Johan Skjoldborg

Sara


Скачать книгу

Ofen stärker als an irgend einem anderen Tage des Jahres. Die beiden baumwollenen Vorhänge vor dem Alkovenbett hängen – frischgewaschen – in frischen, steifen Falten.

      Tag für Tag, wenn die Zeit heranrückt, ordnet und putzt sie an allem herum, damit alles in bester Ordnung ist. Schon lange vorher sind sich die beiden Alten gegenseitig behilflich, die alte Hütte auszubessern, zu verkleben und zu tünchen und das Dach zu flicken, wo immer es not tut. So sorgfältig wie möglich richten sie alles her und verschönern alles, damit den Kindern auch in Zukunft noch das alte Weidenhäuschen gefällt.

      Jakob und Dorte sind am 1. November in aller Frühe auf den Beinen. Es gibt nichts zu tun, aber sie können nicht schlafen. Jakob hat sich rasiert und sich das erste Gläschen Rum genehmigt, er geht jetzt hinaus, um noch einmal nachzusehen, ob auch alles so ist, wie es sein soll; er geht wieder hinein, und er und Dorte unterhalten sich darüber, welch ein Glück es ist, daß das Wetter sich heute so gut anläßt. Fast den ganzen Vormittag sind sie allein. Sie blicken zum Fenster hinaus und auf die alte Uhr.

      »Nun dauert's nicht mehr lange, dann kommen sie«, sagt Jakob einmal ums andere.

      Sie gehen wohl auch hinaus bis an den Hausgiebel und spähen sehnsüchtig die Fußsteige hinunter.

      Der erste, der da kommt, ist Peter. Seine Hosen stecken in ein paar langen, funkelnagelneuen Schaftstiefeln; die Narben des Leders sind noch deutlich sichtbar. Peter ist schon rundrückig. Er stolpert über den Fußboden wie ein alter Mann und setzt sich, als sei er sehr müde.

      Und doch ist er nur neunzehn Jahre alt. Aber er hat von jeher zu schwer gearbeitet; seit zwei Jahren verrichtet er schon ganze Knechtsarbeit. Peter will nämlich Geld haben, viel Geld.

      »Naa,« sagt der Vater und steckt sich, belebt durch des Sohnes Ankunft, ein frisches Stück Kautabak in den Mund. »Naa, Peter, du hast dir wohl ein paar Stulpstiefel zugelegt?« Jakob beäugt scharf die neuen Stiefel und befühlt das Leder.

      »P–ti«, Jakob Weidenhäusler spuckt einen Strahl in weitem Bogen aus, »die sind warm und gut!«

      Peter zieht die Strippen hoch, und seine Augen folgen der feinen, roten Saffiankante, die der Schuster als Abschluß oben angebracht hat. »Aber sie waren auch teuer,« seufzt er.

      »Ach das kannst du dir schon erlauben, mein Bester. Bei dem Lohn, den ihr heutzutage kriegt – P–ti!«

      Peter murmelt: »Na, na.«

      »Du bleibst wohl auf deinem Platz, Peter?«

      »Ja.«

      »Das ist recht; das hab' ich gern!«

      »Ach – was, Dreck!«

      Peter blickt unentwegt vor sich nieder und ist so merkwürdig schweigsam und verdrossen.

      Die Mutter bemerkt es. »Dir ist doch nichts?« fragt sie.

      »Ach nein, nichts weiter.«

      »Du bist doch nicht etwa krank?« Es zittert wie Angst in ihrer Stimme.

      »Nein, aber – es fehlen mir in der Kasse noch zehn Kronen an dreihundert.«

      Die Mutter schlägt eine laute Lache auf. »Du bleibst dir doch immer gleich, ha, ha, ha!«

      Jakob Weidenhäusler aber lächelt vor sich hin, voll heimlichen Stolzes und auch darüber, daß dies der Grund der Verstimmung war.

      Peter verzieht keine Miene. Er legt das Geld auf den Tisch und zählt. Die Eltern rücken zusammen und helfen ihm; sie lassen die Banknoten und das Silbergeld immer wieder durch die groben, knochigen Finger gleiten. –

      Es wird aber nicht anders, die zehn Kronen fehlen.

