Gerhard Ebert

WOLLUST ACH - Uwe, der Student


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werden. Er fühlte sich durchaus gerüstet. Immerhin war sein Selbstvertrauen gewachsen. Und er war auch nicht mehr geradezu mittellos. Als gelernter Schriftsetzer galt er als Arbeiter. Das hatte zu einem recht ordentlichen Stipendium geführt. So wurde er denn fast zu eigener Überraschung sofort aktiv, als ihm eines Tages eine junge Frau unübersehbar auffiel.

      Der Ort des Ereignisses war das Nationaltheater Weimar. Dort fanden sich die Studenten aus verständlichen, nämlich beruflichen Gründen relativ oft ein, wenn auch nur in den obersten Rängen. Dort konnten sie, ohne besonderes Aufsehen zu erregen, auch mal hämisch über Schauspieler unten auf der Bühne lachen; denn natürlich bildeten sie sich ein, dass man dies und jenes hätte besser spielen können. Abgesehen davon, dass das Training möglichst wahrhaften Spiels im Seminar durchaus die Befähigung förderte, auf der Bühne realistisches Spiel von äußerlicher und leerer Theatralik zu unterscheiden.

      In den Pausen wurde jedoch nicht nur über die jeweilige Aufführung debattiert, man hielt stets auch Ausschau nach dem schönen Geschlecht. Als Uwe sich am Buffet eine Selters holen wollte, geschah Unerwartetes. Vor ihm stand eine junge Frau und hatte Schwierigkeiten. Sie hatte sich einen Kaffee bestellt und auch schon serviert bekommen, aber in ihrer Tasche fand sie kein Geld. Bestürzt und beschämt wollte sie verzichten, doch Uwe griff die Gelegenheit beim Schopf und bat, ihr die Tasse bezahlen zu dürfen. Ihm war das Angebot offenbar so nett und höflich gelungen, dass die junge Frau ihn erfreut anlächelte und dankend annahm. Was bedeutete, dass sie Uwe, als er ihr zu einem Tischchen folgte, nicht verwehren konnte, neben ihr Platz zu nehmen.

      Beglückt stellte Uwe alsbald fest, dass er einer attraktiven Frau gegenüber saß. Kecke, energische Nase, dunkle, blitzende Augen unter kräftigen Augenbrauen, ebenmäßige Lippen, langes schwarzes Haar – einfach total hübsch! Und nicht mundfaul!

      „Sie sind Student?“ fragte sie ihn neugierig. Offenbar wollte sie ihn a priori irgendwie einordnen.

      „Ja, ja, im ersten Studienjahr“, rutschte es Uwe heraus. So ist das, wenn man ehrlich sein will. Sie schien nicht enttäuscht.

      „Schauspieler?“ hörte er sie fragen.

      „Nein, Wissenschaftler! Oben in Belvedere.“

      „Schön“, sagte sie jetzt.

      „Und Sie?“ fragte er zurück.

      „Hm“, meinte sie, „ich sitze in einer Verwaltung herum.“

      Sie sagte es so, dass Uwe spürte, dass sie darüber nicht gern sprechen wollte. Wozu auch keine Gelegenheit gewesen wäre; denn die Klingel verkündete das Ende der Pause.

      „Ich muss Sie unbedingt wiedersehen!“ erklärte Uwe prompt geradezu pathetisch.

      „Oh!“ sagte sie überrascht, lachte ein wenig und wie es schien, nicht ganz und gar abgeneigt.

      „Bitte nach der Vorstellung am rechten Portal! Ja?“

      Jetzt lachte sie.

      „Muss das sein?“

      „Unbedingt! Ich will doch mein Geld zurück haben!“

      „Ah, ein Geizkragen sind Sie. Da kann ich nicht nein sagen!“ – sagte es und huschte davon.

      Uwe war zufrieden mit sich. Der Einfall mit dem Geld war wahrscheinlich ein gelungener. Aber die Ungewissheit blieb, ob sie wohl nach der Vorstellung am Portal eintreffen würde. Als er seinen Platz wieder erreicht hatte, versicherten ihm seine Zimmergenossen, die natürlich alles aus gebotener Entfernung genau beobachtet hatten, dass er einen tollen Käfer an Land gezogen habe.

      Fürs weitere Geschehen auf der Bühne hatte Uwe jedes Interesse verloren. Viel wichtiger war jetzt die Frage, wie er sich verhalten sollte, wenn die Fremde tatsächlich kommen würde. Er überlegte angestrengt. Sie zum Besuch des Theaterrestaurants einzuladen, war zwar möglich, aber aussichtslos; denn nach einer Vorstellung war dort immer total überfüllt. Viel eher schien ihm ratsam zu versuchen, auf ein Bier in irgendeine Kneipe zu gelangen. Alles würde davon abhängen, ob sie überhaupt ein Quäntchen Interesse für ihn haben würde.

