habe und sich zu den Kiewer Grenadieren zurückziehe. Fürst Bagration neigte den Kopf zum Zeichen des Einverständnisses und der Billigung. Im Schritt ritt er nach rechts und schickte den Adjutanten zu den Dragonern mit dem Befehl, die Franzosen anzugreifen. Aber der dorthin gesandte Adjutant kam nach einer halben Stunde mit der Nachricht zurück, der Regimentskommandeur der Dragoner habe sich bereits hinter die Schlucht zurückgezogen, da die Feinde gegen ihn ein starkes Feuer gerichtet hätten, durch das er nutzlos seine Leute verloren habe; er habe daher die Schützeneskadron im Wald absitzen lassen.
»Gut!« sagte Bagration.
In dem Augenblick, als er von der Batterie wegritt, hörte man zur Linken im Wald ebenfalls schießen, und da es bis zum linken Flügel zu weit war, als daß er selbst noch hätte rechtzeitig hinkommen können, so schickte Fürst Bagration Scherkow dorthin und ließ durch diesen dem rangältesten General (demselben, welcher bei Braunau dem Oberkommandierenden Kutusow sein Regiment vorgeführt hatte) sagen, er möge sich so schnell als möglich hinter die Schlucht zurückziehen, da der rechte Flügel wahrscheinlich nicht imstande sein werde, den Feind lange aufzuhalten. An Tuschin und die Bedeckung für dessen Batterie schien er nicht mehr zu denken. Fürst Andrei lauschte eifrig auf den Verkehr des Fürsten Bagration mit den Kommandeuren und auf die von ihm erteilten Befehle und bemerkte zu seiner Verwunderung, daß Fürst Bagration Befehle, im strengen Sinn des Wortes, eigentlich kaum erteilte, sondern sich vielmehr nur das Ansehen zu geben suchte, daß alles, was aus Notwendigkeit oder zufällig oder nach dem Willen der einzelnen Kommandeure geschehen war, daß dies alles, wenn auch nicht auf seinen Befehl, so doch in Übereinstimmung mit seinen Absichten geschehen sei. Und weiter bemerkte Fürst Andrei, daß trotz jener Zufälligkeit der Ereignisse und trotz ihrer Unabhängigkeit von dem Willen des Oberbefehlshabers dennoch dank des Taktes, welchen Fürst Bagration bewies, seine Anwesenheit außerordentlich viel wirkte. Die Kommandeure, die mit verstörten Gesichtern zum Fürsten Bagration herangeritten kamen, gewannen ihre Ruhe wieder; die Soldaten und Offiziere begrüßten ihn fröhlich, wurden durch seine Anwesenheit frischer und lebhafter und paradierten augenscheinlich vor ihm mit ihrer Tapferkeit.
XVIII
Nachdem Fürst Bagration zu dem höchsten Punkt unseres rechten Flügels hinaufgeritten war, ritt er wieder bergab, nach der Gegend hin, aus der das unaufhörliche Knattern des Infanteriefeuers zu hören war, wo man aber vor Pulverrauch nichts sehen konnte. Je näher sie beim Hinabreiten der Sohle des Tales kamen, um so weniger konnten sie sehen, aber um so stärker machte sich die Nähe des eigentlichen Schlachtfeldes bemerkbar. Verwundete kamen ihnen entgegen. Einen derselben, mit blutigem Kopf, ohne Mütze, hatten zwei Soldaten unter die Arme gefaßt und schleppten ihn so weiter; er röchelte und spuckte Blut; die Kugel hatte ihn offenbar in den Mund oder in die Kehle getroffen. Ein andrer, der ihnen begegnete, ging tapferen Mutes allein, ohne Gewehr; er stöhnte laut und schwenkte vor unerträglichem Schmerz den Arm, aus dem das Blut wie aus einer Flasche auf seinen Mantel floß; seine Miene war mehr erschrocken als leidend; er war erst eine Minute vorher verwundet worden. Sie ritten quer über einen Fahrweg und nun steil den Abhang hinunter; auf dem Abhang sahen sie eine Anzahl von menschlichen Körpern liegen. Es begegnete ihnen ein Haufe Soldaten, unter denen sich auch Unverwundete befanden; die Soldaten gingen, schwer atmend, bergauf; ohne sich um den General zu kümmern, redeten sie laut miteinander und ließen die Arme schlenkern. Geradeaus, in dem Pulverrauch, wurden nun schon Reihen von grauen Mänteln sichtbar, und ein Offizier lief, als er Bagration erblickte, schreiend jenem abziehenden Soldatenhaufen nach und befahl den Leuten umzukehren. Bagration ritt an die Reihen heran, in denen bald hier, bald dort Schüsse knallten, von denen jedes Gespräch und selbst die Kommandorufe übertönt wurden. Die ganze Luft war dick von Pulverrauch. Alle Soldaten hatten rauchgeschwärzte, erregte Gesichter. Einige von ihnen stampften mit den Ladestöcken die Ladung in die Läufe; andere schütteten Pulver auf die Pfannen und holten Patronen aus den Patronentaschen; wieder andere schossen. Aber auf wen sie schossen, das war bei dem Pulverrauch, den kein Wind forttrieb, nicht zu sehen. Oft wurden die unangenehmen Töne des Sausens und Pfeifens hörbar. »Was stellt das hier vor?« dachte Fürst Andrei, als er an diese Schar von Soldaten heranritt. »Eine Vorpostenkette kann es nicht sein; denn sie bilden einen Haufen. Eine Attacke wird auch nicht gemacht; denn sie bewegen sich nicht vorwärts. Ein Karree kann es auch nicht sein; danach stehen sie nicht.«
