rechts; von ihrer Rückseite her kamen, diese Überreste zur Seite drängend, in guter Ordnung die beiden Bataillone des sechsten Jägerregimentes heran. Sie waren noch nicht bis zu Bagration gelangt; aber schon war der schwere, wuchtige Schritt einer so großen, im Takt marschierenden Menschenmasse zu hören. Auf dem linken Flügel der Truppe, dem Fürsten Bagration näher als alle andern, ging ein Kompaniechef, ein stattlicher Mann, mit einem dummen, glückseligen Ausdruck auf dem runden Gesicht, eben der, welcher aus Tuschins Hütte herausgekommen war. Er dachte in diesem Augenblick offenbar an weiter nichts, als daß er beim Vorbeimarsch sich dem Fürsten als recht schneidiger Offizier präsentieren müsse.
Mit jener Selbstzufriedenheit, die viele Offiziere vor der Front ihrer Leute zeigen, schritt er so leicht, als ob er dahinschwömme, auf seinen muskulösen Beinen einher und hielt sich ohne die geringste Anstrengung völlig gerade; durch diese Leichtigkeit zeichnete er sich sehr vor den schwer auftretenden Soldaten aus, die mit ihm Tritt hielten. Er legte den entblößten, dünnen, schmalen Säbel (einen gekrümmten, kleinen Säbel, der gar nicht wie eine Waffe aussah) salutierend an seinen Fuß und blickte, ohne aus dem Tritt zu kommen, indem er sich mit seiner ganzen kräftigen Gestalt geschmeidig drehte, bald zu seinem hohen Vorgesetzten hin, bald nach seinen Leuten zurück. Es schien, daß er alle seine Geisteskräfte nur darauf gerichtet hatte, in bester Haltung an seinem Chef vorbeizugehen, und daß er in dem Bewußtsein, diese Aufgabe gut zu erfüllen, sich vollkommen glücklich fühlte. »Linken ... linken ... linken ...«, schien er bei jedem zweiten Schritt im stillen zu sagen, und nach diesem Takt bewegte sich mit einförmig ernsten Gesichtern auch die Mauer der mit Tornister und Gewehr belasteten Soldatengestalten, wie wenn ein jeder unter diesen Hunderten von Soldaten in Gedanken bei jedem zweiten Schritt sagte: »Linken ... linken ...« Ein dicker Major lief schnaufend und aus dem Tritt kommend um einen am Weg stehenden Strauch herum; ein zurückgebliebener Soldat holte atemlos, mit erschrockener Miene wegen seiner Unordnung, seine Kompanie im Trab wieder ein. Eine Kanonenkugel flog, die Luft niederdrückend, dicht über den Fürsten Bagration und seine Suite hin und schlug in die nach dem Takt »Linken ... linken« marschierende Kolonne ein. »Schließt die Reihen!« ertönte die geziert klingende Stimme des Kompaniechefs. Die Soldaten umgingen im Bogen die Stelle, wo die Kugel niedergefallen war; ein alter, mit Ehrenzeichen geschmückter Flügelunteroffizier, der einen Augenblick bei den Getöteten zurückgeblieben war, holte seine Reihe wieder ein, wechselte mittels eines kleinen Sprunges den Schritt, kam wieder in Tritt und blickte grimmig um sich. »Linken ... linken ... linken ...«, schien es aus dem drohenden Schweigen des Unteroffiziers und aus dem einförmigen Schall der gleichzeitig auf die Erde schlagenden Beine herauszutönen.
»Ihr seid tüchtige Leute, Kinder!« sagte Fürst Bagration.
»Mit Freuden ... hum-hum-hum-hum!« scholl es aus den Reihen der Soldaten zurück. Ein finsterblickender Soldat, der an der linken Flanke ging, blickte, während er mitschrie, den Fürsten Bagration mit einer Miene an, als ob er sagen wollte: »Das wissen wir selbst«; ein anderer sah gar nicht zu dem Fürsten hin, wie wenn er fürchtete, sich zu zerstreuen, stimmte mit weitgeöffnetem Mund in den gemeinsamen Ruf ein und marschierte vorüber.
Es wurde befohlen, haltzumachen und die Tornister abzunehmen.
Bagration holte die Reihen, die an ihm vorbeimarschiert waren, wieder ein und stieg vom Pferd. Er gab einem Kosaken die Zügel, zog seinen Filzmantel aus, warf auch diesen dem Kosaken hin, reckte die Beine gerade und schob sich die Mütze zurecht. Die Tete der französischen Kolonne mit den vorausgehenden Offizieren erschien vom Fuß des Berges her.
»Mit Gott!« rief Fürst Bagration mit fester, lauter Stimme, wandte sich für einen Augenblick nach der Front um und ging, ein wenig mit den Armen schlenkernd, mit dem ungeschickten Gang eines Kavalleristen, wie wenn es ihn besondere Mühe kostete, über das unebene Feld voran. Fürst Andrei hatte eine Empfindung, als würde er selbst von einer unwiderstehlichen Gewalt vorwärtsgezogen, und fühlte sich hochbeglückt.
