Fjodor Dostojewski

Fjodor Dostojewski: Hauptwerke


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      Lisaweta Prokofjewnas Augen blitzten; sie zitterte vor Ungeduld.

      »Den Brief habe ich nicht«, versetzte der Fürst sehr erstaunt und sehr schüchtern. »Wenn er überhaupt noch existiert, muß ihn Aglaja Iwanowna haben.«

      »Keine Ausflüchte! Was hast du ihr geschrieben?«

      »Ich mache keine Ausflüchte; ich habe keinen Grund, mich zu fürchten. Ich sehe nicht ein, warum ich ihr nicht hätte schreiben dürfen ...«

      »Schweig! Du kannst nachher reden. Was stand in dem Brief? Warum bist du so rot geworden?«

      Der Fürst überlegte ein Weilchen.

      »Ich kenne Ihre Gedanken nicht, Lisaweta Prokofjewna. Ich sehe nur, daß Ihnen dieser Brief sehr mißfällt. Sie werden zugeben müssen, daß ich die Beantwortung einer solchen Frage ablehnen könnte; aber um Ihnen zu zeigen, daß ich mich wegen des Briefes nicht fürchte und es nicht bedaure, ihn geschrieben zu haben, und um seinetwillen ganz und gar nicht erröte« (hier wurde der Fürst dunkelrot), »will ich Ihnen diesen Brief hersagen, da ich ihn, wie ich meine, auswendig weiß.«

      Hierauf sagte der Fürst den Brief fast Wort für Wort so her, wie er ihn geschrieben hatte.

      »So ein törichtes Gerede! Was soll dieser Unsinn denn nach deiner Meinung bedeuten?« fragte Lisaweta Prokofjewna in scharfem Ton, nachdem sie bei dem Hersagen des Briefes sehr aufmerksam zugehört hatte.

      »Ich weiß es selbst nicht ganz; ich weiß nur, daß meine Empfindung wahr und echt war. Ich hatte dort Augenblicke, in denen ich wahrhaft lebte und von außerordentlichen Hoffnungen erfüllt war.«

      »Von was für Hoffnungen?«

      »Das ist schwer zu erklären, aber nicht von denen, an die Sie jetzt vielleicht denken. Von Hoffnungen ... nun, kurz von Hoffnungen auf die Zukunft und von Freude darüber, daß ich vielleicht in Rußland kein Fremder, kein Ausländer war. Es gefiel mir auf einmal sehr gut in der Heimat. An einem sonnigen Morgen ergriff ich die Feder und schrieb einen Brief an sie; warum gerade an sie, das weiß ich nicht. Es überkommt einen ja manchmal ein Verlangen, einen Freund neben sich zu haben; auch ich sehnte mich offenbar nach einem Freund ...«, fügte der Fürst nach kurzem Stillschweigen hinzu.

      »Bist du verliebt, ja?«

      »N-nein. Ich ... ich habe wie an eine Schwester geschrieben; ich habe mich auch als Bruder unterzeichnet.«

      »Hm! Absichtlich; ich verstehe.«

      »Es ist mir sehr peinlich, Ihnen auf diese Fragen zu antworten, Lisaweta Prokofjewna.«

      »Ich weiß, daß es dir peinlich ist; aber das kümmert mich nicht. Höre mal, antworte mir die Wahrheit, wie wenn du vor Gott ständest: lügst du mir auch nichts vor?«

      »Ich lüge nicht.«

      »Sagst du die Wahrheit, daß du nicht verliebt bist?«

      »Ich glaube, daß das die volle Wahrheit ist.«

      »Sieh mal an: ›Ich glaube!‹ Wer hat ihr den Brief überbracht? Der dumme Junge?«

      »Ich hatte Nikolai Ardalionowitsch gebeten ...«

      »Ein dummer Junge ist er! Ein dummer Junge!« unterbrach ihn Lisaweta Prokofjewna. »Ich kenne keinen Nikolai Ardalionowitsch! Ein dummer Junge ist er!«

      »Nikolai Ardalionowitsch ...«

      »Ein dummer Junge, sage ich dir!«

      »Nein, kein dummer Junge, sondern Nikolai Ardalionowitsch«, antwortete der Fürst in festem Ton, wiewohl ziemlich leise.

      »Na, schön, lieber Freund, schön! Das werde ich dir aufs Kerbholz schneiden.«

      Sie kämpfte ihre Aufregung für ein Weilchen nieder und erholte sich.

