berühren? Mein ganzer Körper fängt an zu zittern und ich kann nichts dagegen unternehmen. Hoffentlich bemerkt es Dr. Stevens nicht, wie ich mich anspanne und mich kaum getraue Luft zu holen, während er mein Kopfteil nach unten lässt.
„Entspannen Sie sich. Ich taste nur kurz die verletzten Stellen ab. Sagen Sie mir, wenn es Ihnen wehtut.“
Als ich die Krankenschwester neben meinem Bett bemerke, kann ich mich von meiner inneren Anspannung ein klein wenig befreien.
Er schiebt meinen schwarzen, lockeren Pullover nach oben und begutachtet die blauen Flecken, die auf dem ganzen Körper verteilt, zu sehen sind. Am liebsten würde ich laut herausschreien, er solle seine Finger von mir lassen, als er sie behutsam auf meine Haut legt.
„Autsch!“ Verdammt, tut das weh.
„Entschuldigung.“ Dr. Stevens schiebt mein Oberteil wieder nach unten und sieht mich mit einem überaus bemitleidendem Blick an. „So wie es scheint, braucht die Heilung einiges länger, als ich erwartet habe.“
„Und was soll das jetzt bedeuten?“
„Sie müssen noch mindestens drei Tage hier bleiben.“
Oh nein. Nicht auch das noch. Ich möchte in meine eigenen vier Wände zurück.
„Aber ich kann doch zu Hause genauso gut in meinem Bett liegen, wie hier.“
„Wohnen Sie mit jemandem zusammen?“
„Nein.“ Meine Stimme fängt leicht an zu beben. Wieder muss ich gegen die Tränen ankämpfen. Ich hatte einen Freund, der mich misshandelt hat und von dem ich schwanger war. Jetzt, jetzt bin ich ganz alleine.
„Hier ist rund um die Uhr jemand für Sie da. Machen Sie einen kleinen Spaziergang in unserem Park. Oder gehen Sie ins Café und bestimmt kommt Ihre Verwandtschaft Sie besuchen. Sie werden sehen, die Zeit hier vergeht ganz schnell.“
„Bei diesem scheusslichen Regen und mit der Krücke habe ich keine Lust hinauszugehen.“
„Die Sonne wird sich morgen wieder von ihrer schönsten Seite zeigen. Wie sieht es mit ihren Erinnerungen aus? War Frau Christensen schon bei Ihnen?“
Mein Herz setzt einen kurzen Moment aus. Was soll ich ihm bloss erzählen? Ich starre auf meine Beine, die in eine lockere Trainerhose gekleidet sind. Die Wahrheit?
„Sie war gestern hier und kommt morgen wieder, um ein paar Gedächtnisübungen zu machen.“ Wenigstens musste ich ihn so nicht belügen. Aber kann ich Dr. Christensen etwas vorspielen?
„Ich wünsche Ihnen viel Erfolg morgen. Ich werde am Donnerstag wieder nach Ihnen sehen.“
Der Arzt verabschiedet sich von mir und verschwindet im Flur.
„Ich bringe Ihnen in wenigen Minuten das Mittagessen. Brauchen Sie noch irgendwas?“ Vor Schreck entflieht mir beinahe ein Schrei. Obwohl ich sie die ganze Zeit gesehen habe, habe ich ihre Anwesenheit vollständig verdrängt.
„Danke, nein.“
„Sie sehen bedrückt aus? Die paar Tage, die Sie hier verbringen müssen, gehen schnell vorüber. Sie werden schon sehen. Und Frau Christensen ist wahrhaftig eine Spezialistin auf ihrem Gebiet. Sie kann Ihnen bestimmt Erinnerungen von Ihrem Unfall hervorlocken.“
Wenn die Krankenschwester wüsste, was mich in Wirklichkeit belastet, würde Sie nicht mehr so unbeschwert reagieren. Warum erzähle ich eigentlich niemandem die Wahrheit darüber, was Noah mir angetan hat? Schäme ich mich dafür? Oder habe ich Angst davor, dass er nochmals auf mich losgehen könnte?
„Sie haben bestimmt recht.“ Ich möchte, dass sie mich alleine lässt und schaue sie eindringlich an. Ich sehe ihr nach, wie sie mit schnellen Schritten aus dem Zimmer schreitet, wobei ich ihre schwarzen Haare, die zu einem Pferdeschwanz zusammen gebunden waren, hin und her wippen sehe. Gleich darauf kehrt sie mit meinem Essen zurück und verabschiedet sich mit wenigen Worten.
Ich sitze am Tisch und stochere lustlos in meinem Teller herum. Wenngleich mein Magen zu rebellieren versucht, bringe ich keinen Bissen herunter.
