Dan Richter

Improvisationstheater


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notieren sollen. Vielmehr geht es um das emotionale Aufnehmen dieser Gesten wie im alltäglichen Leben: Fährt er sich mit der Hand nervös durchs Gesicht? Stemmt er die Hände in die Hüften? Welchen sprachlichen und gestischen Status19 kommuniziert mein Partner?

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      Als idealer Mitspieler meines Partners muss ich bereit sein, alles aufzusaugen, jedes kleine Detail, vom Sprech-Tempo bis zur Bewegung durch den Raum. Nur das versetzt mich in die Lage, das Kommunizierte aufzunehmen.

       3.2Hör dir selbst zu

      Wenn ich Schülern rate, sich selbst zuzuhören, ernte ich manchmal unverständliche Blicke: „Wie kann man sich denn nicht zuhören?“

      „Wenn du dir selbst zugehört hast, wie kann es dann sein, dass du den Namen der Figur deines Mitspielers vergessen hast, die du selbst etabliert hast?“

      Gerade im Improtheater wird zu viel geredet, ohne etwas zu sagen. Die Worte bleiben Geschwätz und emotionales Wischiwaschi. Wenn ich wirklich meine, was ich sage, wird mir das nicht so schnell entfallen.

      Wir haben schon besprochen, wie wichtig der Partner für unser Spiel ist. Daher gilt auch umgekehrt: Wir sind wichtig für unseren Partner – unsere improvisierten Sätze, Gesten und Emotionen.

      Wir hören uns selbst nicht zu,

      •wenn wir Namen, Orte und Tatsachen, die wir selber etabliert haben, vergessen,

      •wenn wir unsere Figur schauspielerisch verlieren, zum Beispiel weil uns der Tonfall, der gestische Habitus oder der Dialekt entfallen,

      •wenn unsere Gesten und Worte für uns selber nur wenig Bedeutung haben.

      Das Namen-Vergessen ist die wohl augenfälligste Form des Sich-nicht-selber-Zuhörens.

      A: „Ich habe das Beil mitgebracht, Herbert.“

      B: „Ich heiße eigentlich Horst, aber du kannst gern Herbert zu mir sagen.“

      A: „Ja, Horst-Herbert, nicht wahr?“

      So sicher, wie der verzweifelte, kraftlose Lacher des Publikums für das Zurechtbiegen der Figur, so langweilig ist diese millionenfach gespielte Sequenz des Zwei-Namen-Kombinierens. Manchen scheint es banal und nicht so wichtig – man könne es ja immer noch rechtfertigen, und letztlich sei es ja egal, ob die Figur Herbert oder Horst heißt. Aber das ist es eben nicht. Wir verbinden als Zuschauer Emotionen mit ihnen. Also gib deinen Mitspielern Namen, die dir etwas bedeuten.

      Je spezifischer man ist, umso leichter bleibt das Etablierte im Gedächtnis. Stellen wir uns zum Beispiel einen alten rauchenden Mann vor, der sitzend liest. Der emotionale Gehalt dieses Bildes bleibt wahrscheinlich ziemlich vage. Wenn wir uns nun aber vorstellen, dass er sich immer wieder die Brille zurechtrückt, dass er einen Zigarillo raucht, dass er in einem Schaukelstuhl sitzt und eine Zeitschrift über Motorboote liest, dann haben wir ein wesentlich farbigeres Bild vor uns, das uns sofort anspricht. Dabei habe ich lediglich die Attribute Alter, Rauchen, Sitzen, Lesen spezifiziert.

      Ich höre mir zu, wenn ich die Figur ernst nehme, wenn der Dialekt mehr ist als nur ein hingeworfener Gag fürs Publikum, wenn ich ihre Gewohnheiten und ihre Sicht auf die Welt verinnerlicht habe, wenn sie mir wichtig geworden sind.

       3.3Hör auf den Sinn

      Die einfachste Sinn-Ebene ist die der Wörter und Wortzusammenhänge auf einer Fakten-Ebene. Wenn unser Protagonist auf einem Esel reitet, dann ist es ein Esel, kein Pferd und kein Kamel. Der Esel und das Reiten des Esels können je nach szenischem Kontext, noch eine weitere Sinn-Ebene haben.

      Wie wir schon am Beispiel der Namen gesehen haben, können uns Spezifizität und emotionale Verknüpfung helfen, das Gehörte zu erfassen und in unserem Gedächtnis abzuspeichern.

