Hein Bruns

Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"


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Schiffe, die see‑ oder hamburgwärts fahren. Lassen sich nachts von Richt‑ und Leitfeuern betasten und begeilen und sind doch schon längst in den Wechseljahren. Der rote Himmel Hamburgs ist auch zu sehen.

      DAS GANZE DORF Leeste liegt so hinter dem Deich. Bestrohte Häuser sind es meistens noch. Hart an den Deich geklemmt das Haus des Schiffseigners und Kapitäns Friedrich Faller, auch Stroh auf dem Kopf und ein neugieriger Giebel. Kopfsteinpflastrig hoppelt die Straße am Haus vorbei ins nahe Dorf. AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN ‑ diese ins Holz eingestemmte Inschrift ziert noch heute den Querbalken der einstigen Dielentür. Fenster sind modernisiert, von zwei mach eins. Blumen und Grüngewächse. Dralonstores verwehren den Steinen der Straße und den sonst Neugierigen den Blick in die „Innereien". Dort stand dreißig Jahre lang ein Birnbaum, dort steht seit gestern eine Garage. Dort neben der Diele standen Pferde und Kühe, dort neben der Diele sind seit gestern Zimmer. AN GOTTES SEGEN IST ALLES GELEGEN, soweit und gut war das mit dem Segen des Herrn auch nicht, nicht allzu weit her.

      Friedrich Faller, seine Frau Theresa, seine Tochter Tina, sie leben in diesem Haus. Friedrich Faller nun weniger, er lebt die wenigste Zeit drin, denn er fährt ja zur See. Und wenn er nicht drin lebt, dann hat das Haus erst Leben, zumindest Frieden. Dann lebt in Frieden die Frau Theresa und die dreiundzwanzigjährige Tochter Tina. Leben in Frieden zwischen Nippfiguren, Porzellan‑ und Stoffpuppen. Kitsch aus Norwegen und Holland, Schweden und Finnland. Kitsch von nahen Küsten. Da sind Aschenbecher, die Scharlachberg, Underberg und Balle‑Rum anbieten. Es raucht niemand im Hause der Fallers.

      Holzgeschnitzte Rentiere ‑ ‑ ‑ und ihr Geweih ist bestaubt. Bilder aus Birkenrinde, in den Klebritzen sitzt der Staub und der Holzwurm. Rot wie Himbeersaft ist die Tischlampe, der Schirm. Der Fuß ist ein holländischer Holzschuh. Wirklicher Frieden, so der alte Faller mit seinem Schiff an nahen Küsten herumgurkt, ist dann im Giebelhaus und es hat sich das Donnern, Pöbeln, Schnauzen und Schimpfen aufs Schiff verlegt. Mutter und Tochter haben jetzt ihre Hühner, auch ein Schwein, den Apfelhof, so ihren Frieden.

      Frau Theresa ist keine Einheimische, stammt irgendwoher aus Bayern, war Dienstmädchen bei hochherrschaftlichen Leuten in Hamburg. Wurde wohl ausgebeutet, aber ist doch eine gute Hausfrau geworden. Das muss man ja sagen, der Schiffseigner Friedrich Faller hatte seinerzeit Mut, eine „Fremdländische" zu ehelichen, aber F.F. kümmert sich einen Scheißdreck um das Gerede der Leute. F.F. geht über Leichen, heute noch. Er half niemanden und ihm brauchte und braucht auch keiner zu helfen, von den Geldinstituten natürlich abgesehen. Aber je protziger und größer, (das größer bezieht sich auf seine Schiffe) um so mickeriger und dünner wurde seine Frau Theresa. Mit einem Klütenewer fing F. F. vor Jahren an und mit Schulden (der Apfelhof und das Haus fuhren zur See). Mit einem modernen Küstenmotorschiff, Werftnummer 491, geht es weiter und wiederum mit Schulden.

      Tina

      Vom Klütenewer zum Küstenmotorschiff ist ein weiter Weg. Und was die Tina ist, die Tochter, jetzt hatte sie sich ja langsam gemausert und wagte auch mal ein Widerwort dem Alten gegenüber. Ach Gott, bevor die in der Stadt war, ach Gottegott. Tina kam doch auch in das Alter, wo sie wohl schon einen Mann gebrauchen konnte. Wenn auch der Sommerwind ihre jungen Brüste streichelte oder der Mond, der über den Strom segelte, ihre sommerheißen Glieder ‑ das Richtige war das wohl doch nicht. Sie brauchte auch einen Mann, der sie aus der Fuchtel ihres Vater befreite. Dieser Mann war schon zu finden, denn Tina war recht ansehnlich, ja, ja, Tina war recht sexy, ja, ja, aber ‑ da lag der Knüppel beim Hund. F. F. war ein Faktor. Inwiefern F.F. ein Faktor war, davon später. Tina war auch anständig, wie man so sagt. Einen Mann, so richtig, hatte sie noch nicht gehabt. Dabei war sie nicht mehr unschuldig, nein, das war sie nicht. Aber das ist eine andere, an sich eine traurige Geschichte, die Geschichte mit dem Straßenbahner. Auch die steht jetzt nicht zur Debatte. Zur Debatte steht der Bäckergeselle aus dem Dorf Leeste hinter dem Elbdeich.

      DAMALS WAR DER Deich grün. Tina war damals glatte siebzehn und die Daunen waren jünger, die gegen ihr Hemdchen stießen.

