was der Verstand als Schmach ansieht, erscheint dem Herzen oft als Schönheit. Steckt in Sodom etwa irgendwelche Schönheit? Glaub mir, die überwiegende Mehrzahl der Menschen sieht in Sodom das Schöne – hast du dieses Geheimnis gekannt oder nicht? Schrecklich, daß die Schönheit nicht nur furchtbar, sondern auch geheimnisvoll ist. Da kämpft der Teufel mit Gott, und das Schlachtfeld ist das Herz der Menschen. Übrigens, was einem weh tut, davon redet man. Hör zu, ich komme jetzt zur Sache.«
4. Beichte eines heißen Herzens (in Prosa)
»Ich habe ein ausschweifendes Leben geführt. Vorhin hat der Vater gesagt, ich hätte mehrere tausend Rubel, für die Verführung von Mädchen ausgegeben. Das ist eine gemeine Lüge, das ist nie geschehen. Doch was geschehen ist, dafür war eigentlich kein Geld erforderlich. Bei mir ist das Geld nur etwas Nebensächliches, etwas Dekoratives. Heute ist eine vornehme Dame mein Liebchen, morgen an ihrer Stelle eine Straßendirne. Ich amüsiere die eine wie die andere, werfe das Geld mit vollen Händen weg, da muß Musik her, Lärm, Zigeunerinnen. Notfalls gebe ich auch meinen Liebsten etwas, denn sie nehmen es, nehmen es begierig, das muß man zugeben, dann sind sie zufrieden und dankbar. Vornehme Damen haben mich geliebt, nicht alle, aber vorgekommen ist es, vorgekommen ist es. Doch besonders habe ich immer die Gäßchen gemocht, die stillen, dunklen Sackgäßchen, abseits von den großen Plätzen. Da gibt es Abenteuer, da gibt es unerwartete Erlebnisse, da liegt Gold im Schmutz. Ich rede nur bildlich, Bruder. In unserem Städtchen gab es solche Gassen eigentlich nicht, nur im übertragenen Sinn gab es welche. Wenn du so ein Mensch wärst wie ich, würdest du verstehen, was ich damit meine. Ich liebte die Ausschweifungen, ich liebte auch den Skandal der Ausschweifungen. Ich liebte die Grausamkeit, ich bin ja eine Wanze, ein boshaftes Insekt, eben ein Karamasow! Einmal wurde von der ganzen Stadt ein Picknick veranstaltet, wir fuhren in sieben Troikas. Es war Winter und dunkel, und ich begann im Schlitten eine nahe Mädchenhand zu drücken. Dann nötigte ich dieses Mädchen, die Tochter eines Beamten, ein armes, liebes, sanftes stilles Geschöpf, sich küssen zu lassen. Sie gestattete es; sie gestattete mir viel in der Dunkelheit. Das arme Kind dachte, ich würde am nächsten Tag kommen und ihr einen Antrag machen, man betrachtete mich nämlich als schätzbaren Heiratskandidaten. Ich aber sprach danach kein Wort mit ihr, fünf Monate lang keine Silbe. Wenn getanzt wurde, und bei uns wurde fortwährend getanzt, sah ich, wie mir aus einer Ecke des Saales ihre Augen folgten. Ich sah, wie in ihnen ein Fünkchen glühte, ein Fünkchen sanften Unwillens. Dieses Spiel amüsierte die Wollust des Wurmes in mir. Fünf Monate darauf heiratete sie einen Beamten und zog fort – zürnend und vielleicht immer noch liebend. Jetzt leben sie glücklich. Beachte, daß ich niemand etwas davon gesagt, es nicht ausposaunt habe! Also – wenn ich auch gemeine Gelüste habe und die Gemeinheit liebe, bin ich doch kein ehrloser Mensch. Du errötest, und deine Augen glänzen. Ich will dich nicht weiter mit diesem Schmutz behelligen. Und doch sind das alles nur so kleine Blüten im Stil von Paul de Kock, während der grau arme Wurm in meiner Seele wuchs und immer größer wurde. Ich habe da ein ganzes Album voll solcher Erinnerungen. Möge Gott diesen lieben weiblichen Wesen Gesundheit schenken! Wenn ich mit einer Schluß machte, dann am liebsten ohne Streit und Zank. Und nie habe ich eine verraten, nie eine in üblen Ruf gebracht. Aber genug davon! Hast du wirklich geglaubt, daß ich dich wegen solcher Lappalien gerufen habe? Nein, ich werde dir eine interessantere Geschichte erzählen! Wundere dich aber nicht, daß ich mich nicht vor dir schäme, sondern darüber sogar froh erscheine.«
Paul de Kock
»Das sagst du, weil ich rot geworden bin«, bemerkte Aljoscha plötzlich. »Aber ich bin nicht wegen deiner Reden und deiner Taten rot geworden, sondern weil ich genau so ein Mensch bin wie du.«
»Du? Na, das dürfte übertrieben sein.«
»Nein, durchaus nicht«, erwiderte Aljoscha eifrig; offenbar hatte er diesen Gedanken schon lange mit sich herumgetragen. »Das ist alles ein und dieselbe Treppe. Ich stehe auf der untersten Stufe und du oben, so etwa auf der dreißigsten. So sehe ich die Sache. Wer die unterste Stufe betreten hat, wird mit Sicherheit auch die oberste erreichen.«
»Also sollte man die Treppe gar nicht erst betreten?«
»Wer es schafft, sollte sie gar nicht erst betreten.«
»Und du – schaffst du es?«
»Ich glaube, nein.«
»Schweig, Aljoscha. Schweig, mein Lieber, ich möchte dir die Hand küssen vor Rührung. Diese schlaue Gruschenka ist doch eine Menschenkennerin! Sie hat zu mir gesagt, einmal würde sie auch dich in ihren Bann ziehen. Aber ich bin schon still! Lassen wir die Schandtaten, dieses mit Fliegenschmutz besudelte Blatt Papier. Gehen wir zu meiner Tragödie über, die ebenfalls so ein mit Fliegenschmutz, das heißt mit allen möglichen Gemeinheiten, besudeltes Blatt Papier ist. Die Sache ist nämlich die: Mag das von der Verführung unschuldiger Mädchen auch von dem Alten erlogen sein, im Grunde ist es in meiner Tragödie so und nicht anders gewesen, wenn auch nur einmal, und dann auch bloß halb. Der Alte, der mir Ungeschehenes zum Vorwurf macht, hat davon keine Kenntnis. Ich habe niemand davon erzählt, du bist der erste, dem ich jetzt davon erzähle. Natürlich außer Iwan. Iwan weiß alles, schon längst. Aber Iwan schweigt wie das Grab.«
»Iwan schweigt wie das Grab?«
»Ja.«
Aljoscha hörte mit höchster Aufmerksamkeit zu.
