eigentlich?«
»Gott segne sie, wenn das nun einmal ihr Schicksal ist!« sagte Lisaweta Prokofjewna, sich fromm bekreuzend.
»Es ist also ihr Schicksal«, stimmte ihr der General bei, »und seinem Schicksal kann man nicht entgehen!«
Alle gingen in den Salon; dort wartete ihrer eine neue Überraschung. Aglaja lachte, als sie zu dem Fürsten herantrat, nicht los, wie sie das befürchtet hatte, sondern sagte im Gegenteil schüchtern zu ihm:
»Verzeihen Sie einem dummen, schlechten, verzogenen Mädchen« (sie ergriff seine Hand), »und seien Sie überzeugt, daß wir alle Sie außerordentlich hochschätzen! Und wenn ich Ihr schönes, gutes, schlichtes Wesen zu verspotten wagte, so bitte ich Sie, es mir zu verzeihen, wie man einem Kind eine Unart verzeiht; verzeihen Sie, daß ich ein törichtes Benehmen so lange fortsetzte, das natürlich nicht die geringsten Folgen haben kann ...«
Die letzten Worte sprach Aglaja mit besonderem Nachdruck.
Der Vater, die Mutter und die Schwestern kamen alle noch früh genug in den Salon, um dies alles zu sehen und mit anzuhören, und waren alle überrascht von dem »törichten Benehmen, das nicht die geringsten Folgen haben könne«, und noch mehr von der ernsten Stimmung, in der Aglaja von diesem törichten Benehmen sprach. Alle sahen einander fragend an; aber der Fürst schien diese Worte gar nicht verstanden zu haben und war auf dem Gipfel der Glückseligkeit.
»Warum reden Sie so?« murmelte er; »warum ... bitten Sie ... um Verzeihung ...?«
Er wollte sogar sagen, daß er unwürdig sei, um Verzeihung gebeten zu werden. Wer weiß, vielleicht hatte er auch den Sinn der Worte »ein törichtes Benehmen, das nicht die geringsten Folgen haben kann«, verstanden und freute sich, ein sonderbarer Mensch, wie er nun einmal war, über diese Worte. Unstreitig bildete es für ihn schon den Gipfel der Seligkeit, daß er wieder unbehindert zu Aglaja kommen, mit ihr reden, mit ihr spazierengehen durfte, und wer weiß, vielleicht wäre er damit sein ganzes Leben lang zufrieden gewesen! (Gerade diese Genügsamkeit war es anscheinend, was Lisaweta Prokofjewna im stillen fürchtete; sie erriet sie und hegte im stillen viele Befürchtungen, die sie selbst nicht deutlich auszusprechen wußte.)
Man kann sich nur schwer eine Vorstellung davon machen, wie lebhaft und munter sich der Fürst an diesem Abend zeigte. Er war so heiter, daß man bei seinem Anblick selbst heiter wurde, wie sich nachher Aglajas Schwestern ausdrückten. Er war gesprächig, und das hatte sich bei ihm seit jenem Vormittag nicht wiederholt, an dem er vor einem halben Jahr zuerst die Bekanntschaft der Familie Jepantschin gemacht hatte; nach seiner Rückkehr nach Petersburg war er in auffälliger Weise absichtlich schweigsam gewesen und hatte erst kürzlich in Gegenwart aller zum Fürsten Schtsch. gesagt, er müsse sich beherrschen und schweigen, da er eine Idee nicht dadurch entwürdigen dürfe, daß er sie auseinandersetze.
An diesem Abend redete er fast allein und erzählte viel; auf Fragen antwortete er mit Freuden, klar und eingehend. Aber in seinen Worten war nichts zu entdecken, was an die Redeweise eines Verliebten erinnert hätte. Es waren lauter ernste, zum Teil sogar schwierige Gedanken. Der Fürst trug sogar einige eigene Ansichten, einige eigene geheime Beobachtungen vor, so daß das alles sogar einen lächerlichen Eindruck gemacht hätte, wäre nicht die »schöne Darstellung« gewesen, wie nachher alle Zuhörer übereinstimmend erklärten. Zwar liebte der General ernste Gesprächsthemata; aber sowohl er als auch Lisaweta Prokofjewna fanden im stillen, daß das Gespräch doch gar zu gelehrt sei, so daß sie gegen das Ende des Abends geradezu traurig wurden. Übrigens verstieg sich der Fürst gegen Ende dazu, ein paar sehr komische Anekdoten zu erzählen, über die er selbst zuallererst lachte, so daß die andern nun mehr über sein fröhliches Lachen als über die Anekdoten selbst lachten. Was Aglaja anlangte, so redete sie den ganzen Abend über fast gar nicht; dafür hörte sie, wenn Ljow Nikolajewitsch sprach, zu, ohne die Augen von ihm abzuwenden; es schien sogar, wie wenn ihr das Ansehen noch wichtiger sei als das Zuhören.
»Sie sieht ihn fortwährend an und wendet kein Auge von ihm; nach jedem Wort von ihm hascht sie ordentlich und klammert sich daran fest!« sagte Lisaweta Prokofjewna nachher zu ihrem Gatten. »Aber wenn man ihr sagt, daß sie ihn liebt, dann ist der Teufel los!«
»Was ist zu machen? Es ist nun einmal ihr Schicksal!« erwiderte der General achselzuckend.
