Madlen Schaffhauser

Machtspiel


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der sich unerträglich verspannt hatte, während sie die Unterlagen durchsahen. Er wagte einen kurzen Blick auf seine Armbanduhr, die bereits nach zwölf Uhr anzeigte. Ihm war gar nicht aufgefallen, wie lange er und Raul vor den Akten sassen und diese studiert hatten, so schnell raste die Zeit an ihnen vorbei. Zeit, die sie momentan nicht vorrätig hatten.

      „Hoffentlich kommen wir mit diesen Namen einen Schritt weiter. Es kann doch nicht sein, dass Dana einfach so verschwunden sein soll. Ich habe niemandem etwas Böses getan und ich mache nur meinen Job.“

      „Wie du weisst, kann man meistens nicht verstehen, warum solche Taten begangen werden. Ich würde dir gern irgendwas Aufmunterndes sagen, aber mir fehlen selbst die Worte. Ich kann dir nur versprechen, dass wir alles daran setzen werden, um deine Frau schnellstmöglich zu finden.“

      „Ich danke dir, Lunardi.“ brachte Finn mit rauer Stimme hervor.

      Irgendwann fing der Staatsanwalt zögernd an zu sprechen. „Ich frage mich ständig, wie der Finger in meinen Kühlschrank gekommen ist. Dazu lag er noch auf einem Teller aus unserem Haushalt. Mit was für einem Verrückten haben wir es hier zu tun?“

      „Das möchte ich auch gern wissen.“

      „Ich habe heute Morgen etwas zu Trinken und zu Essen herausgenommen. Da lag weit und breit nichts so unappetitliches im Kühlschrank.“

      „Es muss jemand herein gekommen sein, als mindestens du im Haus gewesen bist. Die Alarmanlage sowie die Kameras waren immer noch ausgeschaltet. Zudem liess Chloe das Gartentor offen, als sie gekommen ist. Also kein Problem um unbemerkt ins Haus zu kommen.“ stellte Raul fest. „Wie konnte sie eigentlich ins Haus ohne dass du ihr öffnen musstest?“

      „Sie hat einen Schlüssel. Wenn Dana und ich in die Ferien fahren oder ein verlängertes Wochenende im Tessin verbringen, giesst Chloe unsere Pflanzen. Und ausserdem verbringt sie viel Zeit mit ihrer Schwester hier. Also fanden wir, dass sie den Schlüssel gleich behalten soll.“

      Beide schwiegen einen kurzen Moment, bis Raul weiterfuhr. „Hast du dir überlegt, ob in den letzten Tagen irgendwas anders war als sonst? Habt ihr euch beobachtet gefühlt oder hat sich Dana anders benommen?“

      „Wie meinst du das?“

      „War sie nervös?“

      „Nein.“

      „Eigenartige Telefonate erhalten?“

      „Nein.“

      „Seltsamen Besuch erhalten?“

      Wieder verneinte Finn. „Nicht das ich wüsste.“

      Der Kriminalpolizist schaute auf seine Uhr und stellte fest, dass es schon fast dreizehn Uhr war. Sein Magen knurrte leise vor sich hin. Seit dem frühen Morgen hatte er nichts mehr zu sich genommen und Finn mit grosser Wahrscheinlichkeit auch nicht.

      „Wollen wir irgendwas zu Essen bestellen?“

      „Keine schlechte Idee. Ich habe zwar gar keinen Hunger, aber uns würde eine kleine Stärkung gut tun.“

      „Sollen wir uns eine Pizza kommen lassen?“

      „Darum kümmere ich mich.“

      „Ich werde ums Haus gehen und mich ein wenig umsehen. Möglicherweise haben wir etwas übersehen.“

      Finn bestellte für sich und Raul zu essen. Danach ging er ins Arbeitszimmer und machte sich Notizen, was Dana und er in den letzten Tagen alles erlebt hatten und wo sie unterwegs waren, während Lunardi draussen nach einer Fährte suchte.

      Nach einer guten halben Stunde tauchte schon der Kurier mit der Pizza auf dem Grundstück von Finn auf. Raul kam gerade hinter dem Haus hervor, als der Pizzawagen den Weg vom Tor hinauf fuhr. Finn stand bereits am Eingang und erwartete den Kurier. Erst jetzt bemerkte Raul, wie niedergeschlagen Finn aussah. Er wirkte in den letzten vergangenen Stunden um einige Jahre gealtert zu sein. Bei all den Geschehnissen war das auch kein Wunder.

