne und der politische Einfluss ihres Managements wird anders als die Figur des Kapitalisten heute öffentlich akzeptiert. Wir haben uns damit abgefunden, dass die Führungsetagen der Wirtschaft in verteidigungs-, finanz- und umweltpolitischen Belangen ein gewichtiges Wort mitzureden haben.»{15}

      Tatsächlich ist der Einfluss der Konzerne auf die Wirtschaftspolitik mittlerweile so gross, dass schweizerische Wirtschaftspolitikerinnen und Wirtschaftspolitiker in vorauseilendem Gehorsam die Interessen der Konzerne bedienen. Kaum anders lässt sich die jüngste Entwicklung im Zusammenhang mit der Konzernverantwortungs-Initiative erklären. Bundesrätin Karin Keller-Suter hat mit einem (weitgehend wirkungslosen) bundesrätlichen Gegenvorschlag die Weichen gestellt, damit die Chancen für den nationalrätlichen Gegenvorschlag im Parlament noch kleiner werden.{16} Dies obwohl Letzterer selbst von Konzernchefs gutgeheissen wird.{17}

      Auf der nationalen Ebene ist neoliberale Wirtschaftspolitik vor allem Konzernpolitik. Auf die Bedeutung der kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) wird seitens der Politik zwar regelmässig hingewiesen – in der Schweiz gehören mehr als 99 Prozent zu den KMU, die zwei Drittel der Arbeitsplätze anbieten. Weil das einzelne KMU volkswirtschaftlich jedoch keine nennenswerte Bedeutung hat, finden die KMU mit ihren Sorgen auf der nationalen Ebene deutlich weniger politische Beachtung. Ganz anders die multinationalen Konzerne, die sogar das politische Gewicht von too big to fail erreichen dürfen. Ihnen wird die Möglichkeit gewährt, die politische Agenda mitzubestimmen, wenn es darum geht, die Standortbedingungen für die Generierung von Wirtschaftswachstum zu optimieren.

      Tatsächlich war das Wirtschaftswachstum, generiert durch den neoliberalen Wirtschaftsliberalismus, in den vergangenen Jahrzehnten beachtlich. Der britische Ökonom Angus Maddison hat den Umsatz des Welthandels im Jahr 1980 auf 2'034 Milliarden Dollar und im Jahr 2010 auf 15'237 Milliarden Dollar berechnet. Allein in diesen Jahren zeigt sich somit ein Wachstum um mehr als das Siebenfache.{18} Und beim weltweiten Bruttoinlandprodukt (BIP) zeigt sich allein zwischen 1998 und 2010 beinahe eine Verdoppelung von 33'724 auf 63'130 Milliarden Dollar.{19} Doch die perfekte Wirtschaftspolitik gibt es nicht. So stellt sich die Frage:

      Führt eine auf Wachstum getrimmte neoliberale Wirtschaftspolitik mit möglichst viel Freiheit für die Eigennutzen- und Gewinnoptimierung tatsächlich zu einer nachhaltigen Verbesserung der Lebenssituation der Menschen?

      Um diese Frage zu beantworten, beginne ich die Untersuchung mit dem Werk «Factfulness»{20} von Hans Rosling und führe sie danach weiter mit dem Buch «Aufklärung jetzt»{21} von Steven Pinker.

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