Dan Richter

Improvisationstheater


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auf die eine oder andere gute Story, die wir dort sehen.

      Aber was, wenn wir uns künstlerische Ziele gesetzt haben, an denen wir immer und immer wieder scheitern? Was, wenn wir nicht eine Szene, sondern eine Show komplett in den Sand gesetzt haben, wenn Zuschauer, Mitspieler und wir selber davon überzeugt waren, dass die Show einfach übel war? Was, wenn die schlechte Show kein Einzelfall war? Kann man dann nicht seinen Frust ablassen? Darf man dann nicht zornig sein? Können wir nicht mal „unheiter“ scheitern?

      Die Frage ist dann zunächst: Was wollen wir überhaupt? Frustpotential entsteht, wenn wir unsere Ansprüche zu hoch ansetzen.8 Wenn ich als Klavier-Dilettant innerhalb eines halben Jahres so klingen will wie Swjatoslaw Richter, werde ich unter Garantie scheitern. Wenn ich mir aber ein erreichbares Ziel setze, schaffe ich mir schneller Erfolgserlebnisse.

      Für Improtheater-Anfänger ist es oft schwierig, ihre Stärken und Schwächen zu erkennen. Sie lieben vielleicht bestimmte Formate, die sie bei anderen Gruppen gesehen haben und verzweifeln, wenn sie diese nicht so gut umsetzen können. Wenn eure Stärke eher in verbaler Comedy liegt, warum solltet ihr dann auf Teufel-komm-raus musikalische Formate auf die Bühne zwingen, nur weil ihr das bei einer anderen Gruppe toll findet. Nehmt euch die Zeit, die ihr braucht, um ein Format bühnentauglich zu meistern. Aber umgekehrt solltet ihr, wenn die Früchte reif sind, nicht zu lange warten. Das Impro-Format beweist sich auf der Bühne. Gebt dem Format auch eine Chance zu scheitern.

      Akzeptiert, wenn eine Show scheitert. Es gibt keinen Grund, Trübsal zu blasen. Denn in dem Moment, als ihr euch dafür entschieden habt, Improtheater öffentlich aufzuführen, seid ihr einen Pakt mit dem Impro-Teufel eingegangen: Ihr werdet großartige Momente der Kreativität erleben, ihr werdet euch selbst und einander überraschen, aber der Preis dafür ist, immer wieder mal, aus heiterem Himmel zu scheitern – in den Augen eures Publikums, in den Augen eurer Mitspieler oder vor euch selbst.

       2.2Die Falle der Selbst-Etikettierung

      „Ich kann nicht singen.“

      „Ich assoziiere nun mal etwas langsamer.“

      „Im Storytelling bin ich eher schlecht.“

      Wer hat nicht schon mal diesen oder ähnliche Sätze gehört? Das Problem ist, dass uns diese Glaubenssätze einsperren. Selbst wenn wir hier und da mit einem kräftigen „Au ja!“ an den Stäben des Käfigs gerüttelt haben, schrauben wir sie durch solche Selbst-Bezeichnungen wieder fest.

      Nun zeugt es sicherlich von Bescheidenheit und Selbstreflexion, wenn wir von Zeit zu Zeit unsere eigenen Fähigkeiten einer kritischen Revision unterziehen. Schließlich sind wir erst dann in der Lage, an diesen Fähigkeiten zu arbeiten. Aber es ist ganz und gar kontraproduktiv, sich von vornherein in die Position des „So bin ich nun mal“, zu manövrieren. Denn wenn ich so „bin“, dann hülfe ja alles Lernen und Trainieren nichts.

      Manche Impro-Schüler sind dermaßen in dieser Geisteshaltung gefangen, dass sie sich kaum für irgendein neues Spiel, eine Übung oder ein Format einlassen. Man bittet sie auf die Bühne und sie betreten sie mit einer um Mitleid flehenden Miene, die uns sagen soll: „Na, wenn ich unbedingt muss …“ Diese Haltung zu ändern, ist die entscheidende Aufgabe beim Lehren und Lernen von Improtheater.

      Aufgrund schlechter Erfahrungen trägt fast jeder ein bisschen etwas von dieser Haltung mit sich herum:

      „Ich werde nun mal schnell wütend.“

      „In Mathe war ich schon immer schlecht.“

      „Ohne Zigaretten würde ich mich niemals richtig konzentrieren können.“

      Es ist eine Sache, ein Defizit bei sich zu erkennen und daran arbeiten zu wollen. Es ist etwas anderes, dieses Defizit als unabänderliche Charaktereigenschaft zu bezeichnen:

      „Wir sind doch eher eine ruhige Langform-Impro-Gruppe“, wenn der Coach anmerkt, dass die Spieler zu sehr im Nachdenken verharren.