Die Faust, die sich um mein Herz gelegt hat, drückt immer mehr zu. Mich ergreift das Gefühl, als würde mir das Leben herausgerissen. Ich möchte nicht ständig an das Unglück denken, das mir widerfahren ist. Wann kann ich endlich wieder ein ungetrübtes Leben führen?
Mit dreissig habe ich mein Leben wahrlich anders vorgestellt. Ich dachte einst, bis dahin wäre ich verheiratet und hätte Kinder. Kein bisschen ist von all dem in Erfüllung gegangen. Wenigstens habe ich einen Beruf, den ich liebend gerne ausübe. Nun bleibt mir wohl nichts anderes übrig, als mich meinem Job voll und ganz hinzugeben. Etwas anderes wird es für mich nicht mehr geben. Bei diesem Gedanken kullern mir schon wieder Tränen über meine Wangen. Ich bin über mich selbst enttäuscht, wie ich in so einer kurzen Zeit ein völliges Frack werden konnte. Ich war immer gut gelaunt und hatte ein enormes Selbstwertgefühl. Wo ist all das hin? Ich spüre von all dem nichts mehr in mir. Ich habe keinen Grund fröhlich oder glücklich zu sein. Wenn jemand etwas zu laut mit mir spricht, zucke ich gleich zusammen und bebe vor Angst. Kein Stolz, keine Würde scheint geblieben zu sein.
Einen Blick aus dem Fenster zeigt mir, dass sich immerhin das Wetter aufgehellt.
Ich muss eingeschlafen sein, denn draussen scheint die Sonne und blendet mich mit ihren hellen Strahlen. Sofort beschliesse ich ein wenig in den Krankenhauspark zu gehen. Ich wackle ins Bad und putze mir kurz die Zähne. Gerade als ich mein Buch in meine Handtasche packen möchte, klopft es an die Tür, woraufhin sie vorsichtig geöffnet wird.
„Ich habe gehofft, Sie hier anzutreffen.“
Diesen Besuch hätte ich nie im Leben erwartet. Ich schnappe nach Luft und gaffe, etwas aus der Fassung gebracht, zu ihm hinüber. Alexander steht an den Türrahmen gelehnt da und sieht mich mit seinem anziehendem Lächeln, das seine makellosen Zähne freigibt, an. Ich bin zu keiner Erwiderung fähig und starre weiterhin wortlos in seine Augen.
„Ich möchte nicht aufdringlich sein, aber möchten Sie mit mir in den Park gehen?“
Eigentlich wollte ich alleine sein. Mich meinen wirren Gedanken und Gefühlen hingeben. Jedoch habe ich das mittlerweile genug getan, oder? Schon seit mehreren Tagen liege ich nun in diesem Krankenhaus und hatte reichlich Zeit, um all das was geschehen ist, zu verdauen. Ein wenig Ablenkung und dann noch mit so einem charmantem Typen, wie Alexander, zusammen zu sein, sollte ich mir vielleicht nicht entgehen lassen. Ich nehme meine Tasche und die Krücke zur Hand. „Da wollte ich sowieso hin.“ Ich kann in seinem Gesicht, für einen winzigen Augenblick, erkennen, dass er erstaunt über meine Antwort ist, sich aber gleich wieder fassen kann. Ein kleines Schmunzeln kann ich nicht verkneifen, sehe jedoch zu Boden, dass er es nicht sehen kann.
„Soll ich Sie stützen?“
„Nein, geht schon.“
Beim Aufenthaltsraum der Krankenschwester halte ich an und teile einer Pflegerin mit, dass ich mich draussen aufhalte. Schweigend gehen Alexander und ich nebeneinander weiter. Erst als wir uns unter freiem Himmel befinden, bricht er die Stille zwischen uns.
„Was ist Ihnen widerfahren, dass Sie in diesem Krankenhaus landeten?“ Offensichtlich ist ihm diese Frage nicht leichtgefallen, denn er spielt nervös mit seinen Fingern.
Nur was soll ich ihm dazu antworten? Etwa die grausame Realität? Ich bin noch nicht soweit, mich jemandem zu öffnen. Erst recht nicht jemandem, den ich kaum einen Tag lang kenne.
Er deutet mein Schweigen falsch und möchte sich sogleich für seine Frage entschuldigen. Ich komme ihm jedoch zuvor, indem ich meine Hand in die Höhe halte und ihn ansehe. Wir setzten uns auf eine Bank. Die Sonne tut mir gut. Es ist eine Wohltat, wie sie ihre Wärme auf meinen Körper strahlt.
„Ich bin die Treppe hinuntergestürzt.“ Während ich anfange zu erzählen, bin ich nicht fähig Alexander anzusehen. Ich richte meine Augen geradeaus und hafte meinen Blick an einer gelben Rose fest, die gegenüber von unserer Bank in voller Blüte steht. Mir ist unbehaglich dabei, dass ich ihn belüge. Aber es ist zu meiner