es muß etwas für ihn geschehen. Ljow Nikolajewitsch! Könnte er nicht bei dir übernachten, damit er heute nicht nach Petersburg zurückgeschleppt zu werden braucht? Cher prince, Sie langweilen sich doch nicht?« wandte sie sich ohne verständlichen Grund auf einmal an den Fürsten Schtsch. »Komm einmal her, Alexandra, und bring dein Haar in Ordnung, mein Kind!«
Sie brachte ihr das Haar in Ordnung, an dem nichts in Ordnung zu bringen war, und küßte sie; letzteres war der einzige Grund gewesen, warum sie sie zu sich gerufen hatte.
»Ich habe Sie für entwicklungsfähig gehalten«, begann Ippolit von neuem, indem er aus seiner Versunkenheit wieder zu sich kam. »Ja! Das war es, was ich noch sagen wollte!« rief er erfreut, als ob ihm plötzlich etwas eingefallen wäre. »Da wünscht nun Burdowski aufrichtig, seine Mutter zu beschützen, nicht wahr? Aber das Resultat ist, daß er sie in Unehre bringt. Da wünscht nun der Fürst, Burdowski zu helfen, und bietet ihm aus gutem Herzen seine Freundschaft und eine große Summe Geldes an und ist vielleicht von Ihnen allen der einzige, der gegen ihn keinen Widerwillen empfindet, und doch stehen gerade sie beide einander als wahre Feinde gegenüber ... Hahaha! Sie hassen alle Burdowski, weil er nach Ihrer Anschauung sich gegen seine Mutter unschön und unzart benimmt; so ist es doch? Nicht? Nicht? Sie legen ja alle einen enormen Wert auf Schönheit und Feinheit der Formen; nur darauf kommt es Ihnen an, nicht wahr? (Ich habe schon lange den Verdacht gehabt, daß es sich so verhält!) Nun, so mögen Sie denn wissen, daß vielleicht keiner von Ihnen seine Mutter so liebt wie Burdowski! Sie, Fürst, haben, wie ich weiß, durch Ganja der Mutter Burdowskis im stillen Geld geschickt, und nun möchte ich darauf wetten ... hihihi!« lachte er hysterisch, »... ich möchte darauf wetten, daß Burdowski Ihnen dies jetzt als unzarte Form und als eine Respektlosigkeit gegen seine Mutter zum Vorwurf machen wird. Bei Gott, so ist es! Hahaha!«
Hier bekam er wieder keine Luft mehr und mußte husten.
»Nun, bist du fertig? Hast du jetzt alles gesagt, was du sagen wolltest? Na, dann geh jetzt schlafen; du hast Fieber«, unterbrach ihn ungeduldig Lisaweta Prokofjewna, die ihren unruhigen Blick nicht von ihm abwandte. »Ach Gott, da fängt er schon wieder an zu reden!«
»Sie lachen wohl? Was haben Sie immer über mich zu lachen? Ich habe bemerkt, daß Sie fortwährend über mich lachen!« wandte er sich plötzlich unruhig in gereiztem Ton an Jewgeni Pawlowitsch.
Dieser hatte tatsächlich gelacht.
»Ich wollte Sie nur fragen, Herr ... Ippolit ... Entschuldigen Sie, ich habe Ihren Familiennamen vergessen ...«
»Herr Terentjew«, sagte der Fürst.
»Ja, Terentjew; ich danke Ihnen, Fürst; der Name wurde vorhin genannt, war mir aber wieder entfallen ... Ich wollte Sie fragen, Herr Terentjew, ob das wahr ist, was ich gehört habe: Sie seien der Ansicht, Sie brauchten nur eine Viertelstunde lang aus dem Fenster zum Volk zu reden, dann sei es sogleich mit Ihnen in allen Stücken einverstanden und folge Ihnen sofort?«
»Gut möglich, daß ich das gesagt habe«, antwortete Ippolit, wie wenn er in seinem Gedächtnis nachsuchte. »Ich habe es sicher gesagt«, fügte er auf einmal hinzu, indem er wieder lebhafter wurde und einen festen Blick auf Jewgeni Pawlowitsch heftete. »Nun, und was folgern Sie daraus?«
»Nichts; ich fragte nur, weil ich es gern wissen wollte; zur Vervollständigung meiner Kenntnisse.«
Jewgeni Pawlowitsch schwieg; aber Ippolit blickte ihn immer noch ungeduldig wartend an.
»Nun also, bist du fertig?« wandte sich Lisaweta Prokofjewna an Jewgeni Pawlowitsch. »Komm schnell zu Ende, lieber Freund; es ist für ihn Zeit, sich schlafen zu legen. Oder verstehst du nicht, das Ende zu finden?«
Sie ärgerte sich gewaltig.