      Viel älter aber als Tina war der Bäckergeselle Bruno. Er brachte Tina vom Erntefest nach Hause. Er hat sie auch geküsst, mehr nicht, mehr wirklich nicht. Es konnte ja auch nicht mehr werden, obwohl alle Voraussetzungen absolut gegeben waren, wie die Dinge so lagen und Tina so lag. Es konnte aber mit dem besten Willen nicht mehr werden, denn Friedrich Faller sprang in der langen Unterhose, mit einem Knüppel bewaffnet auf den Deich, über den Deich und hinter den Deich, wo die beiden, Tina und der Bruno, verschwunden waren und verwalkte beide, seine Tochter Tina und den Bäcker Bruno.

      Das war doch traurig, zumal der Bäckergeselle Bruno es schon fertiggebracht hatte, Tinas baumwollene Unterhose auszuziehen und die als heller Fleck im Deichgras lag.

      Damals war der Deich grün.

      So waren auch Tinas Beine bloß und blank. Beides, Hose und Beine Tinas, sahen appetitlicher aus, als der Eigner in seinen langen Unterhosen.

      „Un du geihtst int Hus, du Hurendeern ‑ ick will di helpen, hier Brötchen backen!"

      Der Bäcker Bruno entfleuchte, rannte ein Stück, ein ganzes Stück auf dem Deich entlang, so, als sei der Leibhaftige hinter ihm her, verschwand im Dorf und wurde von Stund' an nie mehr gesehen. Verschwand ganz aus diesem Dorf am Strom. Sein Glück, denn F. F. war für ihn der Leibhaftige, getarnt in langen Unterhosen, bewaffnet mit einem Knüppel. So behielt Tina vorläufig ihre Unschuld und einen Schock. Bekam von ihrem Alten noch eine Tracht Prügel und hasste seitdem ihren Vater und auch Bäckerläden.

      „Du heirots blot eenen Stürmann oder een Kaptein, mit wat anneres kummst du mi nich int Hus, mark di dat, Deern!" Allerdings bekam Tina doch keinen Steuermann und auch keinen Kapitän als Ehemann, sondern ‑ aber das ist eine lange Geschichte. Vorher kam noch der Straßenbahner der Hamburger Hochbahn. Er brachte es fertig, nicht ganz ohne Gewalt, Tinas Jungfernhäutchen zu zerfleddern ‑ und das kam so:

      Friedrich Faller hatte nicht einen blassen Schimmer von Buchführung. Woher auch? Auf dem Holzschuhgymnasium des Dorfes Leeste an der Elbe lernt man so etwas nicht, nicht einmal die Grundbegriffe. Bankabrechnungen, Finanzamtssachen, selbst Heuerabrechnungen für seine Besatzung, das waren für F. F. „Böhmische Dörfer". Das schließt aber beileibe nicht aus, dass F.F. keine Nase für Geld hat. Was nun tatsächlich anfiel, das machte F. F., solange er noch seinen Klütenewer befuhr, so aus der „Lameng". Später nahm er sich einen Steuerberater aus dem Dorf, der muddelte das alles für ihn, und der konnte gut muddeln, nahm für die Muddelei klingende Münze. Jetzt, wo der Eigner F. F. keinen Sohn sein eigen nannte, der mal mit einem Steuermannspatent sein Schiff hätte fahren sollen, musste er mit seiner Tochter Tina vorlieb nehmen, sie quasi reedereimäßig einspannen. Und da Tina die Mittlere Reife überstanden hatte, sah F. F. hier die Möglichkeit, diesen verdammten Steuerberater einzusparen, dadurch einzusparen, dass Tina eine kaufmännische Lehre absolvierte. Das war gut und kaufmännisch gedacht und beweist auch die Bauernschläue des Schiffseigners Friedrich Faller.

      So zuckelte Tina allmorgendlich mit dem Fährboot über den Strom und zuckelte dann weiter mit der Straßenbahn nach Hamburg‑Altona, hin zu jenem Schiffsmakler, bei dem Tina in der Lehre war.

      Um nun an jedem Morgen den schneidigen, forschen Straßenbahnschaffner zu sehen und mit ihm zu sprechen, allein dafür lohnte es sich schon, allmorgendlich nach Hamburg‑Altona zu fahren.

      Es war nun mal der Beschluss von F. F., im Verein mit der dürftigen Mutter Theresa, dass Tina in eine Kaufmannslehre ging, dieweil ja die Schiffe immer größer wurden und somit auch die Schulden. Man muss sagen, so dumm war F. F. nun doch nicht ‑ und „Was du ererbst von deinen Vätern ‑ ‑ ‑." Aber ganz gewiss war ein schneidiger, forscher Straßenbahnschaffner der Hamburger Hochbahn nicht mit einkalkuliert. Straßenbahnen fahren wohl immer, aber Schaffner haben auch Freizeit. Fähren fahren aber nicht immer, besonders zur Winterszeit nicht, dann nicht, wenn der Strom starken Eisgang hat. Nun war es so abgemacht und abgesprochen, dass Tina bei ihrer Tante in Övelgönne schlafen sollte. Nein, vom Schaffner war nicht die Rede.

      Mittlerweile, seit der Bäcker‑Deich‑Episode hatte sich Tina ganz anständig gemausert, wenn man so sagen darf, denn das mit Baumwollhosen und handgestrickten Pullovern, das war