Hannah Rose

Joshua - Ladybug


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und er so absolut nichts gemeinsam hatten.

      »Du wirst die Insel ganz sicher mögen, glaub' mir«, wiederholte sie mehrfach, als wollte sie ihn mehr als sich selbst davon überzeugen, im Versuch ihn ein wenig aufzumuntern.

      Sie übernachteten in Liverpool in einem preiswerten Motel, ehe sie am frühen Morgen auf die Fähre fuhren. Als seine Tante am nächsten Tag das erneut das Outfit vom Vortag trug, glaube er, dass sie überhaupt nur dieses eine für die Reise eingepackt hatte. Es entsprach auch irgendwie dem Einzigen, was er von ihr wusste – denn seine Mutter hatte ihm einmal erzählt, dass ihre Schwester schon immer ein Hippie gewesen sei. »Sie lief von zu Hause weg, als ich neun Jahre alt war«, hatte sie ihm gesagt, »um in irgendeiner Kommune zu leben. Das war sie gerade erst sechzehn. Es hat dann viele Jahre gedauert, bis ich sie wiedergesehen habe … Typisch Rhianna. Sie war schon immer ein bisschen komisch.«

      Sie standen auf dem Oberdeck und schauten auf die Irische See, als er sie schließlich fragte: »Stimmt es, dass du ein ausgeflippter Hippie gewesen bist?« In seiner Stimme schwang die Besorgnis mit, von nun an ebenso leben zu müssen.

      Rhianna lachte. »Das hängt davon ab, was du unter ›ausgeflippt‹ verstehst«, antwortete sie.

      Joshua interpretierte ihre ausweichende Antwort als ein ›Ja‹.

      »Du wirst die Insel mögen … Wirklich, Josh«, wiederholte sie erneut, als würde er es ihr vielleicht diesmal glauben.

      Joshua musste sich eingestehen, dass er die feuchtkalte Luft jetzt schon hasste. Seine Kleidung fühlte sie nass und klamm an. Außerdem schmerzte ihm der Rücken von dem miserablen Motel-Bett, und er hoffte, dass sein neues deutlich bequemer sein würde. »Wo genau lebst du denn auf der Insel? In Castletown oder Mount Murray?«, fragte er die beiden einzigen Orte ab, die er auf der ›Isle of Man‹ kannte.

      »Irgendwo am Rand«, erwiderte sie kryptisch mit einem kleinen Lächeln.

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      Nach dem Verlassen der Fähre in Douglas mussten sie noch gut eine Dreiviertelstunde fahren, um zu Rhiannas Haus in Scartfield an der Westküste der Insel zu gelangen. Es war ein recht kleines mit nur zwei Schlafzimmern, einem Wohnzimmer und einer nicht allzu großen Küche. Eine Seite des Grundstücks war stark bewaldet, während die andere, einen überraschend schönen Meerblick bot.

      »Das ist es, … dein neues, … unser Zuhause«, sagte sie, während sie ihm alles zeigte.

      Sein Zimmer war klein und kaum groß genug für das Doppelbett darin – und er fragte sich unweigerlich, wie sie die Schlafstätte durch die schockierend schmale Tür bugsiert hatte.

      Jede einzelne Diele im Haus knarzte und es gab nahezu keine Stelle, in der man nicht einen gewissen Luftzug verspürte. Er holte sein ›iPhone‹ heraus und musste frustriert feststellen, dass es keinen Empfang gab. »Gibt es ein Festnetz?«, wollte er wissen.

      »Nein, Josh. Es gibt aber ein kleines Internetcafé in Jurby, eine Viertelstunde zu Fuß von hier ... Aber bei all der schönen Natur braucht man ja auch kein Internet.«

      Joshua machte ein langes Gesicht. Sein einziges Hobby waren Videospiele, und seine wenigen Freunde, hatte er beim wettkampforientierten ›League of Legends‹ gefunden. Natürlich hatte er niemanden von ihnen je persönlich getroffen, aber er hatte sich oft über Stunden mit ihnen über ›Discord‹ ausgetauscht, auch wenn sie einmal nicht gespielt hatten. Jetzt aber sah er seine Felle davonschwimmen, denn es gab keine Möglichkeit mit ihnen zu kommunizieren. »Und wo gehe ich zur Schule?«, fragte er seine Tante niedergeschlagen.