      »Das ist ärgerlich,« sagt Peter. »Es ist nur, weil ich die Stiefel kaufte. Das war dumm!«

      Er sitzt und starrt das Geld an, das geordnet vor ihm auf dem Tische liegt. Und als könne er den Gedanken nicht loswerden, fragt er den Vater: »Kannst du mir nicht die zehn Kronen leihen?«

      »He, nein, das kann ich nicht, Peter, ich schulde noch dem Höker.«

      »Das ist doch des Teufels!«

      Nach einer Weile fragt der Vater: »Wozu sparst du denn nun eigentlich das Geld, Peter?«

      »Ich will ein Geschäft haben.«

      Jakob scheuert sich den Ellenbogen vor lauter Vergnügen. »Soo, du willst ein Geschäft haben?«

      »Jawohl, damit verdient man am meisten Geld.«

      Die Eltern blicken sich verstohlen an.

      »Ich will Viehhändler werden, so wie Anders Vabbesgaard.«

      Das aber scheint dem Alten bedenklich. Der bloße Gedanke macht ihn schwindeln. Also selbst der solide und besonnene Peter konnte ihnen Grund zu Besorgnissen geben.

      Der vergnügte und lebhafte Schimmer verschwindet aus Jakob Weidenhäuslers Antlitz, das wieder den gewohnten kummervollen Ausdruck annimmt. Dann sagt er: »Du wirst doch wohl ein ehrlicher und treuer Knecht bleiben in deinen Stellungen, damit wir Freude an dir haben können!«

      »Ein Geschäft will ich haben,« nickt Peter energisch.

      Die Mutter fürchtet ebenfalls, daß seine Gedanken zu vermessen sind, daher fügt sie hinzu: »Es ist wohl am besten, du bleibst mit den Füßen auf der Erde und vergißt nicht, wo du bist.«

      In diesem Augenblick kommt Jens, ein seit einem Jahre konfirmierter Knirps, zur Tür hereingestürmt. Er ist sommersprossig mit dicken Lippen und hat ein paar entsetzlich große Ohren, die vielleicht heute noch größer als gewöhnlich aussehen, da er ganz kurz geschoren ist. Seine Augen sprühen vor Lebenslust.

      Jens schwingt ein blaues Taschentuch, »Huh!« sagt er und wirft es mitten auf den Tisch.

      Der Vater sieht ihn verwundert an. »Was hast du denn da?«

      »Das ist Weizenbrot und Kuchen! heute wollen wir, Gott verdamm mich, einmal flott leben!« antwortet der Junge und lacht.

      »Ich glaub', du bist verrückt, Jung,« schilt die Mutter; im Grunde aber freut sie sich trotzdem über ihren Jens.

      Der Vater blickt den Sohn fest an und sagt mit einer Stimme so voll Güte, daß keines der Kinder ihm je widerstehen konnte: »Mir ist, Jens, als hörte ich dich fluchen – aber das kann doch wohl nicht stimmen.«

      Der Junge errötet und schlägt die Augen nieder. Und um von diesem Thema abzulenken, öffnet er das Taschentuch und beißt in einen Kuchen hinein.

      Die Mutter aber tritt hastig dazwischen: »Willst du das lassen, Bursche! Du kannst doch wohl warten, bis die andern kommen!« Sie reißt das Päckchen an sich und leert den Inhalt auf einen Teller, den sie hinter einen Vorhang auf das Brett über dem Ofen stellt.

      »Na, Jens,« fragt der Vater, »du bleibst wohl auch, wo du bist?«

      »Nein, ich glaube nicht, daß ich da länger dienen will. Der Mann ist gut, aber sie ist ein verteufeltes Frauenzimmer.«

      »Willst du 'mal ordentlich von deiner Hausmutter sprechen!« tadelt die Mutter.

      Und der Vater fügt still hinzu: »Jeder ordentliche Dienstbote kann in seiner Stellung bleiben, solange er will. Auf diese Art kommen armer Leute Kinder vorwärts!«

      »Ach Dreck! Stellungen gibt's genug!« antwortet Jens. – »Hungern läßt sie uns auch. Und dann hält sie mir vor, daß ich arm bin und von Haus her nichts Besseres gewöhnt.«

      »Bei solchen Gelegenheiten tun wir am besten, uns taub zu stellen. Damit kommen wir am weitesten, mein Junge,« seufzt der Vater.

      Die Mutter fragt in einem Ton, durch den es wie erwachendes Mißtrauen klingt: »Du bist ihr gegenüber doch nicht naseweis?«

      »Ach – nein!« kicherte der Junge.

      »Ob du es nicht doch mitunter bist? Mir ist bange, du läßt deinen Mund zu sehr laufen.«

      Wohl