»Ich würde gern noch hinzufügen«, fuhr Jewgeni Pawlowitsch lächelnd fort, »daß alles, was ich von seiten Ihrer Kameraden gehört habe, und alles, was Sie soeben auseinandergesetzt haben, und zwar mit so zweifellosem Talent, meiner Ansicht nach zur Theorie vom Triumph des Rechtes gehört, vor allem andern und sogar mit Übergehung alles andern und vielleicht sogar, ohne daß untersucht worden wäre, worin denn eigentlich das Recht besteht. Vielleicht irre ich mich?«
»Gewiß, Sie irren sich; ich verstehe Sie nicht einmal ... Und weiter?«
Auch in der Ecke wurde gemurrt. Lebedjews Neffe murmelte etwas halblaut.
»Weiter habe ich eigentlich kaum etwas zu sagen«, fuhr Jewgeni Pawlowitsch fort; »ich wollte nur noch bemerken, daß infolge dieses Verfahrens die Sache geradezu in das Recht der Gewalt umschlagen kann, das heißt in das Recht der einzelnen Faust und des persönlichen Beliebens, was übrigens in der Welt sehr oft der Ausgang gewesen ist. Auch Proudhon ist bei dem Recht der Gewalt stehengeblieben. Im amerikanischen Krieg haben viele der ersten Koryphäen des Liberalismus sich für die Pflanzer erklärt, auf Grund der Anschauung, daß die Neger eben nur Neger seien und tiefer ständen als die weiße Rasse, und daß folglich das Recht der Gewalt auf seiten der Weißen sei ...«
»Nun?«
»Das heißt also: Sie verwerfen das Recht der Gewalt nicht?«
»Weiter?«
»Sie sind jedenfalls konsequent; ich wollte nur bemerken, daß es von dem Recht der Gewalt zu dem Recht der Tiger und Krokodile und sogar zu Männern wie Danilow und Gorski nicht weit ist.«
»Ich weiß nicht. Weiter?«
Ippolit hörte kaum zu, was Jewgeni Pawlowitsch sagte, und wenn er ein »Nun« und ein »Weiter« dazwischenwarf, so schien er das mehr aus einer alten, bei Gesprächen angenommenen Gewohnheit und nicht aus Aufmerksamkeit und Neugier zu tun.
»Weiter wollte ich nichts sagen ... das ist alles.«
»Ich bin Ihnen übrigens nicht böse«, sagte Ippolit zum Schluß plötzlich ganz unerwartet und streckte, wohl ohne sich dessen selbst recht bewußt zu werden, dem andern die Hand hin, wobei er sogar lächelte.
Jewgeni Pawlowitsch war zuerst erstaunt, ergriff dann aber mit ganz ernstem Gesicht die ihm hingehaltene Hand, als nähme er die angebotene Verzeihung an.
»Ich muß noch hinzufügen«, sagte er in demselben zweideutig respektvollen Ton, »daß ich Ihnen dankbar bin für die Aufmerksamkeit, mit der Sie mich haben reden lassen; denn nach meinen zahlreichen Beobachtungen können unsere Liberalen niemanden seine eigene Meinung aussprechen lassen, ohne ihrem Opponenten sofort mit Schimpfworten oder sogar mit noch Schlimmerem zu antworten ...«
»Da haben Sie vollkommen recht«, bemerkte General Iwan Fjodorowitsch und zog sich, die Hände auf den Rücken legend, mit gelangweilter Miene zum Ausgang der Veranda zurück, wo er vor Ärger gähnte.
»Na, nun aber Schluß, lieber Freund!« wandte sich Lisaweta Prokofjewna energisch an Jewgeni Pawlowitsch. »Ich habe eure Gespräche satt bekommen ...«
»Es ist Zeit!« sagte Ippolit, der sich besorgt und fast erschrocken erhob und verwirrt um sich blickte. »Ich habe Sie aufgehalten; ich wollte Ihnen alles sagen ... ich meinte, daß Sie alle ... zum letztenmal ... es war eine törichte Einbildung ...«
Es war deutlich, daß er manchmal wie mit einem Ruck wieder lebendiger wurde und aus einem an wirkliches Irrereden streifenden Zustand auf einmal für einige Augenblicke frei kam, sich mit vollem Bewußtsein erinnerte und redete, und zwar größtenteils in abgerissenen Sätzen, die er sich vielleicht schon vor längerer Zeit in langen, öden Krankheitsstunden, wenn er einsam und schlaflos im Bett lag, in Gedanken zurechtgelegt und auswendig gelernt hatte.
»Nun also, leben Sie wohl!« sagte er plötzlich schroff. »Sie meinen wohl, es wird mir leicht, Ihnen Lebewohl zu sagen? Haha!« lachte er selbst ärgerlich über seine »ungeschickte« Frage. Dann fügte er, wie ergrimmt darüber, daß es ihm nicht recht gelang zu sagen, was er wollte, laut und gereizt hinzu: »Exzellenz, ich habe die Ehre, Sie zu meinem Begräbnis einzuladen, wenn anders Sie mich dieser Ehre würdigen wollen, und nach dem General auch Sie alle, meine Herrschaften ...!« Er lachte wieder auf; aber das war schon das Lachen eines Irren. Lisaweta Prokofjewna trat erschrocken