Leo Tolstoi

Anna Karenina


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ma chère. Sie hatten meinen Mann und mich zum Diner eingeladen und sagten mir bei Tische, daß eine Sauce, die es gab, tausend Rubel gekostet habe«, erwiderte die Fürstin Mjachkaja mit lauter Stimme, da sie bemerkte, daß die ganze Gesellschaft ihr zuhörte. »Und dabei war es eine ganz scheußliche Sauce, so etwas Grünes. Wir mußten die Einladung erwidern, und da habe ich eine Sauce für fünfundachtzig Kopeken gemacht, und alle waren damit sehr zufrieden. Ich kann keine Saucen für tausend Rubel auf den Tisch bringen.«

      »Sie ist einzig!« sagte die Wirtin.

      »Bewundernswert!« fügte jemand hinzu.

      Der Erfolg, den die Fürstin Mjachkaja mit ihrem Reden hervorbrachte, war stets bedeutend und stets der gleiche, und das Geheimnis dieses Erfolges bestand darin, daß sie zwar manchmal etwas taktlos, wie eben jetzt, aber immer schlicht und einfach, mit Sinn und Vernunft redete. In der Gesellschaft, in der sie sich bewegte, brachten solche Äußerungen stets die Wirkung eines geistreichen Scherzes hervor. Die Fürstin Mjachkaja selbst konnte gar nicht begreifen, woher diese Wirkung kam; aber sie wußte, daß sie sie hervorrief, und nutzte dies aus.

      Da alle, während die Fürstin Mjachkaja sprach, ihr zugehört hatten und das Gespräch in der Gruppe um die Frau des Gesandten aufgehört hatte, so machte die Hausfrau einen Versuch, die ganze Gesellschaft zu einer einzigen Gruppe zusammenzuziehen, und wandte sich an die Frau des Gesandten:

      »Mögen Sie wirklich keinen Tee? Sie sollten sich zu uns herübersetzen.«

      »Nein, wir fühlen uns hier sehr wohl«, erwiderte die Frau des Gesandten lächelnd und fuhr in dem begonnenen Gespräche fort.

      Dieses Gespräch war sehr vergnüglich. Sie waren gerade dabei, das Kareninsche Ehepaar zu kritisieren, ihn sowohl wie sie.

      »Anna hat sich seit ihrer Moskauer Reise sehr verändert. Sie hat jetzt etwas ganz Sonderbares in ihrem Wesen«, sagte eine ihrer Freundinnen.

      »Die Veränderung besteht hauptsächlich darin, daß sie Alexei Wronski als ihren Schatten mitgebracht hat«, bemerkte dazu die Frau des Gesandten.

      »Nun, was ist dabei?« sagte einer der Herren. »Es gibt ein Märchen: der Mann ohne Schatten; da hat ein Mann seinen Schatten verloren, und das ist bei ihm die Strafe für irgend etwas, was er getan hat. Ich habe nie recht begreifen können, wie das eine Strafe sein kann. Aber für eine Frau muß es wohl unangenehm sein, keinen Schatten zu haben.«

      »Ja, aber die Frauen mit Schatten nehmen gewöhnlich ein schlechtes Ende«, versetzte Annas Freundin.

      »Warten Sie nur, Sie werden noch den Zungenkrebs oder so etwas Ähnliches bekommen!« rief auf einmal die Fürstin Mjachkaja, die diese Worte gehört hatte. »Frau Karenina ist eine prächtige Frau. Ihren Mann kann ich nicht leiden, aber sie habe ich sehr gern.«

      »Warum können Sie ihn denn nicht leiden?« fragte die Frau des Gesandten. »Er ist doch ein so bedeutender Mann. Mein Mann sagt, solche Staatsmänner wie ihn gebe es nicht viele in Europa.«

      »Mein Mann sagt zu mir dasselbe, aber ich glaube es nicht«, versetzte die Fürstin Mjachkaja. »Wenn unsere Männer uns nicht ihre Ansichten vortrügen, dann würden wir die Dinge und Menschen so sehen, wie sie wirklich sind; und Alexei Alexandrowitsch ist meiner Meinung nach einfach dumm. Das sage ich nur ganz leise. – Nicht wahr? Wie da alles auf einmal klar wird! Früher, als man von mir forderte, ich sollte ihn klug finden, da habe ich immer seine Klugheit zu entdecken gesucht und schließlich gedacht, ich müßte doch selbst dumm sein, da ich seine Klugheit gar nicht herausfinden könne. Aber sobald ich mir sagte: ›Er ist dumm‹, aber nur ganz leise, da wurde auf einmal alles klar. Hab ich nicht recht?«

      »Wie boshaft Sie heute sind!«

      »Ganz und gar nicht. Es bleibt mir kein anderer Ausweg: einer von uns beiden muß dumm sein. Nun, und Sie werden ja wissen, von sich selbst kann man das doch nie glauben.«

      »Niemand ist zufrieden mit seinem Vermögen, und jedermann ist zufrieden mit seinem Verstande«, zitierte der Diplomat einen französischen Vers.