      »In Douglas. Ich habe dich in der ›St. Ninian’s High-School‹ angemeldet. Es fahren regelmäßig Busse von Jurby aus … Ich habe das schon alles für dich organisiert.«

      Er fühlte, wie ihm schlecht wurde. »Eine Viertelstunde Fußweg bis Jurby. Dann eine Dreiviertelstunde mit dem Bus nach Douglas? Zweimal am Tag? Das glaub‘ ich jetzt echt nicht!«, hielt er ihr vor.

      »Die frische Luft wird dir guttun, Josh«, meinte sie mit einem warmen Lächeln, dass ein wenig herablassend wirkte.

      Trotz all dem verlor er nicht die Hoffnung daran, dass sich sein Leben auf der Insel zum Positiven verändern würde.

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      Aufgeregt machte er sich am nächsten Tag auf den Weg zu seiner neuen Schule, neugierig darauf, wie wohl seine Klassenkameraden sein würden. Aber auch hier auf der Insel musste er schon nach wenigen Stunden feststellen, dass niemand etwas mit ihm, dem ›Neuen‹, zu tun haben wollte. Also nahm er seufzend zur Kenntnis, dass es nur noch fünf Monate bis zum Abschluss waren und viel zu spät, um noch Anschluss zu finden.

      Doch in dem Moment, da er schon innerlich kapitulieren und die weiße Fahne schwenken wollte, kamen ein paar Mädchen auf ihn zu und fragten, on er nicht mit ihnen abhängen wollte. Nur zu gern war er bereit zu nehmen, was sich ihm bot, worauf er die meiste Zeit der Mittagspause mit ihnen verbrachte, bis eines der Mädchen meinte: »Ich finde das ja echt cool, dass wir jetzt mal einen schwulen Typen an unserer Schule haben.«

      Joshuas wurde flau im Magen, als er bemerkte, dass sie ihn damit gemeint hatte. Wow! Na, da scheint sich ja schnell ein Gerücht breitgemacht zu haben. Die denken also alle, dass ich schwul bin, dachte er schockiert.

      »Wieso denkt ihr, dass ich schwul bin? … Bin ich nicht«, reagierte er schüchtern. »Ich mag Mädchen … Und ich würde es dir sogar beweisen, wenn du mit mir in ein leeres Klassenzimmer kommst.«

      Die Blondine hatte darauf angewidert gekeucht und ihm bedeutet sich doch einen anderen Tisch zu suchen.

      Er hatte ihr verbal etwas entgegengeschleudert. Vermutlich weil er es einfach satthatte, immer und überall herumgeschubst zu werden – und begann zu akzeptieren, dass er den Rest des Schuljahres würde allein verbringen müssen.

      Auch in den nächsten Tagen wurde das Mobbing nicht weniger. Jemand sprühte sogar das Wort ›Schwuchtel‹ auf sein Schließfach und Mitschüler stichelten, wann immer sich ihnen die Möglichkeit dazu bot. Es wurde sogar so schlimm, dass er mit einem blauen Auge nach Hause kam und sich entschied am darauffolgenden Tag die Schule zu schwänzen. Er war zwar bis zur Bushaltestelle in Jerby gelaufen, aber nicht zugestiegen und hatte den Rücklichtern mit den Tränen in den Augen nachgeblickt. Dann war er zu dem Internetcafé gelaufen, von dem ihm Rhianna erzählt hatte, um ein wenig mit seinen Spielfreunden zu chatten.

      Letztlich hatte er nicht nur den Schultag geschwänzt, er hatte sich aufgegeben – und ernsthaft darüber nachgedacht, ob es nicht eine Online-Option zum Lernen gab.

      Ehe sich sein Körper weiterentwickelt hatte, wollte er keinesfalls wieder zur ›High-School‹ gehen – und so langsam begann er zu glauben, dass dies niemals geschehen würde. Dass der Körper, den er nun einmal hatte, für immer so bleiben würde.

      Zumindest dachte er es …

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      Kapitel 2

      Schon nach kurzer Zeit fand Joshua heraus, dass seine Tante keiner geregelten Arbeit nachging, obwohl sie keinen schlechten Lebensstandard pflegte. »Womit verdienst du eigentlich dein Geld?«, fragte er sie eines Nachmittags. »Was hast du gelernt?«

      »Ich hatte mein ganzes Leben noch keinen herkömmlichen Job, wenn du das meinst, Josh«, antwortete sie, als wäre sie stolz darauf.

      »Dann hast du dein Geld als Prostituierte verdient, wie all diese Hippie-Mädchen?«, fragte er verschämt nach.

      »Wie kommst du denn auf