seiner Frau einbog, ›was ist denn eigentlich geschehen? Nichts. Sie hat lange mit ihm gesprochen. Was ist dabei? Warum soll nicht eine Dame in Gesellschaft mit jemandem reden dürfen? Und deswegen eifersüchtig zu sein, das heißt sie und sich selbst erniedrigen‹, sagte er zu sich, während er in ihr Zimmer eintrat. Aber diese Erwägung, die früher bei ihm so stark ins Gewicht gefallen war, hatte jetzt für ihn gar kein Gewicht und gar keine Bedeutung mehr. An der Tür des Schlafzimmers wandte er sich wieder um nach dem Salon zu; aber kaum kam er wieder in den dunklen Salon hinein, so war es, als ob ihm eine Stimme zuflüstere, die Sache verhalte sich doch anders, und wenn es anderen Leuten aufgefallen sei, so folge daraus, daß da doch etwas vorliege. Und dann im Eßzimmer sagte er wieder zu sich: ›Ja, es ist unumgänglich nötig, einen Entschluß zu fassen und der Sache ein Ende zu machen; ich muß ihr meine Ansicht darüber sagen.‹ Und wieder im Salon, ehe er in Annas Zimmer einbog, fragte er sich: ›Welchen Entschluß soll ich denn fassen?‹ Und dann fragte er sich: ›Was ist denn geschehen?‹ und antwortete darauf: ›Nichts‹, und erinnerte sich daran, daß die Eifersucht ein Gefühl sei, durch das man seine Frau herabwürdige; aber wenn er dann wieder im Salon war, kam er doch zu der Überzeugung, daß irgend etwas vorgefallen sei. Seine Gedanken bewegten sich, ebenso wie sein Körper, in einem geschlossenen Kreise, ohne auf etwas Neues zu stoßen. Er bemerkte das, rieb sich die Stirn und setzte sich in Annas Zimmer.
Während er dort auf ihren Tisch blickte, auf dem ein Löscher von Malachit und ein angefangener Brief lagen, nahmen seine Gedanken plötzlich eine andere Richtung. Er begann an Anna selbst zu denken und daran, was sie wohl denken und empfinden möge. Zum ersten Male stellte er sich ihr persönliches Leben, ihre Gedanken, ihre Wünsche vor Augen, und der Gedanke, daß sie ein eigenes, besonderes Leben haben könne und müsse, erschien ihm so furchtbar, daß er sich beeilte, ihn wieder zu verscheuchen. Das war eben jener Abgrund, in den hineinzublicken ihn graute. Sich in die Gedanken und Gefühle eines anderen Wesens zu versetzen, diese geistige Tätigkeit war ihm völlig fremd. Er hielt die geistige Tätigkeit für ein schädliches und gefährliches Spiel der Phantasie.
›Und das Peinlichste ist‹, dachte er, ›daß diese sinnlose Aufregung gerade jetzt auf mich einstürmt, gerade jetzt, da sich mein Werk dem Abschluß nähert (er dachte an ein Unternehmen, an dem er jetzt arbeitete) und da ich vollständiger Ruhe und meiner gesamten geistigen Kräfte bedarf. Aber was ist zu machen? Ich gehöre nicht zu den Menschen, die Unruhe und Aufregung geduldig ertragen und nicht die Kraft haben, ihnen ins Gesicht zu blicken.‹
»Ich muß gründlich überlegen, einen Entschluß fassen und mit der Sache zu Ende kommen«, sagte er laut vor sich hin.
›Nach ihren Gefühlen zu fragen, danach zu fragen, was in ihrer Seele vorgegangen ist und vielleicht noch vorgehen kann, das ist nicht meine Sache; das ist eine Angelegenheit ihres Gewissens und gehört in das Gebiet der Religion‹, sagte er bei sich und empfand eine Art von Erleichterung bei dem Bewußtsein, daß er nun gleichsam die Abteilung des Gesetzbuches gefunden habe, unter die der neu aufgetauchte Umstand falle.
›Somit‹, sagte Alexei Alexandrowitsch zu sich selbst, ›sind die Fragen nach ihren Gefühlen und so weiter Fragen, die nur ihr eigenes Gewissen angehen, mit dem ich naturgemäß nichts zu tun habe. Meine eigene Obliegenheit ist mir klar vorgeschrieben. Als Haupt der Familie bin ich der, der verpflichtet ist, sie, die Ehefrau, zu leiten, und trage daher auch einen Teil der Verantwortung; es liegt mir ob, auf die Gefahr, die ich sehe, hinzuweisen, zu warnen und sogar von der mir zustehenden Macht Gebrauch zu machen. Es ist meine Pflicht, mit ihr zu sprechen.‹
Und nun ordnete sich in seinem Kopfe alles klar und übersichtlich, was er seiner Frau jetzt sagen wollte. Während er so überlegte, was er ihr sagen werde, überkam ihn ein Bedauern, daß er so nur zum Hausgebrauche, ohne damit die öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen und öffentliche Anerkennung zu finden, seine Zeit und seine Geisteskräfte aufwenden müsse; aber trotzdem bildeten sich in seinem Kopfe klar und bestimmt, wie zu einem amtlichen Vortrage, die Form und der logische Gang der bevorstehenden Rede heraus. ›Folgendes sind die zu erwähnenden und zu erörternden Stücke: erstens: Darlegung der hohen Bedeutung der gesellschaftlichen Meinung und des gesellschaftlichen Anstandes; zweitens: religiöse Darlegung der Bedeutung der Ehe; drittens: wenn nötig, Hinweis auf das möglicherweise für unseren Sohn daraus hervorgehende Unglück; viertens: Hinweis auf ihr eigenes Unglück.‹ Und dabei schob Alexei Alexandrowitsch, mit den Handflächen nach unten, die Finger durcheinander, und die Finger knackten in den Gelenken.
