Leni Anderson

White Moon


Скачать книгу

bist du heute Nacht völlig abgestürzt und hast bis eben deinen Rausch ausgeschlafen oder du bist jetzt erst nach Hause gekommen. Ich höre?“

      Fuck ...

      Hailey war nicht doof.

      „Ja, schon gut. Hast mich erwischt.“

      Scheiße verdammt. Und jetzt? Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Dass ein heißer Typ mich aus dem Club gezerrt und über Vampirismus in der Stadt aufgeklärt hatte? Dass ich bei ihm übernachtet hatte und ich mich nach einem ausgiebigen Frühstück von ihm hatte beißen lassen? Und scheiße, dass mir dabei fast einer abgegangen ist und ich nur durch den Gedanken daran jetzt noch feucht werde?

      „Halloho? Bist du noch dran?“ Hailey klingt etwas irritiert. Ich kann es ihr nicht verübeln.

      „Ja, sorry, bin noch dran. Bin gestern ziemlich abgestürzt. Hab keine Ahnung, wie ich nach Hause gekommen bin.“

      Bitte glaub es, bitte glaub es ...

      Hailey bricht in schallendes Gelächter aus. „Oh Mann, das wurde ja auch mal Zeit. Warst aber nicht alleine, oder?“

      Erleichterung durchströmt mich. Sie hat es mir abgenommen. „Tja, weißt du ... Da war schon dieser eine Typ und ... Na ja ...“ Ich grinse ins Telefon. Ein bisschen Wahrheit kann ja nicht schaden.

      „Scheiße, du hast jemanden kennengelernt?“ Hailey ist völlig aus dem Häuschen. Und ich kann es ihr nicht verübeln. Meine letzte Beziehung ist fast zwei Jahre her und seitdem habe ich mich selten auf Männer eingelassen und wenn, dann eigentlich auch nur für das eine.

      „Ja“, sage ich gedehnt, „irgendwie schon.“

      Haileys Lachen ist herrlich erfrischend. Himmel, ich liebe diese Frau und vermisse sie in diesem Augenblick so sehr, dass es fast weh tut.

      „Hannah, ich freue mich für dich.“

      Ein breites Grinsen legt sich von meinem einen Ohr zum anderen. „Danke“, bringe ich nuschelnd hervor.

      „Los sag! Wie sieht er aus?“

      Chris? Wie sollte ich ihn beschreiben? Groß, dunkel, dunkelblondes Haar, dass er immer mit dieser einen Bewegung nach hinten streicht, gut aussehend, muskulös, gottgleich? Und dann fallen mir seine Augen wieder ein. Diese Augen ... Die entweder in einem strahlenden Blau vor sich hin leuchten oder sich in einen tiefen dunklen Abgrund verwandeln, wenn er Hunger hat.

      „Ähh, gut?“, ist das Einzige, was ich herausbringe.

      „Ach Hannah, komm schon. Details?“, harkt Hailey neugierig nach.

      „Süße, ich war echt voll.“

      Fuck, was sage ich nur?

      „Aber gut küssen konnte er.“ Gelogen war das nicht. Ganz und gar nicht. Was er noch alles gut kann, will ich mir lieber nicht ausmalen. Wenn ich an unser kleines Stell-dich-ein auf der Treppe zurückdenke, werde ich immer noch feucht.

      „Okay, schon gut. Erzähl‘s mir, wenn du nüchtern bist.“

      Ich sehe ihr Zwinkern praktisch durchs Telefon, dass mir just in diesem Moment einen anderen Anrufer ankündigt.

      Luke. Mein Chef.

      Verdammt.

      Was will der denn jetzt?

      „Süße, ich muss auflegen. Luke ruft gerade an.“

      „Luke?“ Hailey klingt genauso überrascht, wie ich es bin. „Auf nen Sonntag? Hannah, hast du Mist gebaut?“

      Mein Herz rutscht mir in die Hose und der Schweiß bricht mir aus. „Ich hoffe nicht. Ich muss auflegen. Ich melde mich später.“ Ich lege auf und nehme Lukes Anruf entgegen.

      „Hey Luke. Was gibt’s?“ Ich versuche, so gelassen wie möglich zu klingen.

      „Verdammt, Hannah, warum dauert das so lange?“, höre ich Luke in strengem Ton durchs Telefon schnauben.

      Mist, das verheißt nichts Gutes. Ich wappne mich innerlich für die nächste Schimpftirade.

      „Sorry, ich ...“, will ich gerade ansetzen, aber Luke unterbricht mich harsch.

