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Lebendige Stunden


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      BORROMÄUS. Es muß doch eine Plag' sein, täglich auf einem Fleck sitzen sechs Stunden lang. – Ich hab' den gnädigen Herrn oft bedauert in früherer Zeit, wenn er erst so spät am Abend aufs Land herausgekommen ist. Und gar im Winter –

      HAUSDORFER. Was soll man machen, Borromäus? Jetzt sitzt ein anderer auf meinem Platz, und wenn's der erlebt wie ich, kriegt er auch einmal seine Pension, und drin im Bureau sitzt wieder ein anderer! – Aber wer da drin auf meinem Platz sitzt, das ist ganz egal, das kann bald einer. Aber ein Dichter – das ist schon eine andere Art von Mensch wie unsereiner, Borromäus. Wenn so einer in Pension geht, kann's passieren, daß die Stelle recht lang unbesetzt bleibt. Ja, so einer muß auf sich schauen, das ist er der Welt schuldig – verstehen S', Borromäus?

      BORROMÄUS. Freilich.

      HAUSDORFER. Nichts verstehen S', gar nichts. Haben Sie denn gar nichts bemerkt am Heinrich? Haben Sie denn nie den Schein um seinen Kopf bemerkt? Na, sehn Sie!

      BORROMÄUS lacht zuerst, dann wird er wieder ernst.

      HAUSDORFER. Haben S' keine Angst, Borromäus, – ich bin nicht verrückt. Ich red' von keinem wirklichen Schein, nur von einem figürlichen. Sie können ihn nicht sehen, Borromäus, – ich auch nicht; – aber die Frau Hofrätin hat ihn gesehen.

      BORROMÄUS. Ah, ich weiß schon, was der gnädige Herr meint. Ja, weil der Herr Heinrich, so jung als er ist, schon so viel in der Zeitung steht und die Leut' von ihm reden – ja, ja, das ist – Geste, als wollte er den Schein um den Kopf bezeichnen.

      HEINRICH schwarz gekleidet, geht am Gartengitter vorbei. Er grüßt und verschwindet wieder.

      BORROMÄUS ist dem Blick des Hausdorfer gefolgt.

      HAUSDORFER. Ja, da kommt er. Sitzt schweigend.

      BORROMÄUS. Erlauben der gnädige Herr – ich hab' ja noch gar keine Gelegenheit gehabt, dem Herrn Heinrich mein Beileid auszusprechen ...

      HEINRICH tritt eben aus dem Innern des Hauses auf die Terrasse.

      HAUSDORFER. Na, gehn Sie nur, gehn Sie nur, sprechen Sie ihm Ihr Beileid aus.

      BORROMÄUS geht dem Heinrich entgegen.

      HEINRICH von der Veranda herunterkommend, ergreift die Hand des Borromäus. Ich danke Ihnen, lieber Borromäus – ich weiß ja – ich danke Ihnen sehr.

      BORROMÄUS ab.

      HEINRICH nach vorn.

      HAUSDORFER steht jetzt erst auf, geht ihm einen Schritt entgegen. Händedruck. Na, bist du wieder zurück?

      HEINRICH. Ja; früher als ich gedacht habe. Es ist doch noch besser daheim,

      HAUSDORFER nickt. Du bist also noch am selben Abend abgereist?

      HEINRICH. Ja. Ich bin vom Friedhof nach Hause, habe gepackt und bin fort. Ich hätte die Nacht zu Hause nicht mehr ertragen.

      HAUSDORFER. Das begreif' ich. Wo bist du denn eigentlich gewesen?

      HEINRICH. Zuerst bin ich nach Salzburg gefahren. –

      HAUSDORFER. So?

      HEINRICH. Das ist nämlich ein Ort, wo ich mich sonst immer wohl gefühlt habe. Eine Stadt des Trostes, wahrhaftig.

      HAUSDORFER. So? Gibt's solche Städte? Das wär' ja großartig.

      HEINRICH. Ja, unter gewissen Umständen gibt es solche Orte, und ich bin wirklich nicht aufs Geratewohl nach Salzburg gereist. Ich habe nämlich einmal etwas sehr Schweres oder wenigstens Trübseliges erlebt – vor sieben oder acht Jahren ... Wissen Sie, Herr Hausdorfer, so eine Geschichte, daß ich dachte, es wird überhaupt nie wieder gut ... Ja, und da bin ich fortgereist, eben nach Salzburg. Und schon am ersten Nachmittag, während eines einsamen Spazierganges in Hellbrunn, in dem reizenden Rokokogarten, linderte sich mein Schmerz und am Morgen daraufhin ich wie gesundet aufgewacht, habe sogar wieder arbeiten können.

      HAUSDORFER. Geh!

      HEINRICH. Allerdings war ich damals kaum zwanzig – überdies war Frühling; das muß man auch in Betracht ziehen.