Diese Bewegung, eine schlechte Gewohnheit, die Hände zusammenzulegen und mit den Fingern zu knacken, übte auf ihn immer eine beruhigende Wirkung aus und verhalf ihm zu jenem seelischen Gleichgewicht, das er gerade jetzt so notwendig brauchte. Vor der Haustür ließ sich das Geräusch eines vorfahrenden Geschirrs vernehmen. Alexei Alexandrowitsch blieb mitten im Salon stehen.
Weibliche Schritte kamen die Treppe herauf. Alexei Alexandrowitsch stand da, bereit, seine Rede zu beginnen, drückte seine verschränkten Finger gegeneinander und wartete, ob noch einer knacken werde. Ein Gelenk knackte noch.
Schon bei dem Geräusche der leichten Schritte auf der Treppe hatte er die Nähe seiner Frau gefühlt, und wiewohl er mit seiner Rede zufrieden war, war ihm doch vor der bevorstehenden Auseinandersetzung bange.
9
Anna trat ein; sie hielt den Kopf gesenkt und spielte mit den Quasten ihres Baschliks. Ihr Gesicht strahlte von einem hellen Glanze; aber dieser Glanz war nicht heiter; er erinnerte an den furchtbaren Schein einer Feuersbrunst mitten in dunkler Nacht. Als Anna ihren Mann erblickte, hob sie den Kopf in die Höhe und lächelte, wie aus dem Schlafe erwachend, ihm zu.
»Du noch nicht im Bett? Nun, das ist ein Wunder!« sagte sie, warf den Baschlik ab und ging, ohne stehenzubleiben, weiter nach ihrem Ankleidezimmer. »Es ist Zeit, Alexei Alexandrowitsch«, sagte sie, als sie schon fast aus der Tür war.
»Anna, ich habe mit dir zu sprechen.«
»Mit mir?« erwiderte sie erstaunt, trat von der Tür wieder zurück und sah ihn an. »Was gibt es denn? Worüber?« fragte sie und setzte sich hin. »Nun, dann können wir ja miteinander sprechen, wenn es nötig ist. Aber wir täten besser, zu schlafen.«
Anna redete, was ihr gerade in den Sinn kam, und war, während sie sich reden hörte, selbst erstaunt darüber, daß sie so gut zu lügen verstand. Wie harmlos und natürlich klangen ihre Worte, und wie glaubhaft war es, daß sie sich einfach müde fühlte! Sie fühlte sich in einen undurchdringlichen Panzer der Lüge gehüllt. Sie hatte die Empfindung, als ob eine unsichtbare Kraft ihr beistünde und sie aufrechterhielte.
»Anna, ich muß dich warnen«, sagte er.
»Warnen?« erwiderte sie. »Wovor?«
Sie machte ein so harmloses, heiteres Gesicht, daß jemand, der sie nicht so genau kannte wie ihr Mann, nichts Unnatürliches an ihr hätte bemerken können, weder am Klange ihrer Worte noch an deren Inhalt. Aber für ihn, der sie genau kannte und wußte, daß, wenn er sich einmal auch nur fünf Minuten später hinlegte als gewöhnlich, sie es bemerkte und ihn nach dem Grunde fragte, für ihn, der wußte, daß sie alle ihre Freuden, ihre Lust und ihren Kummer immer sofort mit ihm teilte, für ihn war jetzt von vielsagender Bedeutung die Wahrnehmung, daß sie seinen Zustand nicht bemerken und daß sie über sich selbst kein Wort sagen wollte. Er sah, daß die Tiefen ihrer Seele, die früher immer offen vor seinem Blick dagelegen hatten, ihm jetzt verschlossen waren. Und damit nicht genug: an ihrem Ton merkte er, daß sie darüber gar nicht einmal verlegen war, sondern ihm gleichsam geradezu sagte: ›Ja, meine Seele ist für dich verschlossen, und das soll so sein und wird künftig so bleiben.‹ Jetzt hatte er eine Empfindung, wie wenn jemand nach Hause zurückgekehrt ist und sein Haus verschlossen findet. ›Aber vielleicht ist der Schlüssel noch zu finden‹, dachte Alexei Alexandrowitsch.
»Ich möchte dich davor warnen«, sagte er leise, »aus Unvorsichtigkeit und Leichtsinn den Leuten Anlaß zu Gerede über dich zu geben. Deine heutige gar zu lebhafte Unterhaltung mit dem Grafen Wronski (er sprach diesen Namen mit fester, ruhiger Stimme in aller Deutlichkeit aus) hat Aufsehen erregt.«
Während er das sagte, blickte er in ihre