      „Ist auch egal. Ich erwarte Sie in zwanzig Minuten in Ihrem Büro, Hannah.“

      „Okay, ich mache mich auf ...“ Doch noch bevor ich den Satz beendet habe, hat er auch schon aufgelegt.

       Verdammt, verdammt, verdammt!

      Irgendetwas musste passiert sein. Irgendetwas, das unser letztes Projekt betraf? Nein, das konnte nicht sein. Es war alles in trockenen Tüchern. Alle Dokumente waren unterzeichnet und abgelegt. Die Druckerei hatte alle Dateien erhalten und den Auftrag und das Lieferdatum bestätigt. Genauso wie die TV Clips. Eigentlich war alles okay. Eigentlich.

      Ich springe vom Bett auf, ziehe mir eine Jeanshose an und eile in den Flur. Lederjacke und Helm sind innerhalb von zwei Minuten angezogen und aufgesetzt. Mein Motorrad steht im Hinterhof.

      Verdammt.

      Die Panik in meiner Brust lässt kaum nach. Und wenn doch irgendetwas vergessen wurde? Wenn ich etwas übersehen hatte?

      Ich lasse den Motor an und jage vom Hof, jage durch die Straßen und versuche den Kloß in meinem Hals und die aufsteigenden Tränen zu ignorieren. Die Kontrolle über die mächtige Maschine zwischen meinen Schenkeln verleiht mir Sicherheit. Mein Puls beruhigt sich und ich kann wieder klarere Gedanken fassen. Ich glaube, das ist der wahre Grund, warum ich Motorrad fahre. Die meisten Menschen trauen mir das nicht zu. Vermutlich wegen meiner Körpergröße. Doch nach meiner ersten Fahrt mit einem Freund war ich wie besessen. Dieses ekstatische Gefühl, der Geschwindigkeitsrausch. Es war, als wäre ich süchtig. Von jetzt auf gleich.

      Ich parke direkt auf dem Bürgersteig vor der Agentur. Sonntags sollte das niemanden stören. Ich öffne die Eingangstür des Gebäudes und gehe im Militärschritt durch die Lobby und direkt zum Treppenhaus. Um auf den Fahrstuhl zu warten, fehlen mir wahrlich die Nerven. Ich haste die Treppen hoch in den zweiten Stock. Vor der Tür zu Pro Visions bleibe ich stehen und versuche, mich zu sammeln. Nach ein paar tiefen Atemzügen öffne ich die Tür. Ich lege Jacke und Helm an der Rezeption ab und gehe schnurstracks den Gang herunter in mein Büro.

      Luke ist bereits dort und hat sich mit verschränkten Armen an meinen Schreibtisch gelehnt. Sein Blick verrät mir, dass ich es mal wieder verbockt habe.

      Fuck.

      „Wissen Sie, Hannah, als ich Sie zum ersten Mal während unseres Bewerbungsgespräches sah, war ich voller Hoffnung. Endlich ein Kopf mit frischen Ideen. Umso enttäuschter war ich, als Sie hier angefangen haben. Ich habe lange an mir gezweifelt, ob ich der Agentur mit ihrer Einstellung einen Gefallen getan hatte. Welche Aufgabe auch immer ich Ihnen geben wollte, alles schien im Sande zu verlaufen. Und dann kam der Deal mit Runner‘s High. Und ihr Auftritt während des ersten Meetings. Ganz ehrlich? Am liebsten hätte ich Sie noch vor der Mittagspause gefeuert.“

      Ja, das klang alles ganz nach meinem Chef. Ein typischer Luke-Vortrag.

      Ich wage es nicht, ihn zu unterbrechen oder zu korrigieren. Eine Mischung aus Wut und Verzweiflung macht sich in mir breit und ich merke, wie sich langsam wieder Tränen in meinen Augen sammeln. Der Kloß in meinem Hals ist zurück und mein Puls rast, als wäre ich gerade nicht mit dem Motorrad hierher gefahren, sondern die komplette Strecke gelaufen.

      „Ich war überrascht“, fährt Luke fort, „als die Manager ihre Idee für gut befanden und wir unsere komplette Kampagne auf ihren Visionen aufbauten. Tja, ich muss ehrlich zugeben, dass Sie wirklich gute Arbeit geleistet haben. Ich habe mein Team lange nicht mehr mit solch einer Begeisterung arbeiten sehen.“

      Ein Kompliment? Aus Lukes Mund? Ich schlucke. Ich glaube, das gab es noch nie. Umso mehr steigt jetzt die Panik in mir auf, denn das konnte unmöglich alles gewesen sein.

      „Lief