Noch mehrmals wiederholte er diese seine Lieblingsredensart. Wir wollen noch hinzufügen, daß ihm als einem Geschäftsmann ebenfalls an der augenblicklichen Lage der Dinge vieles sehr mißfiel, namentlich die herrschende Unklarheit; aber auch er entschied sich vorläufig dafür, zu schweigen und ... nach Lisaweta Prokofjewnas Augen zu blicken.
Die freudige Stimmung der Familie hielt nicht lange vor. Schon am folgenden Tag zankte sich Aglaja wieder mit dem Fürsten, und das setzte sich ohne Unterbrechung an allen folgenden Tagen fort. Ganze Stunden lang machte sie den Fürsten lächerlich und behandelte ihn beinah wie einen Hausnarren. Allerdings saßen sie manchmal eine oder zwei Stunden lang zusammen in einer Laube des Hausgärtchens; aber die andern beobachteten, daß der Fürst während dieser Zeit Aglaja fast immer aus der Zeitung oder aus einem Buch vorlas.
»Wissen Sie«, sagte Aglaja einmal zu ihm, indem sie ihn beim Vorlesen der Zeitung unterbrach, »ich habe bemerkt, daß Sie furchtbar ungebildet sind; nichts wissen Sie ordentlich, wenn man Sie nach etwas fragt: weder wer etwas getan hat, noch in welchem Jahr etwas geschehen ist, noch auf Grund welches Vertrages. Sie sind von einer kläglichen Unwissenheit.«
»Ich habe Ihnen ja gesagt, daß ich keine große Gelehrsamkeit besitze«, erwiderte der Fürst.
»Was ist denn unter solchen Umständen an Ihnen daran? Wie kann ich Sie dann achten? Lesen Sie weiter; übrigens, es ist nicht nötig, hören Sie nur damit auf!«
Und an demselben Abend veranstaltete sie wieder ein für alle rätselhaftes Intermezzo. Der Fürst Schtsch. war zurückgekehrt. Aglaja benahm sich gegen ihn sehr freundlich und fragte ihn viel nach Jewgeni Pawlowitsch (Fürst Ljow Nikolajewitsch war noch nicht gekommen). Auf einmal erlaubte sich Fürst Schtsch. auf »die nahe bevorstehende neue Umwälzung in der Familie« hinzudeuten, und zwar infolge einer Bemerkung, welche Lisaweta Prokofjewna sich hatte entschlüpfen lassen, daß nämlich Adelaidas Hochzeit vielleicht nochmals verschoben werden müsse, damit beide Hochzeiten zusammen begangen werden könnten. Es ging über alle Begriffe, in was für einen Zorn Aglaja über »all diese dummen Vermutungen« geriet; unter anderm entfuhren ihr die Worte, »sie habe noch nicht die Absicht, die Nachfolgerin der Mätressen irgend jemandes zu werden«.
Durch diese Worte wurden alle und ganz besonders die Eltern in das höchste Erstaunen versetzt. Lisaweta Prokofjewna sprach in einer geheimen Beratung mit ihrem Mann das dringende Verlangen aus, es solle mit dem Fürsten eine endgültige Auseinandersetzung über sein Verhältnis zu Nastasia Filippowna stattfinden.
Iwan Fjodorowitsch erwiderte, er wolle darauf schwören, daß das alles nur eine aus Aglajas »Verschämtheit« hervorgehende »Extravaganz« sei; hätte Fürst Schtsch. nicht angefangen von der Hochzeit zu reden, so wäre es zu dieser Extravaganz gar nicht gekommen; denn Aglaja wisse selbst zuverlässig, daß das alles nur Klatsch schlechter Menschen sei und Nastasja Filippowna sich mit Rogoschin verheiraten werde; der Fürst habe, von einer Liaison ganz zu geschweigen, mit ihr überhaupt nichts zu schaffen und habe niemals etwas mit ihr zu schaffen gehabt, wenn man die reine Wahrheit sagen wolle. Aber der Fürst ließ sich durch nichts irremachen und fuhr fort in Seligkeit zu schwelgen. Freilich bemerkte auch er mitunter einen düsteren, ungeduldigen Ausdruck in Aglajas Blicken; aber er führte dies auf andere Gründe zurück, und der düstere Ausdruck verschwand ja dann auch von selbst wieder. Einmal überzeugt, ließ er sich in seiner Überzeugung durch nichts wankend machen. Vielleicht war er doch gar zu ruhig; wenigstens war dieser Ansicht Ippolit, der ihm zufällig einmal im Park begegnete.
»Nun, habe ich Ihnen damals nicht die Wahrheit gesagt, als ich es aussprach, daß Sie verliebt seien?« begann er, indem er an den Fürsten herantrat und ihn anhielt.
Dieser streckte ihm die Hand hin und beglückwünschte ihn zu seinem »guten Aussehen«. Der Kranke schien auch selbst mehr Mut zu haben, wie das eine Eigenheit der Schwindsüchtigen ist.