      HAUSDORFER. Ja freilich, das muß man auch in Betracht ziehen.

      HEINRICH. Und diesmal nichts, keine Spur von Erleichterung. Im Gegenteil.

      HAUSDORFER. Also es gibt Fälle, wo Hellbrunn nicht wirkt. Wie lang bist du denn in Salzburg geblieben?

      HEINRICH. Am nächsten Tag bin ich fort. Nach München. Ich hoffte nämlich auf die beruhigende Wirkung der alten Bilder. Ich bin in die Pinakothek, in die alte, wo meine geliebten Dürer und Holbein hängen. Und wahrhaftig, dort hab' ich zum ersten Mal nach langer, nach sehr langer Zeit wieder aufgeatmet. Pause. Sie erlauben doch, daß ich Ihnen das alles erzähle. Ich habe ein wahres Bedürfnis, mich Ihnen gegenüber auszusprechen.

      HAUSDORFER. Tu's nur, tu's nur. Wird freundlicher, gibt ihm die Hand.

      HEINRICH. Ich danke Ihnen. Sitzt. Sehen Sie, Herr Hausdorfer, ich hab' es einigermaßen schmerzlich empfunden, daß wir einander im Lauf der letzten Jahre ... ich kann's nicht anders sagen – ein wenig fremder geworden sind.

      HAUSDORFER. Fremder – wieso denn?

      HEINRICH. Ja. Ich habe sehr gut gespürt, daß Sie mich nicht mehr so gern hatten, wie früher einmal, wie zu der Zeit, da ich ein Bub' war und hier auf der Wiese gespielt habe.

      HAUSDORFER. Gott, mein lieber Heinrich, das ist freilich schon recht lange her. Und schließlich wirst du ja auch zugestehen, daß du eigentlich derjenige warst – na ja, ich mein' nur so ... es ist doch natürlich, daß du deine eigenen Wege gegangen bist. Ein junger Mensch! Es war ja nicht sehr amüsant bei mir heraußen. Du hast deinen Kreis. Ich hab' dir doch mein Lebtag keinen Vorwurf gemacht – oder ja?

      HEINRICH. Aber! – Ich wollte Ihnen nur sagen, wie tief ich gerade jetzt, nach dieser mißglückten Reise – oder Flucht, empfunden habe, daß ich mit keinem Menschen so stark zusammenhänge als mit Ihnen. Sie werden mich verstehen. Wie dankbar muß ich Ihnen sein! Was sind Sie meiner armen Mutter gewesen! Wie haben Sie ihre letzten Lebensjahre verschönt!

      HAUSDORFER wehrt ab. Ja, ja ... Erzähl' doch weiter. Also in München bist du gewesen, die Bilder hast du dir angeschaut. Und da hast du Trost gefunden.

      HEINRICH. Solang ich eben in den kühlen, stillen Sälen war. Kaum bin ich auf die Straße hinausgetreten, so war alles vorbei. Und gar die Abende, diese endlosen einsamen Abende. Ich versuchte zu arbeiten, zu denken – unmöglich! Als wäre alles in mir vernichtet. Pause. Ist aufgestanden. Wie lange wird das noch dauern!

      HAUSDORFER. Es muß schrecklich sein, wenn man eine Beschäftigung so gewöhnt ist ...

      HEINRICH. Gewöhnt? Ich bin's ja längst nicht mehr. Das ist es eben. Seit zwei, drei Jahren kann ich nichts mehr zustande bringen. Sie wissen ja ...

      HAUSDORFER. Ich weiß – freilich.

      HEINRICH. Aber es war auch eine vollkommene Unmöglichkeit. Ein geliebtes Wesen, eine Mutter leiden sehen, so leiden, und wissen, daß sie dem Tod entgegensiecht, – und daß sie es ahnt! – Ja, das war das Furchtbarste. Diese Ahnung, die ich in ihren Augen schimmern sah, nachts, wenn ich an ihrem Bette saß und ihr vorlas. Große Pause. Die Wohnung hab' ich aufgegeben.

      HAUSDORFER. So? Die wär' ja auch zu groß für dich allein.

      HEINRICH. Abgesehen davon; ich könnte in diesen Räumen doch nie wieder eine Zeile schreiben. Ich würde doch Nacht für Nacht das Stöhnen aus dem Zimmer nebenan zu hören glauben, das mir ins Herz geschnitten und mir jede Fähigkeit, jede Lust zu schaffen, ja zu leben zu Grund gerichtet hat. O Gott! Pause. Und wissen Sie, was mir Doktor Heusser noch am Sonntag vor ihrem Tode gesagt hat?

      HAUSDORFER. Was denn?

      HEINRICH. Es könnte auch noch zwei bis drei Jahre dauern.

      HAUSDORFER beinahe auffahrend. Noch zwei bis drei Jahre? So? Absichtlich ruhiger. Noch zwei bis drei Jahre hätte es dauern können?

      HEINRICH.