      „Mit klassischem Theater kenne ich mich sowieso nicht aus“, wenn es darum geht, sich mal fünfzig Seiten Shakespeare durchzulesen.

      „Ich will mich nicht verbiegen, sondern authentisch bleiben.“

      Erkenne dich selbst, aber glaube nicht, dass du unveränderbar seist.

       2.3Es gibt keine Fehler – Mach was draus

      Die Grundhaltung beginnt im Kopf. Ich kann jedes Phänomen in dieser Welt offenherzig oder skeptisch betrachten – egal ob einen Satz, den jemand zu mir spricht, einen Wetterumschwung, ein neues Mittagsgericht. Je skeptischer ich bin, umso unwahrscheinlicher ist es, dass ich mit dem Gesagten etwas anfangen kann, den Regentag freudig nutzen werde, mir das Gekostete schmecken wird. Je offener ich ja sage, um so mehr bin ich in der Lage, den Schwung dessen, was mir angeboten wird, auszunutzen.9

      Wenn man es genau bedenkt, kann man im Improtheater gar nichts Falsches sagen; denn wir bringen ja in aller Regel fiktive Figuren und eine fiktive Welt in einem soeben geschaffenen künstlerischen Stil auf die Bühne. Insofern ist Platz für alle möglichen Dinge auf der Bühne, die einem vielleicht im ersten Moment „fehlerhaft“ vorkommen mögen.

      Nehmen wir faktische Unrichtigkeiten: Angenommen, in einer Szene landen Astronauten auf dem Mars und einer von ihnen behauptet, nun endlich den größten Planeten unseres Sonnensystems besiedeln zu wollen. Die reflexhafte Reaktion vieler Impro-Spieler wird darin bestehen, der Figur des Mitspielers Dummheit oder Wahnsinn anzudichten, etwa, dass wir uns in einer Szene befinden, in der die dümmsten Menschen der Erde auf den Mars evakuiert wurden. Aber so wird jedem klar: Alle markieren nun den Satz des Mitspielers als Fehler. Eine gewandtere Variante wäre, das Ganze als Witz des Astronauten umzudefinieren, aber auch hier würde das Scheitern oder Unwissen des Mitspielers markiert. Am elegantesten wäre es, den Satz überhaupt nicht als Problem aufzufassen. Denn selbst wenn der Mars in unserer Welt nicht der größte Planet ist, so kann es doch in der fiktiven Welt auf der Bühne stimmen. Entweder aus künstlerisch Gründen oder weil wir uns in einem Paralleluniversum befinden.

      Es ist die Aufgabe aller Spieler, das Spiel aufrechtzuerhalten, statt Szenen oder Dialoge durch die Markierung oder umständliche Rechtfertigung von „Fehlern“ zu verlangsamen oder gar zu stoppen.10

      Wir allein legen fest, was auf der Bühne stattfindet. Und wenn dabei eine Form entsteht, die niemand sonst bisher gespielt hat, so kann das wunderbar oder auch grottig anzusehen sein. Aber ein „Fehler“ ist es sicherlich nicht.

      Was Außenstehenden am Improtheater-Spielen so ungewöhnlich erscheint, ist der Umstand, dass wir andauernd mit seltsamen und unvorhersehbaren Angeboten konfrontiert sind, auf die wir reagieren müssen. Das wirkt dann oft so, als seien die Reaktionen wahnsinnig originell, als würden die Spieler pausenlos mit neuen, verrückten Ideen um sich werfen. Dabei geschieht hier in der Regel etwas ganz anderes: Auf den unerwarteten Satz meines Mitspielers reagiere ich mit meiner Offensichtlichkeit. Ich reagiere und führe den Gedanken oder das Spiel mit Gedanken in einer für mich offensichtlichen Weise fort. Aber da diese Offensichtlichkeit eben nur meine Offensichtlichkeit ist, wirkt sie auf andere originell. Sie wird meinen Mitspieler vielleicht überraschen und ihn zu einer Reaktion die für ihn offensichtlich ist, herausfordern.

      Natürlich können Szenen so schlecht sein, dass weder die Spieler noch die Zuschauer Freude daran hatten. Damit müssen wir als Improvisierer leben, und ich kenne keinen Impro-Spieler, der durch diese Hölle noch nicht gegangen wäre. Es kann sein, dass wir uns gegenseitig unterstützt haben, unsere Sätze und Gedanken weitergeführt haben, aber das alles endete im großen Nichts. Ein Trost mag sein, dass es im Laufe der Zeit immer seltener passiert. Aber es hat nichts mit „Richtig“ oder „Falsch“ zu tun. Das Einzige, was euch auch dann noch bleibt, ist, euer Scheitern heiter zu nehmen.