      »Und was hat es mit dem ›armen Ritter‹ für eine Bewandtnis?«

      »Das ist mir völlig unbekannt; ich bin nicht dabeigewesen, als es aufkam; es ist irgendein Scherz.«

      »Mir sehr angenehm, das zu erfahren! Aber konnte sie sich denn wirklich für dich interessieren? Sie hat dich ja selbst einen Krüppel und einen Idioten genannt.«

      »Das hätten Sie mir nicht sagen sollen«, bemerkte der Fürst vorwurfsvoll, aber beinah flüsternd.

      »Sei nicht böse! Sie ist ein eigensinniges, verrücktes, verzogenes Mädchen; wenn sie sich verliebt, so wird sie unbedingt laut über den Geliebten räsonieren und ihm ins Gesicht spotten; ich bin ganz ebenso gewesen. Nur, bitte, triumphiere nicht, lieber Freund; sie wird nicht die Deine werden; ich glaube nicht daran; es wird nie geschehen! Ich sage das, damit du dich schon jetzt danach einrichtest. Höre mal, schwöre mir, daß du nicht mit jener Frauensperson verheiratet bist!«

      »Lisaweta Prokofjewna, ich bitte Sie, was reden Sie da!« rief der Fürst und sprang vor Erstaunen beinah auf.

      »Aber es fehlte nicht viel, daß du sie geheiratet hättest?«

      »Nein, es fehlte nicht viel daran«, flüsterte der Fürst und ließ den Kopf sinken.

      »Also in die bist du doch verliebt, wenn es so ist? Bist du jetzt um ihretwillen hergereist? Um dieser Frauensperson willen?«

      »Ich bin nicht hergereist, um zu heiraten«, versetzte der Fürst.

      »Ist dir etwas auf der Welt heilig?«

      »Ja.«

      »Dann schwöre mir, daß du nicht hergereist bist, um sie zu heiraten.«

      »Ich schwöre es bei allem, was Sie wollen!«

      »Ich glaube dir; küsse mich! Endlich kann ich wieder frei atmen. Aber wisse: Aglaja liebt dich nicht; danach richte dich; solange ich auf der Welt bin, wird sie nicht deine Frau werden! Hast du gehört?«

      »Ja, ich habe es gehört.«

      Der Fürst errötete so stark, daß er Lisaweta Prokofjewna nicht gerade in die Augen sehen konnte.

      »Nun, dann merke es dir! Ich habe auf dich gewartet wie auf die Vorsehung (was du übrigens nicht wert warst!); ich habe mein Kissen nachts mit meinen Tränen benetzt – nicht deinetwegen, lieber Freund; mach dir keine Sorgen; ich habe meinen eigenen, anderen Kummer, immer und ewig denselben. Aber der Grund, weshalb ich auf dich mit solcher Ungeduld gewartet habe, ist der: ich glaube immer noch, daß Gott selbst dich mir als meinen Freund und Bruder gesandt hat. Ich habe keinen Menschen als die alte Bjelokonskaja, und auch die ist jetzt ausgeflogen und ist überdies infolge ihres hohen Alters dumm wie ein Schaf. Jetzt antworte einfach ja oder nein: weißt du, warum sie neulich die seltsamen Worte aus dem Wagen gerufen hat?«

      »Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich nicht dabei beteiligt war und nichts davon weiß!«

      »Genug, ich glaube dir. Jetzt fasse ich die Sache anders auf; aber noch vorgestern vormittag maß ich Jewgeni Pawlowitsch an allem die Schuld bei. Den ganzen vorgestrigen Tag und gestern vormittag war ich dieser Meinung. Jetzt allerdings kann ich nicht umhin, den andern beizustimmen: es ist offenbar, daß sie sich über ihn wie über einen Dummkopf lustig gemacht hat, aus irgendeinem Grund, zu irgendeinem Zwecke in irgendeiner Absicht. (Schon das allein ist verdächtig und ganz ungehörig!) Aber Aglaja wird er nicht zur Frau bekommen, das sage ich dir! Er mag ja ein ganz guter Mensch sein; aber es wird doch so geschehen, wie ich gesagt habe. Früher habe ich noch geschwankt; aber jetzt habe ich mit aller Bestimmtheit erklärt: ›Legt mich erst in den Sarg und vergrabt mich in die Erde; dann könnt ihr meine Tochter zur Frau geben, wem ihr wollt!‹ Das habe ich heute mei nem Mann gegenüber ausgesprochen. Siehst du wohl, daß ich dir vertraue? Siehst du das wohl?«

      »Ja, ich sehe es und verstehe es.«

      Lisaweta Prokofjewna blickte den Fürsten prüfend an: vielleicht hätte sie gern gewußt, welchen Eindruck die Mitteilung über Jewgeni Pawlowitsch auf ihn gemacht hatte.

      »Von