      Eine weitere Möglichkeit des Memorisierens ist, ein Schlüsselwort des Gegenübers zu wiederholen, indem man es in einen eigenen Satz einbaut. Das mag mechanisch klingen, aber wir finden diese Technik auch in Filmen und selbst bei Shakespeare. Sogar wenn bei Shakespeare zwei Todfeinde einander bekämpfen, hören sie zu, verlassen nie die präzise Sprache und gehen stets auf das Gehörte ein. Nehmen wir die zweite Szene des ersten Akts aus Richard III., in der Gloster (der spätere Richard III.) die Witwe des von ihm getöteten König zu bezirzen versucht.

      Anna: „Bube, du kennst kein göttlich, menschlich Recht:

      Das wilde Tier kennt doch des Mitleids Regung.“

      Gloster: „Ich kenne keins und bin daher kein Tier.“

      Anna: „O Wunder, wenn ein Teufel Wahrheit spricht!“

      Gloster: „Mehr Wunder, wenn ein Engel zornig ist …

      Geruhe, göttlich Urbild eines Weibes,

      Von der vermeinten Schuld mir zu erlauben

      Geflissentlich bei dir mich zu befrein.“

      Anna: „Geruhe, giftger Abschaum eines Mannes,

      Für die bekannte Schuld mir zu erlauben,

      Geflissentlich zu fluchen dir Verfluchtem!“

      Beide Sprecher beziehen sich stets auf das soeben Gesagte. Sie nehmen Sinn und einzelne Wörter auf und einzelne Metaphern. (Wäre die Szene improvisiert, könnte man hinzufügen: Die Spieler verstärken das zugrunde liegende Spiel von Bezirzen versus Verfluchen.)

      Schon wenn wir auf der einfachsten Ebene, der Wortwiederholung anfangen, wirkt es auf die Zuschauer wie ein geniales Zusammenspiel und ein geschmeidiges Aufeinandereingehen. Wenn es uns darüberhinaus gelingt, auch Sinnbilder aufzunehmen statt sie (wie es gerade in dramatischen Konfliktsituationen oft reflexartig geschieht) fortzuwischen, gelangen wir zu einem mühelosen Zusammenspiel mit unserem Partner, dessen Eleganz vom Publikum wahrgenommen wird.

      Der Sinn geht also über die Wortbedeutung hinaus. Das wird noch deutlicher, wenn wir bedenken, dass jedes verbale Angebot, ja selbst die Art und Weise, wie jemand dasteht, atmet, handelt, eine emotionale Komponente in sich trägt. Stellen wir uns als Anfangssatz einer Szene folgenden Satz vor:

      „Natürlich, ich gehe heute zur Chefin und bitte sie um eine Gehaltserhöhung.“

      Neutral gesprochen verstehen wir, dass der Sprecher beabsichtigt, heute genau das zu tun, was er sagt. Der Satz könnte eine nonchalante Antwort auf die Bitte sein, sich um die Verbesserung des Haushaltseinkommens zu kümmern. Aber stellen wir uns vor, der Satz wird mit einem ironisch-süffisanten Unterton geäußert. Schon hat das Angebot eine andere Bedeutung. Die eigentlich kommunizierte Botschaft ist nun vielmehr:

      „Ich kann doch nicht so mir-nichts-dir-nichts zu meiner Chefin gehen und sie um eine Gehaltserhöhung bitten.“

      Daraus könnte man schließen, dass die Handlung an sich absurd ist, vielleicht weil der Sprecher Beamter ist oder dass es in dem Satz eigentlich um die Chefin geht, mit der man über solche Dinge gar nicht reden kann.

      Was aber wäre, wenn der Sprecher seiner Partnerin den Kopf streichelt und diese Worte in tröstendem Tonfall äußert? Schon wieder eine komplett neue Szene. Der emotionale Gehalt könnte nun suggerieren, dass die Haushaltslage des Paares verzweifelt ist und der Sprecher nichts unversucht lassen wird, um daran etwas zu ändern.

      Im Alltag tun wir genau das: Wir interpretieren aus Tonfall und Stimmlage eine emotionale Botschaft, für die zwar manche von uns aufnahmebereiter sind als andere, die aber generell mitgehört wird. Einigen Studien zufolge nehmen wir in Alltagsgesprächen sogar den Hauptteil des Gesagten emotional auf. Missverständnisse in Paarbeziehungen laufen oft genau auf die Differenz