      Nach der Vorstellung war von dem oberen Rang nicht so schnell zum vorgeschlagenen Treffpunkt zu gelangen. Doch hurra! Da stand sie schon und wartete. Entschlossen und sehr froh ging er auf sie zu und sagte:

      „Schön, dass Sie da sind. Ich bin Uwe.“

      „Ich bin Liselotte“, antwortete sie, „ich muss in diese Richtung.“

      Damit war klar: Sie wollte nach Hause. Und dieses zu Hause lag irgendwie in Richtung des Rathauses. So gut kannte Uwe nun schon die Stadt. Und er hoffte, dass ihr zu Hause nicht zu nahe lag; denn je länger der Weg, desto größer die Chance, der Unbekannten näher zu kommen. Der Versuch musste unbedingt unternommen werden; denn auch ihre schlanke Gestalt nahm sofort für sie ein.

      „Ja, gehen wir“, meinte daher Uwe und schritt an ihrer Seite los, a priori darauf bedacht, das Schritttempo möglichst gemächlich zu halten. Bei angenehmer Temperatur war sogar ein nächtlicher Bummel denkbar. Vielleicht zum Park! Doch gemach! Zunächst mussten sie am hell erleuchteten Theaterrestaurant vorbei.

      „Schade, dass hier immer so voll ist nach einer Vorstellung!“ nahm Uwe einen Gesprächsfaden auf.

      „Ja, das ist blöd“, meinte sie und fügte hinzu, sie habe aber leider heute sowieso keine Zeit dafür. Das war hart! Aber noch lief sie neben ihm, und sogar irgendwie schlendernd, so, als sei sie durchaus ein bisschen neugierig auf Uwe. Und da kam auch schon die Bestätigung.

      „Wie fanden Sie denn die Vorstellung?“ wollte sie nämlich wissen.

      „Naja“, nahm Uwe Anlauf, „der Ibsen mit seiner Nora, irgendwie ist das doch überholt! Die ganze Aufregung mit dem Schuldschein! Wen interessiert das noch!“

      Mit welcher Meinung er sich arg aus dem Fenster lehnte. Was er sofort zu spüren bekam.

      „Ist das nicht symbolisch und irgendwie immer gültig?“ fragte sie zurück und ergänzte, „die vom Theater haben sich doch etwas gedacht, wenn sie das Stück in den Spielplan nehmen. Oder?“

      „Ja, ja, wahrscheinlich!“ musste Uwe zugestehen.

      Und sie hakte nach:

      „Ganz bestimmt! Dass Frauen ihren Ehemännern davon laufen, dass wird es ewig geben.“

      „Da mögen Sie recht haben“, gestand Uwe ihr zu. Donnerwetter! Die Frau hatte wahrscheinlich Haare auf den Zähnen. Möglicherweise war sie sogar schon einmal einem Ehemann davon gelaufen.

      „Haben Sie eigene Erfahrungen?“ hörte er sich fragen.

      „Ach, nicht unbedingt! Ich denk nur so darüber nach. Ich glaube, man muss als Frau auch heutzutage sehr, sehr viel Kraft haben, wenn man eine Ehe abschütteln will, in der vieles stimmt, ich meine, was das Auskommen betrifft, Wohnung und so - aber der Mann sich als Tyrann entpuppt. Ich würde das nicht aushalten, ich würde auch abhauen.“

      „Ich könnte gar kein Tyrann sein!“ versuchte Uwe, dem Gespräch eine Wende zu geben. Sie blieb abrupt stehen und schaute ihn an:

      „Sie? Kein Tyrann?“

      Und schon lief sie weiter.

      „Keinesfalls!“ sagte Uwe.

      „Ja, ja, so sind die Männer! Und wir Frauen fallen immer wieder auf sie herein.“

      An der Stelle wandte sie sich nach rechts in Richtung Goethehaus. Sie hatte vermutlich bewusst eine kleine Biege gewählt.

      „Das Thema ist unerschöpflich“, spann Uwe den Faden weiter, „ich schlage vor, bei einem Bier weitere Klärung zu versuchen.“

      „Bei einem Bier?“ Sie lachte.

      „Oder Wein! Natürlich Wein!“

      „Danke, lieb von Ihnen, aber ich bin zu Hause.“

      Und damit trat sie an eine Haustür, nahm ihren Schlüssel und schloss auf. Dann drehte sie sich recht entschlossen