      »Sehen Sie wohl, sehen Sie wohl, ganz richtig!« wandte sich die Fürstin Mjachkaja lebhaft ihm zu. »Aber was die Hauptsache ist: ich lasse auf Anna nichts kommen. Sie ist eine ganz prächtige, liebe Frau. Was soll sie dagegen tun, wenn alle Menschen sich in sie verlieben und ihr wie ihr Schatten folgen?«

      »Aber es kommt mir ja auch gar nicht in den Sinn, sie zu verurteilen«, suchte sich Annas Freundin zu rechtfertigen.

      »Wenn uns niemand wie ein Schatten folgt, so beweist das noch nicht, daß wir ein Recht haben, über andere den Stab zu brechen.«

      Nachdem die Fürstin Mjachkaja so Annas Freundin gebührendermaßen abgestraft hatte, stand sie auf und ging zusammen mit der Frau des Gesandten zum Tische hin, wo ein allgemeines Gespräch über den König von Preußen im Gange war.

      »Wer ist denn da bei Ihnen eben verlästert worden?«

      »Die Karenins. Die Fürstin hat uns ein Charakterbild von Alexei Alexandrowitsch entworfen«, antwortete die Frau des Gesandten und setzte sich lächelnd an den Tisch.

      »Schade, daß wir das nicht gehört haben!« erwiderte die Hausfrau und blickte nach der Eingangstür. »Ah, da sind Sie ja endlich!« rief sie lächelnd dem eintretenden Wronski zu.

      Wronski war nicht nur mit allen, die er da vorfand, bekannt, sondern kam auch täglich mit ihnen allen zusammen, und darum trat er mit jener ruhigen Haltung ein, mit der man in ein Zimmer zu Leuten hereinkommt, die man soeben erst für einen Augenblick verlassen hat.

      »Wo ich herkomme?« antwortete er auf die Frage der Frau des Gesandten. »Da hilft nun schon nichts, ich muß es gestehen: aus der komischen Oper im Französischen Theater. Ich bin wohl schon hundertmal dort gewesen und immer mit neuem Vergnügen. Es ist ein wahrer Genuß! Ich weiß, ich sollte mich schämen; aber in der Oper schlafe ich ein, während ich in der komischen Oper bis zum letzten Augenblick aushalte und mich himmlisch unterhalte. Heute ...«

      Er nannte eine französische Schauspielerin und wollte etwas über sie erzählen, aber die Frau des Gesandten unterbrach ihn mit scherzhaft geheucheltem Entsetzen: »Bitte, erzählen Sie uns nichts von diesen abscheulichen Sachen!«

      »Nun, dann will ich es unterlassen, und das kann ich ja um so eher, da diese abscheulichen Sachen Ihnen allen bekannt sind.«

      »Und alle würden die komische Oper genauso besuchen wie jetzt die Oper, wenn es nur Mode wäre«, fügte die Fürstin Mjachkaja hinzu.

      7

      An der Eingangstür wurden Schritte vernehmbar, und die Fürstin Betsy, die wußte, daß es Frau Karenina war, warf einen Blick auf Wronski. Er sah nach der Tür hin, und sein Gesicht zeigte einen neuen, seltsamen Ausdruck. Freudig, unverwandt und doch auch zugleich schüchtern blickte er die Eintretende an und erhob sich langsam. Anna trat in den Salon. Sie hielt sich, wie immer, sehr gerade und legte, ohne die Richtung ihres Blickes zu ändern, mit ihrem schnellen, leichten, festen Schritte, durch den sie sich von dem Gange anderer vornehmer Damen unterschied, die kleine Entfernung zurück, die sie von der Hausfrau trennte, drückte ihr die Hand, lächelte und sah sich mit diesem selben Lächeln nach Wronski um. Wronski verbeugte sich tief und schob ihr einen Stuhl heran.

      Sie antwortete nur mit einer Neigung des Kopfes, errötete und machte ein strenges Gesicht. Aber im nächsten Augenblick nickte sie auch schon rasch ihren Bekannten zu, drückte die Hände, die sich ihr entgegenstreckten, und wandte sich zur Hausfrau:

      »Ich war bei der Gräfin Lydia und wollte schon früher zu Ihnen kommen, habe mich aber dort etwas zu lange aufgehalten. Sir John war bei ihr. Ein sehr interessanter Mann.«

      »Ah, das ist der Missionar?«

      »Ja, er erzählte in fesselnder Weise von dem Leben in Indien.«

      Das Gespräch, das durch Annas Ankunft unterbrochen war, flackerte wieder auf wie die Flamme einer im Zugwinde stehenden Lampe.

      »Sir John! Jawohl, Sir John. Ich habe ihn