      Der Staatsanwalt bezahlte den Pizzalieferanten, woraufhin dieser in sein Wagen stieg und seine Auslieferungen weiterführte. Die zwei Freunde gingen gemeinsam ins Innere des Hauses.

      „Ist es dir recht, wenn wir draussen essen? Ich muss an die frische Luft. Die Räume engen mich irgendwie ein.“ meinte Finn.

       „Na klar.“

      Sie holten sich in der Küche Teller, Besteck und was zu trinken. Danach begaben sie sich

      durch breite, weisse Doppeltüren auf die Terrasse hinaus.

      Mitten auf der Terrasse stand ein runder Tisch und um ihn herum passende Korbsessel, auf denen sie Platz nahmen. Finn stocherte mehr auf der Pizza herum, als dass er davon ass. Ihm war einfach nicht nach essen zumute. Er fühlte sich schwach und müde, wie noch nie zuvor.

      „Ich merke soeben, wie sehr mir Dana fehlt. Warum muss zuerst dem Menschen, den man über alles liebt, so was passieren, damit man merkt, wie sehr man ihn braucht und ohne ihn nicht leben kann.“ Finn stütze seinen Kopf auf seinen Händen ab und fing geräuschlos an zu weinen.

      Raul hatte seinen besten Kumpel noch nie so hilflos erlebt, wie in diesem Moment. Über den Tisch ergriff er Finns Arm und drückte ihn mit einem leichten Druck. Sie blieben eine Weile so dasitzen und Raul wartete ab, bis es seinem Freund wieder besser ging.

      „Finn, ich muss zurück zur Kripo. Kommst du alleine klar?“

      „Es wird schon gehen.“

      „Was hast du jetzt noch vor?“

      „Mal schauen. Geh du ruhig, aber melde dich bitte, sobald du etwas erfahren hast.“

      Sie erhoben sich und Raul verliess die Terrasse über den Garten. Er stieg in sein Auto, das vor dem Haus stand und fuhr los.

      Eigentlich hätte der Staatsanwalt an einigen seiner Fälle weiterarbeiten müssen, doch so sehr er sich auch bemühte, konnte er sich momentan nicht auf seine Arbeit konzentrieren. Also machte er sich auf den Weg an den Vierwaldstättersee, um nachzusehen, wo Chloe blieb. Nach einer Weile kam er an einer Reihe Bänke vorbei, die fast alle besetzt waren. Es war ein ruhiger Platz, der einen zum Verweilen einlud und einen schönen Blick auf den See bot. Weiter vorne sah er eine Frau, auf einer dieser Bänke sitzen, die ihm bekannt vorkam. Als er näher kam, erkannte er Chloe, die völlig energielos, dasass. Die letzten Meter lief er nicht mehr, sondern rannte auf sie zu.

      „Chloe!“ rief er.

      Sie blickte mit Tränen verschleierten Augen zu Finn auf. Ohne Begrüssung oder sonst ein Wort nahm er neben seiner Schwägerin Platz und legte den Arm um ihre Schultern. Sie sassen, frei von jeglichem Zeitgefühl, schweigend nebeneinander und sahen aufs Wasser hinaus.

      Erst jetzt entdeckte er die gelbe Strickjacke auf ihrem Schoss.

      „Was ist das?“ fragte Winter und starrte weiter auf Chloes Hände, die die Jacke fest umklammert hielten.

      Verdutzt sah sie ihn an. „Weisst du das nicht?“

      „Nein. Sollte ich?“

      „Weisst du denn nicht, was Dana gestern Abend anhatte?“

      „Nein. Raul hat mich auch schon danach gefragt. Ich weiss es leider nicht.“

      „Warum nicht?“

      „Ich habe sie gestern nicht mehr gesehen, bevor du sie abgeholt hast.“

      „Hattest du am Nachmittag nicht frei?“

      „Doch. Aber ich musste dann doch nochmals ins Büro.“

      „Hattet ihr darum einen Streit?“

      „Nein. Warum weisst du davon?“

      „Warum dann?“ sie blieb hartnäckig.

      „Ich möchte nicht darüber reden?“

      „Kann es