»Wenn ich auch in diesem Linienbataillon den Rang eines Fähnrichs hatte, stand ich doch gewissermaßen unter Aufsicht, ähnlich wie ein Verbannter. Das Städtchen aber hatte mich außerordentlich gut aufgenommen. Mit dem Geld warf ich nur so um mich; man hielt mich für reich und ich mich selber auch. Ich muß den Leuten noch durch etwas anderes gefallen haben. Sie schüttelten zwar die Köpfe über mich, doch sie hatten mich wirklich gern. Mein Oberstleutnant, ein älterer Mann, mochte mich plötzlich nicht mehr. Er suchte mir etwas am Zeug zu flicken, aber ich verstand meinen Dienst; außerdem stand die ganze Stadt auf meiner Seite, so konnte er mir nicht allzuviel anhaben. Schuld war ich selbst, ich verweigerte ihm absichtlich den gebührenden Respekt. Ich war stolz. Dieser alte Starrkopf, übrigens ein braver Mensch und großzügiger Gastgeber, hatte zwei Frauen gehabt; beide waren gestorben. Die erste, aus einfachem Stand, hatte ihm eine Tochter hinterlassen, die ebenfalls sehr einfach wirkte. Sie war damals etwa vierundzwanzig und lebte bei ihrem Vater, zusammen mit einer Tante, der Schwester ihrer verstorbenen Mütter. Die Tante strahlte eine stille Einfachheit aus. Die Nichte hingegen, die älteste Tochter des Oberstleutnants, eher eine frische, energische Einfachheit. Wenn ich mich in meinen Erinnerungen ergehe, wage ich gern über jemand ein gutes Wort: Niemals, mein Täubchen, habe ich einen prächtigeren Frauencharakter kennengelernt als dieses Mädchen, Agafja hieß sie, Agafja Iwanowna. Sie war auch ziemlich hübsch, richtig nach russischem Geschmack, groß, kräftig, nicht so dünn, mit schönen Augen, das Gesicht allerdings etwas grob. Sie hatte nicht geheiratet, obwohl ihr zwei Anträge gemacht worden waren. Sie hatte sie abgelehnt, ohne jedoch ihre Heiterkeit zu verlieren. Ich war mit ihr näher zusammengekommen – nicht auf diese Art, nein, es war alles sauber, wir verkehrten freundschaftlich miteinander. Ich habe mit Frauen oft nur so verkehrt, ganz freundschaftlich, ohne Sünde. Ich konnte mit ihr erstaunlich offenherzig plaudern, und sie lachte nur immer. Viele Frauen lieben die Offenherzigkeit, merk dir das. Sie war noch dazu ein junges Mädchen, und das machte mir besonderen Spaß. Und noch eins: Ich konnte sie unmöglich als ›Gnädiges Fräulein‹ anreden. Sie wohnte mit ihrer Tante bei dem Vater, und beide Frauen stellten sich in einer Art freiwilliger Selbsterniedrigung niemals mit der übrigen Gesellschaft auf eine Stufe. Alle hatten Agafja Iwanowna gern und brauchten sie, denn sie war als Schneiderin geradezu ein Talent, Geld verlangte sie für ihre Dienste nicht, sie tat es aus Freundlichkeit. Wenn man ihr etwas gab, lehnte sie es nicht ab. Der Oberstleutnant, zugegeben, der Oberstleutnant war eine der ersten Personen in unserer Stadt. Er lebte auf großem Fuß, empfing die ganze Stadt, gab Soupers und Tanzgesellschaften. Als ich in das Bataillon eintrat, redete das ganze Städtchen davon, die zweite Tochter des Oberstleutnants, ein sehr schönes Mädchen, hätte den Kursus in einem aristokratischen Erziehungsinstitut in der Hauptstadt beendet und käme nun bald zurück. Diese zweite Tochter, die schon aus der zweiten Ehe des Oberstleutnants stammt, das ist Katerina Iwanowna. Die zweite, schon verstorbene Frau des Oberstleutnants kam aus einer vornehmen