Der Regimentskommandeur, ein hagerer, dem Anschein nach schon schwächlicher alter Mann, dessen altersmüde Augen mehr als zur Hälfte von den Lidern bedeckt waren, was seinem Gesicht einen sanften Ausdruck verlieh, kam mit einem angenehmen Lächeln auf den Fürsten Bagration zugeritten und begrüßte ihn wie ein Hausherr einen werten Gast. Er berichtete dem Fürsten Bagration, die Franzosen hätten eine Kavallerieattacke auf sein Regiment gemacht; die Attacke sei allerdings zurückgeschlagen worden, aber das Regiment habe mehr als die Hälfte seiner Leute verloren. Der Regimentskommandeur sagte zwar, daß die Attacke zurückgeschlagen sei; aber er sann sich diesen militärischen Ausdruck nur aus zur Bezeichnung dessen, was mit seinem Regiment vorgegangen war; in Wirklichkeit wußte er selbst nicht, was in dieser halben Stunde die ihm anvertraute Truppe durchgemacht hatte, und konnte nicht mit Sicherheit sagen, ob die Attacke zurückgeschlagen oder sein Regiment bei der Attacke geschlagen war. Er wußte nur, daß am Anfang des Kampfes auf einmal Kanonenkugeln und Granaten überall im Regiment eingeschlagen waren und die Leute getötet hatten, und daß dann jemand gerufen hatte: »Die Reiterei!« und die Unsrigen angefangen hatten zu schießen, und daß sie nun seitdem schossen, nicht mehr auf die Kavallerie, die wieder verschwunden war, sondern auf französische Infanterie, die im Tal erschienen war und auf die Unsrigen schoß. Fürst Bagration neigte den Kopf, um damit zu verstehen zu geben, daß alles dies genau so sei, wie er es gewünscht und vorausgesetzt habe. Dann wandte er sich an den Adjutanten und befahl ihm, zwei Bataillone des sechsten Jägerregiments, bei denen sie soeben vorbeigeritten waren, von der Anhöhe herbeizuholen. Fürst Andrei war in diesem Augenblick ganz überrascht von der Veränderung, welche in dem Gesicht des Fürsten Bagration auf einmal vorgegangen war. Sein Gesicht drückte eine feste, fröhliche Entschlossenheit aus, wie wenn jemand an einem heißen Tag sich fertig gemacht hat, um ins Wasser zu springen, und nun den letzten Anlauf nimmt. Seine Augen sahen nicht mehr verschlafen und trübe aus; seine Miene zeigte nicht mehr das verstellte tiefe Nachdenken: die runden, hellen Habichtsaugen blickten voll lebhaften Eifers und etwas geringschätzig nach vorn, augenscheinlich ohne auf einem einzelnen Gegenstand haftenzubleiben. Nur seine Bewegungen waren ebenso langsam und gemessen geblieben wie vorher.
Der Regimentskommandeur wandte sich an den Fürsten Bagration und bat ihn inständig, doch wegzureiten, da es hier gar zu gefährlich sei. »Ich bitte Euer Durchlaucht um alles in der Welt, ich bitte dringend!« sagte er und blickte, um sich die Notwendigkeit seiner Mahnung bestätigen zu lassen, nach dem Offizier à la suite hin, der sich von ihm wegwandte. »Da! Bitte, sehen Sie selbst!« Er machte auf die Kugeln aufmerksam, die unaufhörlich um sie herumsausten, zischten und pfiffen. Er redete in dem gleichen Ton vorwurfsvoller Bitte, in welchem wohl ein Zimmermann zu dem vornehmen Bauherrn spricht, der das Beil zur Hand nimmt: »Unsereiner ist ja diese Arbeit gewohnt; aber Sie werden an Ihren zarten Händen Schwielen bekommen.« Er redete, als könnten ihn selbst diese Kugeln nicht treffen, und seine halbgeschlossenen Augen verliehen seinen Worten noch mehr Überredungskraft. Der Stabsoffizier schloß sich den Mahnungen des Regimentskommandeurs an; aber Fürst Bagration antwortete ihnen nicht, sondern gab nur Befehl, das Feuer einzustellen und so Aufstellung zu nehmen, daß die beiden heranrückenden Bataillone Platz fänden. Während er sprach, wurde, wie von unsichtbarer Hand, durch einen sich erhebenden Wind der Rauchvorhang, der das Tal verbarg, von rechts nach links weggezogen, und vor ihren Blicken erschloß sich die Aussicht auf den gegenüberliegenden Berg mit den Franzosen, die auf seinem Abhang im Anrücken begriffen waren. Unwillkürlich richteten sich die Augen aller auf diese französische Kolonne, die gegen uns heranmarschierte und in Windungen, wie es die Abstufungen des Terrains nötig machten, ihren Weg verfolgte. Schon waren die zottigen Pelzmützen der Soldaten zu erkennen; schon konnte man die Offiziere von den Gemeinen unterscheiden; es war zu sehen, wie die Fahne der Truppe um die Stange flatterte.
»Prachtvoll marschieren sie!« sagte jemand in Bagrations Suite.
Die Tete der Kolonne hatte jetzt bereits die Talsohle erreicht. Der Zusammenstoß mußte auf dem diesseitigen Abhang erfolgen.