Die Franzosen waren bereits ziemlich nahe; schon konnte Fürst Andrei, der neben Bagration ging, die Bandeliers, die roten Schulterstücke und sogar die Gesichter der Franzosen deutlich erkennen; er sah genau, wie ein alter französischer Offizier mit auswärts gesetzten Füßen, in Stiefeletten, sich an den Sträuchern festhaltend, mühsam den Berg hinanstieg. Fürst Bagration gab keinen neuen Befehl und schritt immer in gleicher Weise schweigend vor den Reihen dahin. Plötzlich knallte bei den Franzosen ein einzelner Schuß, dann ein zweiter, ein dritter ... und nun knatterte aus der gesamten in Unordnung geratenen feindlichen Linie das Gewehrfeuer, und der Pulverrauch breitete sich überall aus. Mehrere der Unsrigen fielen, darunter auch der Offizier mit dem runden Gesicht, der so vergnügt und eifrig marschiert war. Aber in demselben Augenblick, wo der erste Schuß fiel, drehte sich Bagration um und schrie: »Hurra!«
»Hurra-a-a-a!« verbreitete sich das langgedehnte Geschrei über unsere ganze Linie, und den Fürsten Bagration sowie einander überholend, liefen die Unsrigen in ungeordnetem, aber froh und lebhaft erregtem Schwarm bergab auf die aus Reih und Glied gekommenen Franzosen los.
XIX
Der Angriff des sechsten Jägerregiments sicherte den Rückzug des rechten Flügels. Im Zentrum wurde das Vorrücken der Franzosen durch die energische Tätigkeit der vergessenen Batterie Tuschins aufgehalten, die das Dorf Schöngrabern bereits in Brand geschossen hatte. Die Franzosen beschäftigten sich damit, die Feuersbrunst zu löschen, die durch den Wind weitere Ausdehnung gewonnen hatte, und ließen so den Unsrigen Zeit, sich zurückzuziehen. Der Rückzug des Zentrums über die Schlucht vollzog sich in großer Hast und mit vielem Lärm; indessen wurden die sich zurückziehenden Truppen nicht durch unnötige Befehle in Verwirrung gebracht. Aber der linke Flügel, aus dem Asower und dem Podolsker Infanterieregiment und dem Pawlograder Husarenregiment bestehend, welcher gleichzeitig von überlegenen französischen Streitkräften unter dem Kommando des Marschalls Lannes angegriffen und umgangen wurde, geriet in arge Unordnung. Bagration schickte Scherkow zu dem General, der den linken Flügel kommandierte, mit dem Befehl, sich ungesäumt zurückzuziehen.
Hurtig gab Scherkow, ohne die Hand vom Mützenschirm zu nehmen, seinem Pferd die Sporen und jagte davon. Aber kaum war er von Bagration weg, als ihm die seelische Kraft untreu wurde. Es überkam ihn eine unbezwingliche Furcht, und er war nicht imstande nach einer Stelle zu reiten, wo es gefährlich war.
Als er sich den Truppen des linken Flügels genähert hatte, ritt er nicht nach vorn, wo das Schießen stattfand, sondern er suchte den General und die übrigen Kommandeure da, wo sie nicht sein konnten, und bestellte daher den Befehl Bagrations gar nicht.
Das Kommando über den linken Flügel stand nach dem Dienstalter dem Kommandeur eben jenes Regimentes zu, welches bei Braunau von Kutusow besichtigt worden war und in welchem Dolochow als Gemeiner diente. Das Kommando über den äußersten Teil des linken Flügels war dem Kommandeur des Pawlograder Regimentes zugefallen, bei welchem Rostow stand. Hieraus ergaben sich arge Mißhelligkeiten. Die beiden Kommandeure befanden sich in sehr gereizter Stimmung gegeneinander, und zu der Zeit, als auf dem rechten Flügel der Artilleriekampf schon längst im Gange war und die französische Infanterie bereits zum Angriff vorrückte, waren diese beiden Kommandeure in einem Wortwechsel begriffen, dessen Zweck war, einander zu beleidigen. Ihre Regimenter aber, sowohl das Kavallerieregiment als auch das Infanterieregiment, waren für den bevorstehenden Kampf sehr wenig vorbereitet. Die Angehörigen dieser Regimenter, vom Gemeinen bis zum General, erwarteten keinen Kampf und beschäftigten sich in aller Seelenruhe mit friedlichen Dingen: die Kavallerie mit dem Füttern der Pferde, die Infanterie mit der Beschaffung von Brennholz.
»Er ist ja allerdings im Rang über mir«, sagte der deutsche Husarenoberst, vor Erregung errötend, zu dem Adjutanten, den der Infanteriegeneral zu ihm geschickt hatte. »Also mag er seinerseits tun, was er will. Aber meine Husaren kann ich nicht aufopfern. Trompeter! Blase zum Rückzug!«
Aber die Sache wurde brenzlig. Kanonenschüsse und Gewehrfeuer donnerten und knatterten bunt durcheinander vom rechten Flügel und vom Zentrum her, und die französischen Schützen des Marschalls Lannes in ihren Kapotmänteln hatten bereits den Damm des Mühlenteiches passiert und nahmen diesseits in doppelter Flintenschußweite Aufstellung. Der Kommandeur des Infanterieregiments ging mit seinem zuckenden Gang zu seinem Pferd,